Mittwoch, 27. Februar 2013

Rumer (31.)

Als ich aufwache, gestatte ich es mir noch einige Minuten lang liegen zu bleiben und zu entspannen, bevor ich die Welt wieder mit ihren Problemen auf mich einschlagen lasse. Es fühlt sich so gut an in Navins Armen zu liegen. So sicher. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte mal so tief geschlafen habe. Es ist jedenfalls schon ewig her. So hell ist es selten, wenn ich aufwache. Moment mal!
Ich schrecke hoch, wodurch ich Navin aufwecke, der sich nun ebenfalls aufsetzt.
>>Was ist denn los?<<, fragt er und fährt sich mit der Hand durch sein zerzaustet blondes Haar.
>>Wir haben verschlafen! Es ist bestimmt schon Mittag!<< Hektisch ziehe ich meine Schuhe an.
>>Und wo liegt das Problem?<<, will Navin nun wissen.
>>Sie haben bestimmt schon bemerkt, dass wir weg sind!<<, antworte ich und sehe ihn ernst an.
>>Ich verstehe immer noch nicht, was daran so schlimm sein soll.<<
Das Schlimme daran ist, dass es Keeden verletzen würde mich hier bei dir zu sehen. Vor allem, wenn er fühlt, wie entspannt ich bin. Er würde elend lang sauer auf mich sein, weil ich nicht zu ihm gegangen bin, sondern zu dir!, will ich eigentlich sagen, aber was ich wirklich sage ist: >>Es ist halt so!<< Navin bohrt zu meiner Erleichterung nicht weiter nach, sondern zuckt nur die Schultern.
Ich öffne vorsichtig den Reißverschluss seines Zeltes und spähe hinaus. Niemand zu sehen. Also schiebe ich mich durch die Öffnung und schließe das Zelt wieder hinter mir, damit er sich in Ruhe umziehen kann. Dann gehe ich wachsam zum Zelt von Livvy und mir und bete inständig, dass sie nicht da ist. Ich muss erstmal meine Gedanken ordnen, bevor ich mit jemandem über die letzte Nacht reden kann.
Livvy ist nicht beim Zelt. Dafür steht allerdings Keeden, mit verschränkten Armen vorm Eingang. Mein Herz sackt mir in die Hose. Scheiße!
>>Na.<<, sagt er. Seine Stimme klingt eiskalt. Oh Backe. Ich hab richtig verkackt!
>>Hallo.<<, grüße ich kleinlaut zurück. Es gibt nicht viel, was mir etwas ausmacht, aber wenn Keeden sauer auf mich ist, dass weiß ich aus früheren Erfahrungen, macht mich das total fertig.
>>Schöne Nacht gehabt?<<, fragt er verächtlich. Das geht jetzt aber zu weit! Ich wurde von den gesamten Ausgestoßenen fertig gemacht und hatte einen Nervenzusammenbruch! Es ist ja nun nicht so, als hätte ich mir einen schönen Abend mit Navin im Wald gemacht! Er war nur zufällig da. Okay, ich bin danach zu ihm gegangen, aber trotzdem! Allein aus Trotz antworte ich: >>Ja. Es war echt wundervoll.<<
Keedens Hände verkrampfen sich und seine Muskeln spannen sich an. >>Was hat dieser Scheißkerl mit dir gemacht?<< Er schreit. Er schreit sonst nie.
>>Er hat gar nichts gemacht. Er hat nur dafür gesorgt, dass ich niemandem an die Kehle springe!<<, verteidige ich ihn. Wow! Wer hätte gedacht, dass ich Navin einmal gegen Keeden verteidigen würde? Kranke Welt.
>>Ach ja? Und das war alles?<< Keeden tut ja geradezu so, als wäre ich ihm Rechenschaft schuldig.
>>Das war alles.<<, schieße ich zurück.
>>Und dafür musstest du in seinem Zelt schlafen?<< Shit! Er weiß bescheid. Damit hatte ich nicht gerechnet.
>>Ich...<<, versuche ich zu beginnen, aber Keeden lässt mich nicht ausreden.
>>Erst stehst du auf und erklärst einen Kampf gegen das Genlabor, dann haust du mit diesem Kerl ab und dann pennst du auch noch bei ihm im Zelt! Was ist nur los mit dir?<<, brüllt er mich an.
>>Du klingst als wäre ich total verrückt!<<, schreie ich zurück. Keedens Züge werden etwas sanfter.
>>Ich halte dich doch nicht für verrückt. Ich denke nur, dass du möglicher Weise nicht mehr klar denken kannst.<<, sagt er und versucht zu lächeln. Mir ist klar, dass das eine halbe Beleidigung ist, aber das ist mir im Augenblick total egal, denn ich bin nur froh, dass er nicht mehr schreit.
>>Vielleicht kann ich ja echt nicht klar denken.<<, meine ich darum. Er wird wieder wütend, dass spüre ich, denn seine Wut durchströmt mich und brennt in mir, als wäre es mein eigener Zorn.
>>Das liegt alles an ihm! Ich weiß nicht wie er das macht, aber er ist nicht der Richtige für dich!<<
>>Ach und du schon?<<, frage ich. Keeden zögert. Ich kann an seinem Gesicht ablesen, dass er innerlich mit sich ringt.
>>Ja. Ich würde alles für dich tun, Ru.<<
Mir schnürt sich die Kehle zu. >>Keeden... ich...<<
>>Spar es dir. Ich will es gar nicht hören.<<, sagt er erschöpft und massiert sich die Nasenwurzel. Der Streit geht ihm genauso nah, wie mir.
>>Keeden...<<, beginne ich, aber er wendet sich ab und will gehen. Ich packe ihn am Arm und halte ihn fest. >>Keeden!<<, sage ich mit etwas mehr Nachruck.
Langsam dreht er sich zu mir um und sieht mich ausdruckslos an. Das zeigt mir, dass ich richtig Scheiße gebaut und ihn ernsthaft verletzt habe, obwohl das gar nicht meine Absicht war.
>>Was?<<, fragt er, als ich nicht weiter spreche. Ja, was? Nichts was ich sagen könnte, kann die Situation retten.
Also tue ich das einzige was mir einfällt. Wahrscheinlich eine Kurzschlussreaktion meines Gehirns. Ja, ganz bestimmt! Denn ich umfasse sein Gesicht mit den Händen, ziehe ihn sanft zu mir runter, stelle mich auf Zehenspitzen und küsse ihn.
In dem Moment, als unsere Lippen sich berühren, fließen unsere Gefühle wieder ineinander. Ich spüre seinen Schock, aber direkt danach auch seine unbändige Freude, als er seine Arme um mich legt und mich näher zu sich heran zieht.
Nach kurzer Zet lose ich mich wieder von ihm und frage: >>Wieder alles okay?<<
>>Ja. Alles okay.<<, antwortet er und grinst.
Ich grinse zurück. Scheiße! Was hab ich getan?

