Freitag, 21. Dezember 2012

"Weltuntergangs"-Special

Die Schreie hinter der Tür


Erneut ertönt ein Schrei.
Sie wehrt sich so gut sie kann, doch die Männer in den gelben Anzügen sind stärker. Ihre Handgelenke sind von den Fesseln, die sie an den Tisch binden, schon ganz blutig geschürft. Die große Lampe des Laborzimmers ist auf das kleine Mädchen gerichtet. Das Licht ist grell und ihre Augen brennen, aber sie will sie nicht schließen, denn sie hat zu viel Angst vor dem, was die Männer mit ihr anstellen wollen.
Einer von ihnen nimmt eine kleine Spritze zur Hand.
>>Bereit für den nächsten Versuch?<<, fragt er leicht gehässig. Die anderen nicken stumm.
Das Mädchen wispert voller Panik: >>Nein!... Bitte nicht...<<
Danach schreit sie erneut, denn die Spritze, gefüllt mit einer strahlungsversetzten Lösung, nährt sich ihrem Arm und die Nadel bohrt sich tief in ihr Fleisch.
Der Leiter der Abteilung für genetische Testversuche an Menschen, oder kurz AfGT, geht schweigend den Korridor entlang, auf die verschlossene Tür zu, hinter der das Mädchen liegt.  Die Schreie lassen langsam nach.
Er klopft dreimal an, dann hör man einen Schlüssel der im Schloss herumgedreht wird und die Tür öffnet sich. Der Leiter tritt ein. Die Schreie sind verklungen. Jetzt ist nur noch das Geräusch des EKG zu hören, an dem das Mädchen angeschlossen ist. Ihr Herz schlägt unglaublich schnell.
>>Was passiert mit ihr?<<, fragt der Leiter der AfGT einen der Laboranten.
>>Sie scheint das Mittel nicht zu vertragen.<<, antwortet dieser.
Plötzlich ist nur noch ein langgezogener Pieplaut zu hören. Alle sehen auf den Bildschirm des EKG. Kein Puls.
>>Reanimieren!<<
Strom wird durch den leblosen Körper des Mädchens gejagt. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann fängt das EKG wieder an in regelmäßigen Abständen zu piepen. Das Mädchen schlägt die Augen, die ihr zugefallen sind, auf und holt keuchend Luft.
Die Männer in den gelben Anzügen lösen die Fesseln an ihren Hand- und Fußgelenken und heben sie vom Tisch. Einer öffnet die Tür und sie schubsen das Mädchen hinaus auf den Flur. Dann fällt die Tür wieder ins Schloss und wird verriegelt.
Das Mädchen stützt sich an der Wand ab, um nicht hinzufallen, denn sie ist sehr wackelig auf den Beinen. Dann entfernt sie sich so schnell wie möglich von dem Laborzimmer. Wie jedes Mal.
Sie stolpert öfters, aber sie kämpft sich weiter voran.
Doch irgendwann wollen ihre Beine sie nicht mehr tragen und sie bricht zusammen. Erschöpft sieht sie sich um. In diesem Teil des Gebäudes ist sie noch nie gewesen. Hier sieht alles irgendwie besser aus. Sauberer.
Dann hört sie Schritte und schließt schnell die Augen. Vielleicht beachtet sie ja keiner, wenn sie so tut als würde sie schlafen. Aber da hat sie falsch gedacht. Die Schritte nähren sich ihr und die Person bleibt direkt vor ihr stehen.
>>Hey. Wer bist du denn?<< Überrascht schlägt das Mädchen die Augen auf. Das ist kein Mann mit gelbem Anzug. Es ist ein Mädchen.
>>Ich bin Rumer.<<, stottert das Mädchen und sieht zu Boden.
>>Freut mich dich kennen zu lernen, Rumer. Ich heiße Livvy.<<, stellt das andere Mädchen sich vor. >>Du sieht gar nicht gut aus. Komm mit!<< Livvy streckt dem Mädchen die Hand hin.
Zögerlich ergreift das Mädchen sie und steht auf. Es ist merkwürdig für sie die Hand von Livvy zu halten. Seit sie denken kann, wurde sie nie von jemandem berührt, der keinen gelben Anzug trug. Es fühlt sich gut an.
Livvy führt das Mädchen einige Gänge entlang und dann in ein kleines Zimmer. Es ist fast dreimal so groß, wie das in dem sie selber wohnt, aber dieses ist viel schöner. Es stehen zwei Betten darin. Richtige Betten! Nicht nur eine Matratze, wie in dem kleinen Raum in dem das Mädchen schläft. Und dieses Zimmer hat sogar ein Fenster!
Augenblicklich rennt sie hinüber und sieht hinaus. Die Sonne scheint am blauen Himmel. Bis jetzt hat sie das erst dreimal gesehen. Wie sehr sie Livvy doch dafür beneidet.
>>Was ist mit deinem Arm passiert?<<, fragt Livvy dann. Das Mädchen dreht sich zu ihr um und begutachtet selbst ihren Arm. Er ist blutverschmiert.
>>Sie haben mir weh getan.<<, antwortet sie leise.
>>Ich kenn das.<<, meint Livvy und zieht den Ärmel ihres Hemdes hoch. Ihr Arm ist genauso vernarbt, wie der von dem Mädchen. >>Aber du musst keine Angst haben. Jetzt bist du nicht mehr allein.<<
Livvy lächelt ihr zu.
Ein schöner Gedanke. Nicht mehr allein sein.
>>Meinst du das ernst?<<, fragt das Mädchen.
>>Ja, meine ich. Wenn du willst. Wir können gegenseitig auf uns aufpassen.<<, schlägt Livvy vor.
>>Das fände ich schön.<<, meint das Mädchen.
>>Dann machen wir das so. Abgemacht?<< Livvy streckt dem Mädchen die Hand hin.
Sie schlägt ein. >>Abgemacht.<<