Sonntag, 24. Februar 2013

Livvy (30.)

Ich werde wach, als Dereck den Reißverschluss des Zeltes hinter sich schließt. Ich drehe mich zur Seite. Rumer ist nicht da, also bin ich alleine.
Ich genieße die Stille, die das Alleinsein mit sich bringt, wünsche mir aber schon bald, dass Dereck wieder neben mir liegt. Bei ihm fühle ich mich geborgen. Ich kann ich selbst sein, ohne darüber nachzudenken, irgendetwas falsch zu machen.
Die Sonne scheint und ihre Strahlen erwärmen das Zeltinnere. Ich öffne meinen Schlafsack und ziehe mich um. Dann schnappe ich mir Zahnbürste und Kräuterpaste und trete ins Freie. Nach einem herzhaftem Gähnen mache ich mich auf die Suche nach Willow.
Chazz, der gerade mit ein paar anderen der Ausgestoßenen zusammen ein großes Frühstück vorbereitet, winkt mir lächelnd zu. Bei seinem Anblick muss ich auch lächeln und winke zurück. Für Rumer ist er wie ein Bruder. Doch ich war zu sehr mit meiner Schwester beschäftigt, als das ich ihn in der Zeit im Gen-Labor richtig kennenlernen konnte. Im Nachhinein betrachtet hätte ich einiges anders gemacht. Aber Vergangenheit bleibt vergangen und etwas nach zu trauern, was schief gelaufen ist, zerreißt einem nur die Seele.
Willow kommt auf mich zugestampft. Super, dann brauch ich nicht mehr suchen! Ihre Augenringe verraten mir, dass sie irgendetwas ziemlich beschäftigt, weswegen sie nicht schlafen kann.
>>Ist alles klar bei dir? Du sieht grässlich aus, Kleines!<<, sage ich zu ihr, während wir zu einem kleinen Bach gehen. Erst nach langem Schweigen antwortet sie mir.
>>Es ist wegen Navin.<< Ne, das hätte ich ja jetzt nicht gedacht. >>Seit Rumer hier ist, ist er auf einmal so total abweisend zu mir. Ich kann das gar nicht verstehen. Das macht mich fertig. Diese blöde Mistkuh klaut mir einfach meinen Freund. Aber das beste ist ja noch, dass sie heute Nacht bei ihm in SEINEM Zelt geschlafen hat.<< Ich verschlucke mich an dem Kräuterpastenschaum. Keuchend spucke ich ihn aus und ringe nach Luft. Es dauert eine Zeit bis ich mich wieder eingekriegt habe.
>>Woher weißt du denn, dass sie bei ihm übernachtet hat?<<, frage ich sie, noch immer mit kratzen im Hals.
>>Also..Äh..Ich stand vor seinem Zelt und wollte gerade rein gehen, da kam sie an und hat alles kaputt gemacht.<< Ihre Augen glänzen.
>>Was wolltest du denn bei ihm?<<, frage ich und sehe Willow forschend an. Ihre Wangen fangen an zu erröten. Und schnell ist ihr gesamter Kopf rot. Fast Tomatenfarben. Das erinnert mich an etwas. Langsam frage ich mich, ob diese Tomatenkopfsache eine Nebenwirkung von zu viel Navin ist. Fast wie eine Krankheit und er ist der Auslöser. Nach dem Kuss am Bach hatte Rumer eine ähnliche Gesichtsfarbe. Bin ich die einzige die immun dagegen ist?! Naja, ich glaube eher, dass Dereck mein Heilmittel ist.
>>Ich..Ähm..Weißt du..Ich..Das Frühstück ist bestimmt schon fertig. Lass uns mal nachsehen.<< Sie dreht sich schon um und geht. Danke. Lassen mich heute wirklich alle allein?
Die Sonne glüht heute in vollen Zügen über die Lichtung. Das Zelt steht glücklicher Weise in der Sonne. Dann wird es heute Abend nicht so kalt werden. Wir sind zwar an einem Ort auf der Erde, wo es im Winter nicht schneit, dennoch wird es ohne Pullover nicht wirklich angenehm.
Das Frühstück ist noch nicht ganz fertig. Da mir niemand etwas von seiner Arbeit abgeben will, mache ich es mir auf der Wiese gemütlich. Im Gras zu liegen und die Sonne im Gesicht zu spüren, lässt mich für einen Moment alles andere vergessen.
Ich schrecke hoch, als mich etwas an der Nase kitzelt. Mit Mühe unterdrücke ich einen Schrei. Dereck fängt an zu lachen und ich knuffe ihn in die Seite. Erleichtert lasse ich mich zurück ins weiche Gras sinken. Er legt sich neben mich, sodass unsere Schultern sich berühren.
Auch wenn er letzte Nacht neben mir geschlafen hat, sorgen seine Berührungen bei mir immer noch für einen Gänsehautschauer.
>>Ich hab hier was für dich<< Dereck reicht mir einen kleinen Strauß mit Feldblumen. Meine Wangen erröten. Ich nehme ihm das Geschenk ab und als Dankeschön schenke ich ihm einen Kuss. Wir bleiben noch einen Moment im Gras liegen. Ich genieße das Gefühl von Glück, das mich durchströmt, in vollen Zügen.
>>Livvy, Dereck! Kommt ihr frühstücken?<< Ich sehe Willow hinterher, wie sie zurück zur Feuerstelle stapft.
>>Na dann sollten wir mal aufstehen. Mein Bauch knurrt schon den ganzen Morgen. Das ist kaum auszuhalten.<<, sagt Dereck und hilft mir hoch.
>>Oh, du armer kleiner Dereck. Hat dich niemand gefüttert?<<, erwidere ich und lache. Er schmollt und nickt. Noch immer lachend nehme ich ihn in den Arm. Er umschlingt meine Taille, hebt mich hoch und dreht mich einmal um sich.
>>So, jetzt sollten wir wirklich was essen. Sonst muss ich dich gleich noch vernaschen. Und dann wären wir beide unglücklich<<, sagt Dereck und küsst mich.
>>Dann mal los.<< Ich nehme seine Hand und ziehe ihn hinter mir her zu den anderen. Keeden hat für uns einen Platz freigehalten. Mit unseren vollen Tellern setzten wir uns neben ihn. Mein Blick schweift suchend durch die Reihen. Aber ich kann nirgends Rumer ausfindig machen. Ich schaue nochmal in die Runde. Keeden scheint das auch schon aufgefallen zu sein.
>>Sagt mal, habt ihr´ne Ahnung, wo Rumer ist? Seit gestern Abend hab ich sie nicht mehr gesehen.<< Besorgt sieht er mich und Dereck an. Wir beide schütteln den Kopf.
>>Hm. Das ist komisch. Vor allen, weil Navin auch nicht hier ist.<< Keeden versinkt in Gedanken. Aber er hat recht. Die beiden sind wirklich seit gestern Abend weg. Ich frage mich, was sie wohl gerade machen.

Mittwoch, 20. Februar 2013

Rumer (29.)

Als Navin und ich aus dem Wald zurück kommen, ist Ruhe eingekehrt und die meisten haben sich schlafen gelegt. Nur wenige sind noch vereinzelt draußen und beäugen uns misstrauisch, aber das ist mir egal. Die können mich alle mal. Feiglinge!
Die Ereignisse des Tages haben echt an meinen Kraftreserven gezerrt und ich bin so müde, dass ich wahrscheinlich jeden Moment in ein Koma falle. Also wende ich mich an Navin, gähne einmal herzhaft und sage dann: >>Gute Nacht. Ich geh schlafen.<< Er erwidert erst nichts, also füge ich in der Zeit des Schweigens noch hinzu: >>Danke, dass du zu mir hältst. Wie immer.<<
Jetzt grinst er und umarmt mich. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich realisiert habe, dass Navin definitiv zu meinen Freunden gehört, oder ob es eine Nebenwirkung des Gefühlsausbruchs von vorhin ist, aber ich umarme ihn auch.
Dann beugt er sich etwas runter und flüstert mir ins Ohr: >>Ich finde dafür könntest du ruhig mal netter zu mir sein.<<
Darauf weiß ich nichts zu antworten, also löse ich mich einfach aus der Umarmung und sehe verlegen zu Boden, peinliches Schweigen zwischen uns.
Bis Navin irgendwann sagt: >>Ich hab den Tag heute mit dir sehr genossen und freue mich schon auf den Gefallen, den du mir noch schuldest.<< Daraufhin schlage ich ihm gegen die Schulter und er geht lachend weg.
Na toll! Immer wenn's gerade mal gut zwischen uns läuft und ich ihm keine rein schlagen will, muss er wieder so einen blöden Spruch bringen! Dieser Idiot! Aber ob ich will oder nicht (und ich will) er ist jetzt mein Verbündeter. Mein Einziger.
Seufzend schlendere ich zu dem Zelt von Livvy und mir. Ich hoffe sie schläft schon, denn ich hab wirklich keine Lust auf ein Gespräch. Egal zu welchem Thema.
So leise wie möglich öffne ich den Reißverschluss. Und stelle fest, dass es ungewöhnlich eng in unserem Zelt ist. Was wiederum daran liegt, dass Dereck mit in Livs Schlagsack pennt. Wow! Die beiden gehen es ganz schön schnell an. Heute Mittag haben sie sich zum ersten Mal geküsst (jedenfalls glaube ich, dass es das erste mal war, denn wenn es nicht so wäre, hätte Livvy mir das wahrscheinlich erzählt) und jetzt schlafen sie schon zusammen in einem Schlafsack. Sieh mal einer an.
Da ich das junge Glück der beiden nicht stören will (und weil es mir hier definitiv zu eng ist) schließe ich den Reißverschluss wieder und gehe unsicher ein paar Schritte weg. Alles was mein Kopf gerade zu Stande bringt, ist sich zu fragen: Wo soll ich jetzt schlafen? 
Der erste Gedanke, der mir kommt, ist zu Keeden zu gehen und bei ihm zu schlafen, aber etwas lässt mich zögern. Durch unsere spezielle Verbindung weiß ich, was er für mich empfindet. Und ich weiß auch, dass ich nicht das selbe für ihn empfinde. Und er weiß das auch. Außerdem ist mir klar, dass er Navin verabscheut und ziemlich eifersüchtig auf ihn ist, obwohl es dazu keinen Grund gibt.
Ich will Keeden nicht verletzen und zu diesem Zeitpunkt würde vieles die Hoffnung in ihm wecken, dass ich vielleicht doch mehr für ihn empfinden könnte, aber sowas kann ich zur Zeit echt nicht gebrauchen. Und er auch nicht. Ich bin sowieso die am wenigsten geeignete Person auf dieser Welt, in die man sich verlieben sollte, denn ich bin ein Wrack. Ein Totalschaden. Nicht mehr zu retten. Aber Keeden wird immer versuchen mich zu retten. Er wird mich nicht aufgeben und das würde uns beide zerstören.
Etwas schockiert vom Tiefgang meiner Gedanken schlage ich also eine andere Richtung ein. Zurück zum Lagerfeuer, wo noch die paar Leute sind.
>>Entschuldigung. Kann mir von euch jemand sagen, wo Navin schläft?<<, frage ich in die Runde und verschränke die Arme vor der Brust. Einige Mädchen schauen mich böse an und tun dann so, als wäre ich gar nicht hier. Auch die anderen scheinen mir nicht antworten zu wollen. Doch dann löst sich jemand aus einer Gruppe und kommt auf mich zu. Chazz.