Blutsverwandte 


Livvy genießt das gemeinsame Mittagessen mit ihrer kleinen Schwester Willow, Rumer und ihren neuen besten Freunden. Den Umständen entsprechen ist das Essen für sie heute wie ein Festmahl. Das Untersuchungslabor feiert sein 50-jähriges Jubiläum.
Rumer und sie haben vor einigen Wochen Keeden und Dereck kennengelernt, bei einem Rundgang durch das Außengelände der Anstalt.
>>Alle in ihre Zimmer!<<, ertönt eine Lautsprecherdurchsage.
Livvy verschluckt sich vor Schreck an ihrem Sandwich. Sie weiß, was diese Durchsage für sie alle bedeutet. Langsam stehen alle am Tisch auf und begeben sich in ihre Zimmer. Während Rumer und Keenden in Richtung der Abteilung für genetische Testversuche gehen, in der an den "unwichtigen" Kindern, ohne Familie, die Lösungen zu allererst getestet werden, machen sich Livvy, ihre kleine Schwester Willow und Dereck auf den Weg in ihre Abteilung. Sie laufen einen langen weißen Gang entlang und machen vor einer großen gräulichen Tür halt. Auf einem Schild darüber steht in schwarzer Schrift geschrieben: Abteilung für besondere Projekte. Livvy hält ihre Hand an ein Gerät, das diese scannt und somit ihre Identität feststellt. Die Tür fährt automatisch auf und die drei Kinder gehen hindurch.
Dereck biegt zuerst in sein Zimmer ab. An ihm testen die Männer in den gelben Anzügen die Einflüsse der Außenwelt. Nachdem er seine Spritze bekommen hat, muss er einen halben Tag im Außengelände verbringen. Die Wetterverhältnisse sind den Testern egal.
Die beiden Mädchen sind bei ihrem Zimmer angelangt. Da sie Blutsverwandte sind, wird bei ihnen untersucht, wie sich das auf  die Versuchsreihe und insbesondere auf die Psyche auswirkt.
Ein Mann läuft den weißen Gang entlang. Er hält eine kaum erkennbare Spritze in seinen Händen. Der Inhalt dieser Spritze ist ein Beruhigungsmittel, welches für kurze Zeit bewusstlos macht. Er bleibt vor dem Zimmer 301 stehen. Durch einen Spalt in der Tür vergewissert er sich, ob sich die beiden Kinder in dem Raum befinden. Sie sitzen auf ihren Betten.
Er öffnet die Eisentür und geht einige Schritte hinein. Die Mädchen weichen erschrocken zurück. Die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie kauern sich an die hintersten Ecken ihrer Betten und eine der beiden zittert verstört.
Gekonnt ignoriert der Mann diese Reaktion und geht auf die Ältere der blutsverwandten Mädchen zu. Das Kleinere fängt an zu weinen. Ihm fällt auf, dass er schon eine Weile nicht mehr hier war. In seinen Gedanken notiert er sich, dass er den Untersuchungsplan  ändern muss.
Mit der linken Hand greift er nach dem Bein des Mädchens und mit der Rechten rammt er die Spritze dort hinein. Ohne eine Miene zu verziehen, legt er den bewusstlosen Körper des Mädchens über seine Schulter und verlässt den Raum. Er verriegelt die Tür und begibt sich auf den Weg zu einem Behandlungsraum, dieser Abteilung.
Die Hand- und Fußgelenke werden verschlossen. Das Beruhigungsmittel lässt allmählich nach und das Versuchsobjekt regt sich. Sie versucht sich zu wehren, doch die Fesseln sind zu stramm, als das sie hindurchschlüpfen könnte. Wie oft schon hat sie es vergebens versucht?
Die größere Spritze nährt sich ihrem Arm. Tränen laufen dem kleinen Mädchen über die Wangen. Dann durchzuckt sie ein stechender Schmerz in ihrem Arm. Sie fühlt, wie sich die Lösung langsam in ihrem Körper ausbreitet. Ihr Herzschlag verschnellert sich und und Schweiß rinnt ihr über die Stirn.
Die Männer in den gelben Anzügen notieren sich ihre Reaktion und führen einige Tests durch.
>>Wir sollten die Abstände zwischen den Behandlungen verkürzen.<<, sagt der Mann, der das Mädchen geholt hat.
Der Leiter der Abteilung nickt zustimmend und verlässt mit dem kleinen Versuchsobjekt den Raum. Daraufhin begleitet er sie zu ihrem Zimmer.

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