>>Hey Ru. Wir hatten noch gar keine Gelegenheit uns zu begrüßen, also Hallo!<<, sagt er und umarmt mich.
>>Hey.<<, murmele ich in seine Schulter. Chazz ist wie ein großer Bruder für mich. Zugegeben, einer den ich seit Jahren nicht gesehen hab, aber trotzdem Familie. Er war einer von denen, die uns damals bei der Flucht geholfen haben, wofür ich ihm ewig dankbar bin. Und bin ich echt froh ihn wieder zu sehen. Auch wenn ich weiß, dass er wohl bald sterben wird, denn Ausgestoßene werden höchstens zwanzig und er war damals schon vierzehn.
>>Also, erzähl mal, was willst du bei dem blonden Kerl? Er hat dir jawohl nicht auch noch den Kopf verdreht, wie bei den ganzen anderen Mädchen hier, oder?<<, fragt Chazz dann und legt mir einen Arm um die Schulter.
>>Himmel! Nein!<<, sage ich sofort und muss dann darüber lachen, dass immer alle auf die Idee kommen, dass Navin und ich was miteinander haben könnten.
>>Das ist wirklich sehr beruhigend. Komm mit. Ich bring dich hin.<<, meint er dann und zeigt mir den Weg.
Navins Zelt ist ziemlich weit abseits von den anderen. Chazz zeigt es mir und geht dann zurück zu den anderen ans Feuer. Die letzten Meter gehe ich also allein. Und so muss ich auch ganz alleine feststellen,  dass Willow vor Navins Zelt steht. Sie wirkt unschlüssig.
>>Hey Willow.<<, grüße ich sie. Sie sieht mich und funkelt mich dann finster an.
>>Was willst du denn hier?<<, zischt sie und weicht einen Schritt zurück.
>>Ich bin auch froh dich zu sehen.<<, murmele ich und verdrehe die Augen.
Da steckt Navin seinen Kopf aus dem Zelt und sieht uns. >>Aha. Wusste ich doch, dass ich Stimmen gehört habe. Was wollt ihr hier?<<
>>Ich... ähm... also.... ähm...<<, stottert Willow, kommt aber nicht zum Punkt. Mahn! Ich bin müde!
>>Ich wollte fragen, ob ich eventuell mit bei dir im Zelt pennen kann. Meins ist... blockiert.<<, sage ich und versuche Willow Mörderblick zu ignorieren.
Navin fängt an zu grinsen. >>Klar doch. Ich dachte schon du fragst nie.<<
>>Spar dir deine dummen Kommentare!<<, erwidere ich und will Willow noch etwas sagen, aber sie dreht dich um und stiert davon. Na toll! Sie hasst mich.
>>Komm jetzt. Ich will schlafen.<<, meint Navin dann und winkt mich ins Zelt. Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich tue, aber ich schlüpfe zu ihm hinein. Dann fällt mir der Fehler an meinem Plan auf. Ich hab meinen Schlafsack vergessen!
>>Ich hol eben meinen Schlafsack. Bin gleich wieder da!<<, meine ich und will wieder gehen, aber Navin packt mich am Handgelenk und hält mich somit auf.
>>Brauchst du nicht. Du kannst mit unter meiner Wolldecke schlafen. Ich mach auch keine anzüglichen Bemerkungen. Versprochen.<< Als ich nichts erwidere fügt er noch hinzu: >>Komm schon, Rumer. Du hast doch nicht etwa Angst, oder?<< Er weiß genau, dass mich das provoziert! Er weiß genau, dass ich ihm das Gegenteil beweisen will! Und das schlimmste ist, dass es funktioniert!
Ich streife meine Schuhe ab und lege mich neben ihm unter die Decke. Allerdings rücke ich so weit von ihm weg, wie es mir das Zelt erlaubt. Leider habe ich da meine Rechnung, ohne Navin gemacht, denn der schlingt seine Arme um meine Taille und zieht mich an sich. Ich spüre seinen Atem in meinem Nacken und ein Kribbeln jagt meine Wirbelsäule runter.
>>Es ist trotz der Decke manchmal etwas kalt. Körperwärme ist da die beste Lösung.<<, flüstert Navin  und küsst meinen Nacken.
Eigentlich müsste ich wegrücken. Eigentlich müsste ich ihm dafür eine rein schlagen, oder ihm eine Beleidigung an den Kopf werfen. Aber das tue ich nicht. Ich liege einfach da, in seinen Armen und lausche seinem Atem, bis ich einschlafe. Und fühle mich zum ersten mal seit langem... geborgen.

Sonntag, 17. Februar 2013

Livvy (28.)

Stille. Rumers Worte hallen in meinem Kopf wieder und wieder. Ich sehe ihr nach, wie sie von Navin vom Feuer weggeschleift wird. Die schlimmen Erfahrungen, die wir alle durchmachen mussten, haben jeden auf eigene Weise gezeichnet. Rumer hat sich eine Mauer gebaut. Ihre Gefühle und Gedanken eingesperrt, für niemanden erreichbar. Doch gerade begann ihre Mauer zu bröckeln und Licht viel auf das Dunkle, das Vergangene.
Ich bin froh, dass Navin bei ihr ist, denn in den letzten vier Jahren war er an ihrer Seite. Dafür bin ich ihm von Herzen dankbar.
Dennoch mache ich mir Sorgen um sie. Ihr Lächeln hat mich immer aufgeheitert. Doch jetzt wird mir bewusst, dass es nur ein Schutzwall war. Sie wollte die Gefühle vor niemandem zeigen, da sie denkt, dass sie niemand versteht.
>>Alle in Ordnung?<< Derecks besorgte Stimme holt mich zurück in die Realität. Ich schaue ihn kurz an und nicke. Dann schweift mein Blick über die Ausgestoßenen und bleibt bei Willow hängen. Sie starrt mit zornigem Funkeln in dem Augen in die Richtung, in der Navin mit Rumer ins Dunkle getaucht sind. Ihre Hände hat sie zu Fäusten geballt. So wie sie da steht, könnte auch Rauch aus ihren Ohren steigen.
>>Willow? Was ist los?<<, frage ich und schmunzel. Ihre Miene hellt sich schlagartig auf und ein stralendes Lächeln macht sich in ihrem Gesicht breit.
>>Wieso, was sollte denn los sein?<<, kontert sie strahlend und mit einer honigkuchenpferdigen Stimme und setzt sich neben mir auf den Platz, wo Rumer noch vor einigen Augenblicken gesessen hatte. Mir konnte sie noch nie etwas vormachen. Meine kleine eifersüchtige Schwester.
Dereck legt seinen Arm um meine Schulter. Erst jetzt fällt mir auf, wie kalt mir ist. Er ist schön warm und ich rücke näher an ihn heran. Es ist noch etwas gewöhnungsbedürftig, denn das was zwischen uns ist, habe ich noch nie vorher gespürt. Liebe.
Von so vielen Gefühlen, die am heutigen Tag auf mich eingeprasselt sind, schwirrt mir der Kopf.
>>Was hat die denn für Probleme<<, lacht einer der Kerle.
>>Anscheinend haben Angens geistige Probleme. Habt ihr gesehen, wie sie abgedreht ist? So eine gute Show gabs hier schon lange nicht mehr.<< Jetzt fallen die anderen in das Gelächter mit ein. Wow. So denken sie jetzt also von uns. Geistig Gestörte. Rumer scheint mir doch nicht so tough zu sein, wie sie es immer tut. Ich kann sie jetzt nicht alleine lassen. Ich will sie in den Arm nehmen, sie im Ruhigen wissen.
Also löse ich mich aus Derecks Umarmung und springe auf. Ich kann mir dieses Geläster sowieso nicht mehr länger anhören. Wut steigt in mir hoch und ich beginne in die Richtung zu rennen, wo ich Rumer vermute. Doch jemand schnappt sich meinen Arm und hält mich fest. Es ist Dereck. Er zieht mich in seine Arme und ich merke, wie ich anfange zu hyperventilieren.
>>Hey, ganz ruhig. Atme tief ein und wieder aus. Das hilft.<< Dereck streichelt mir über den Rücken und spricht mir immer wieder aufmunternd und ruhig zu.
>>Ich muss sie suchen. Sie kann doch jetzt nicht alleine sein. Sie braucht jetzt jemanden, der für die da ist.<< Ich will mich schon wieder losmachen, doch Dereck hält mich auf.
>>Livvy, sie hat jemanden. Navin ist bei ihr und kümmert sich um sie, okay? Mach dir keine Sorgen, meine Kleine.<< Er hat recht. Ich sollte mich nicht mehr so sehr aufregen und anfangen mich zu entspannen. Eine Weile stehen wir noch eng umklammert in der Dunkelheit.
>>Du solltest dich jetzt langsam mal hinlegen. Heute ist ziemlich viel passiert, nicht das du nachher noch einen Nervenzusammenbruch bekommst.<< Liebevoll sieht Dereck mir in die Augen.
Es hat keinen Sinn zu protestieren. Mein Kopf wäre heute sowieso zu nichts mehr in der Lage. Und Rumer hat Navin, ihren Jagdpartner und, meiner Meinung nach, besten Freund.
Ich greife nach Derecks Hand, die meine behutsam umschließt. Vor meinem Zelt bleiben wir stehen.
>>Gute Nacht. Und danke für den Tag heute.<<, flüstert Dereck mir zu. Meine Wangen glühen, als sein heißer Atem meinen Hals streift.
>>Nacht.<< Zu mehr Worten komme ich gar nicht, da Dereck seine Lippen auf meine legt. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist, als unsere Lippen sich voneinander lösen. Aber mir erscheint es so, als wenn die Zeit viel zu schnell gelaufen ist.
Er lächelt mir noch einmal zu und dreht sich dann um. Er geht in Richtung des Feuers und setzt sich neben Keeden auf einen umgekippten Baumstamm.
Mit noch immer feuerroten Wangen und einem breiten Grinsen im Gesicht öffne ich das Zelt und lege mich in meinen Schlafsack. Der Stoff ist kühl und ich bekomme eine Gänsehaut. Die Stille und die Dunkelheit veranlassen meinen Kopf dazu, Gedanken und Erinnerungen wieder und wieder vor meinem inneren Auge abzuspielen. Vergangenes aus einer Zeit, die mich wie ein Schatten verfolgt. Als sich der Reißverschluss des Zeltes öffnet zucke ich zusammen. Ich habe noch nicht mir Rumer gerechnet. Aber die Person, die sich jetzt gerade neben mich legt ist nicht Ru.
>>Ich konnte dich hier nicht einfach alleine liegen lassen.<< Mein Herz beginnt zu Rasen und ich kuschle mich an seine warme Brust.
>>Du bist ja eiskalt. Lass mich mal mit in deinen Schlafsack, dann wird der schneller warm.<<, flüstert er. Kurz darauf liegen Dereck und ich eng aneinander geschmiegt in meinem Schlafsack. Jetzt wo er da ist, ist es so, als würden alle meine Sorgen sich in Lust auflösen.
Eine Weile genieße ich noch seine Nähe. Doch die Müdigkeit macht sich über uns breit und wir schlafen ein.

Mittwoch, 13. Februar 2013

Rumer (27.)

Alle schweigen und starren mich fassungslos an. Es ist als hätte ich gerufen: >>Hey Leute, lasst uns alle von einer Klippe Spingen, wie Lemminge!<<.
Nach ein paar Sekunden fangen einige an zu tuscheln und entsetzt die Köpfe zu schütteln, als sei ich vollkommen verrückt geworden. Sogar meine Freunde scheinen nicht zu wissen, was sie davon halten sollen. Nur Navin lehnt sich neugierig nach vorne, stützt die Ellenbogen auf den Knien ab und legt sein Kinn auf seine zusammengefalteten Hände. Die Frage ist nur, ob er es macht, weil es ihn echt interessiert, was ich zu sagen habe, oder ob er nur gespannt darauf wartet, dass sie mich fertig machen. Ich würde auf letzteres tippen.
>>Und wie stellst du dir das vor?<<, fragt einer der Ausgestoßenen. Ich kenne ihn. Er heißt Chazz und hat uns damals bei der Flucht geholfen.
>>Wir kämpfen.<<, sage ich ohne zu zögern.
Die Ausgestoßenen schnauben verächtlich. Einer ruft: >>Die Experimente haben dir wohl dein Gehirn vernebelt, was Blondi?<<
Wütend presse ich die Kiefer zusammen und versuche nicht auszurasten. So ruhig ich kann antworte ich: >>Nein, haben sie nicht! Ich sehe es nur als unsere menschliche Pflicht die Machenschaften der Wissenschaftler zu stoppen! Wir dürfen nicht zulassen, dass weiterhin unschuldige Kinder ihrer Kindheit beraubt werden, um die Versuchskaninchen für kranke Strahlungsversuche zu spielen!<<
>>Du bist doch nicht einmal mehr ein Mensch!<<, ruft jemand. Das ist wie ein Schlag in den Magen und ich zucke zusammen. Ich schließe kurz die Augen, um mich zu beruhigen, dann öffne ich sie wieder.
>>Hättest ihr nicht auch gewollt, dass uns jemand rettet? Das irgendjemand aufgestanden wäre und gesagt hätte, so kann es nicht weiter gehen? Denkt doch nur daran wie viel Schmerz es uns erspart hätte.<< Ich versuche das Zittern zu unterdrücken, dass mich jedes Mal überkommt, wenn ich zurück an das Labor denke, aber es gelingt mir nicht so richtig.
>>Uns hat aber niemand gerettet! Keiner hat etwas getan!<<, meint jemand. Zustimmendes Gemurmel geht durch die Reihen.
>>Das ist unsere Chance es zu machen! Unsere Chance besser zu sein, als die anderen! Unsere Chance, das Richtige zu tun!<<, sage ich lauter und lasse meinen Blick über die Gesichter der Menschen streifen. Sie werden nicht mitkommen, das wird mir klar. Das hier sind gebrochene Menschen. Genau wie ich. Aber im Gegensatz zu mir haben sie sich aufgegeben. Das könnte ich nicht. Wenn ich aufhören würde zu kämpfen, würde ich daran zu Grunde gehen. Das darf ich nicht zulassen! Aber allein kann ich nicht viel ausrichten.
>>Du bist doch verrückt! Warum sollten wir mit dir gemeinsame Sache machen? Du bist keine von uns!<< Das war zu viel für mich. Wut keimt in mir hoch und meine Muskeln spannen sich an.
>>Ihr habt doch nur Angst! Angst etwas zu tun! Angst euer Leben zu riskieren, um andere zu retten! Sie haben euch gebrochen! Und ihr habt es zugelassen! Ihr seid Feiglinge! Elende Feiglinge!<<, schreie ich. Plötzlich schlingen sich zwei starke Arme um mich und zerren mich weg vom Lagerfeuer. Ich schlage und trete um mich, versuche dem Griff zu entkommen, aber ich schaffe es nicht. Die anderen sehen mich an, als wäre ich verrückt. Selbst Livvy und Dereck. Meine Freunde. Und das trifft mich noch schlimmer, als alles andere. Jegliche Kraft weicht aus mir und ich lasse mich widerstandslos wegbringen.
Erst, als wir so weit weg sind, dass ich die Stimmen der Leute nicht mehr hören kann, lassen die Arme mich los und ich stolpere nach vorn. Leider habe ich meine Kraft noch nicht wieder erlangt, sodass meine Beine einknicken und ich falle. Doch bevor ich auf dem Boden aufprallen kann, greifen zwei Hände um meine Taille und ziehen mich an eine starke Brust. Jetzt stehe ich so nah an der Person hinter mir, dass ich ihren Herzschlag am Rücken spüre.
Im ersten Moment, bin ich echt froh, dass ich aufgefangen wurde und nicht mit dem Gesicht im Dreck gelandet bin, aber schon im Nächsten wünsche ich mir nichts sehnlicher, als allein zu sein, denn Tränen steigen in meine Augen. Verdammt! Nicht jetzt!
Damit ich wenigstens weiß, wer mich gleich beim Heulen sieht(damit ich ihm aus dem Weg gehen kann, bis wir wieder weg sind), werfe ich einen Blick über die Schulter. Oh verdammt! Es ist (natürlich) Navin. Und ich heul, wie eine bekloppte. Besser kann es ja gar nicht kommen. Schnell sehe ich wieder weg.
Die Tränen laufen ungehindert meine Wangen runter und ich versuche sie wegzuwischen, aber es kommen immer und immer wieder Neue nach. So schnell, dass ich mit dem Wegwischen nicht hinterher komme, also lass ich es einfach sein. Bringt ja sowieso nichts! 
Am liebsten würde ich mich von Navin losmachen und weiter in den Wald rennen, aber ich weiß ganz genau, dass meine Beine mich nicht tragen würden. Und jetzt ist es ohnehin zu spät. Er hat schon gemerkt das ich weine. Wie peinlich!
Seine Arme schlingen sich wieder um mich und er zieht mich näher an sich heran. Da er wesentlich größer ist als ich legt er sein Kinn auf meinen Kopf. Zu meiner Verwunderung ist es tröstlich, dass er mich nicht auslacht, sondern nur...für mich da ist. Mal wieder. Ich drehe mich in seinen Armen herum und schmiege mein Gesicht an seine Brust, während er mir beruhigend übers Haar streicht und immer wieder >>Ist ja gut. Ich bin da.<<, murmelt.
Und so stehen wir da, bis die Tränen langsam verebben und ich aufhöre zu Schluchzen. Navin legt seine Hände auf meine Schultern und hält mich eine Armlänge von sich weg, so dass er mich mustern kann.
>>Geht's wieder?<<, fragt er und wischt mir die letzten Tränen weg. Ich nicke und weiche verlegen seinem Blick aus. Seit Jahren habe ich nicht mehr geweint. Jedenfalls nicht in Anwesenheit anderer. Jetzt komme mir verletzlich vor... hilflos. >>Hey, keine Sorge. Ich werde schon niemandem sagen, dass die starke, tapfere Rumer geweint hat.<<, sagt Navin nach einer Weile und lächelt. Aus irgendeinem Grund lächel ich zurück, dann holen mich die Ereignisse von vorhin wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.
>>Sie halten mich verrückt. Sie alle.<<, sage ich mürrisch und trete einen Stein weg, der in der Nacht verschwindet.
>>Jap, das tun sie.<<, stimmt Navin mir zu. Seine Augen verfolgen mich, wie ich auf und ab gehe.
>>Du bist nicht gerade gut im aufmuntern.<<, schnaube ich und binde mir meinen Pferdeschwanz neu, da sich die meisten Haare ohnehin gelöst haben und wirr abstehen.
>>Ich bin auch nicht hier, um dich aufzumuntern.<<, sagt er ernst und packt mich am Arm. >>Bleib stehen. Du machst mich ja ganz nervös.<< Also bleibe ich stehen.
>>Warum bist du  dann hier? Damit ich niemandem an die Kehle gehe?<<, frage ich und verschränke die Arme vor der Brust.
>>Nein. Na ja, das auch, aber hauptsächlich, weil ich es nicht ertragen konnte, wie alle dich fertig gemacht haben.<<, meint er und sieht kurz weg. Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Aber ich muss auch gar nichts sagen, denn Navin spricht weiter. >>Und weil ich finde, dass du recht hast.<<
Das lässt mich aufhorchen. >>Was?<<
>>Du hast recht. Wir müssen diese Bastarde aus diesem scheiß Labor aufhalten! Wenn ich daran denke was sie dir... was sie all diesen Menschen angetan haben und noch immer antun...<< Er lässt den Rest des Satzes bedrohlich in der Luft hängen.
Das gibt mir neue Kraft. Ein Verbündeter ist besser, als keiner. Und dazu noch jemand, der mit Waffen umgehen kann. Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. >>Und was soll das jetzt genau heißen?<<, frage ich ihn.
Navin grinst ebenfalls. >>Das ich mit dir in den Krieg ziehen werde!<<


Sonntag, 10. Februar 2013

Livvy (26.)

Rumer kommt auf uns zu gestampft. Keeden folgt ihr. Beide wirken nicht gerade so, als wären sie gut drauf. Und damit ich nicht blöd angemacht werde, frage ich lieber nicht nach.
Dereck muss gerade als Haarmodell von Willow herhalten. Sie flechtet ihm die Haare. Auch wenn sie nicht gerade die Länge dafür haben. Er sitzt da und lächelt ein wenig beunruhigt darüber, was Willow mit seinen Haaren anstellt. Ich muss mir die ganze Zeit über das Lachen verkneifen.
>>Zwingt sie ihn, oder will er das?<<, flüstert mir Rumer zu.
>>Er musste sich geschlagen geben.<<, antworte ich wahrheitsgemäß. Rumer verkneift sich ihr lachen, doch Keeden, der jetzt neben ihr steht, fängt bei Derecks Anblick lauthals an zu lachen. Jetzt können Rumer und ich uns auch nicht mehr zurückhalten und prusten ebenfalls los.
Willow ignoriert unser Gegacker und flechtet fröhlich weiter neue Mini-Zöpfchen. Der einzige, der die ganze Sache nicht ganz so amüsant findet, ist das Modell persönlich. Es sitzt mittlerweile schmollend und mit verschränkten Armen in Willows "Gefangenschaft".
Es vergehen ein paar Minuten, bevor die Flecht-Meisterin ihr Versuchsobjekt mit einem "ganz okay" laufen lässt. >>Aber wehe du machst die Zöpfe raus, verstanden?! Dann gibts Ärger!<<, droht sie ihm mit funkelnen Augen. Dann dreht sie sich, zufrieden lächelnd um und geht zu ihrem ach so tollen "Freund".
Dereck steht auf und kommt mit unsicheren Schritten auf uns zu. Er macht ein Gesicht, als wäre er gerade gefoltert worden. Seine Zöpfchen fallen kreuz und quer über seinen Kopf.
>>Sieht es sehr schlimm aus?<< Fragend sieht er uns an.
>>Also wenn du mich fragst, das solltest du öfter so tragen. Das bringt deine Weiblichkeit so richtig schön zur Geltung!<<, stachelt Rumer ihn an. Keeden fängt an zu lachen und Dereck grillt ihn mit seinem Blick. Doch er fängt sich schnell wieder. Er setzt ein hochnäsigen Gesichtsausdruck auf und betrachtet Rumer ein wenig herablassend.
>>Danke meine Liebe. Ich bin sehr erfreut das zu hören. Aber du solltest dich mal lieber nach einem Bad umsehen.<<, sagt Dereck gespielt weiblich und lacht. Rumer schlägt ihm auf die Schulter.
>>Pass auf, was du sagst Weib!<< Rumers Augen leuchten provozierend.
>>Hey, hey. Mädels beruhigt euch.<< Keeden stellt sich schlichtend zwischen die beiden. Oh man. Wo gibt es schon besseres Entertaintment, als hier bei meinen Freunden.
>>Jetzt mal ehrlich Dereck. Willst du jetzt den ganzen Tag mit dieser...Frisur... rumlaufen?<< Keeden sieht ihn mit einem belustiged Blick an.
>>Wieso? Findest du die etwa nicht hübsch?<< Gespielt entsetzt schmollt Dereck vor sich hin.
>>Also um ehrlich zu sein, nein. Ich muss mir schon die ganze Zeit einen Kotzkrampf zurückhalten. Und deiner Flamme scheint die Frisur auch nicht zu gefallen.<< Hat Keeden mich gerade ernsthaft als Derecks Flamme bezeichnet? Meine Wangen erröten. Rumer fängt an zu lachen.
Derecks und mein Blick treffen sich. Seine grau-grünen Augen fesseln mich und ihm scheint es umgekehrt genauso zu ergehen.
Rumers Lachen verstummt. Für einen Augenblick herscht Stille. Doch dann räuspert sich Rumer.
>>Ich denke, wir sollten mal besser nach Willow sehen, bevor ihr noch etwas passiert.<< Sie schnappt sich Keeden und entfernt sich von uns. Dereck und ich sehen uns immernoch in die Augen. Nach einer gefühlten Ewigkeit breche ich das Schweigen.
>>Äh, ich denke, du solltest dir mal deine Zöpfchen rausmachen. Ich passe schon auf, dass dich Willow nicht umbringt.<<
Er lächelt mich an. Dabei kommen zwei kleine Grüpchen zum Vorschein, die meinem Herz einen kleinen Flatteranfall bereiten.
>>Ja, du hast Recht. Ich komm mir schon ziemlich albern vor.<< Unbeholfen fängt er an, eine der Flecht-Stränen auseinander zu tüdeln. Man merkt ihm an wie unerfahren er in Sachen Flechtzöpfen ist, da er geschlagene fünf Minuten damit zubringt, eine Sträne zu entwirren.
>>Wenn du so weiter machst, dann bist du erst Übermorgen fertig. Lass mich das mal machen.<<, sage ich und lache.
>>Ich hatte eben noch nie so eine Frisur. Danke.<< Er setzt sich vor einem umgestürzten Baumstamm auf den Boden. Ich setze mich darauf und beginne mit der Arbeit. Sein goldbraunes Haar ist weich und für einen kurzen Augenblick vergesse ich, dass ich eigentlich nur die Zöpfe rausmachen sollte.
>>Bin soweit. Jetzt sind deine Haare wieder ganz die Alten.<<, sage ich und tätschele ihm mit der flachen Hand auf den Kopf. Er wuschelt sich seine Haare durch, um sich zu vergewissern, dass ich auch nichts übersehen habe. Dann steht er auf und dreht sich zu mir.
>>Du bist ein Engel, danke! Du hast eindeutig was gut bei mir. Schließlich hast du mein Leben gerettet.<< Er übertreibt eindeutig.
>>Tja, was würdest du nur ohne mich tun?!<<, erwidere ich und knuffe ihm in die Seite. Er hebt mich hoch und stellt mich vor sich auf dem Boden ab. Dann wuschelt er mir durch die offenen Haare.
>>Hey, mann hör auf damit.<< Doch er hört nicht auf mich. Ich boxe ihm ein paar mal in den Bauch, doch er lacht nur. Ich schubse ihn und er fällt gespielt einen Schritt nach hinten.
>>Oh, jetzt wird hier aber jemand aggresiv. Muss ich jetzt Angst kriegen?!<< So so, dieses süße Kerlchen will mich also provozieren. Doch bevor ich ihn nochmal knuffen kann, schnappt er sich mich dreht mich um, nimmt mich in seine Arme und schleudert mich mehrmals in die Runde. Jetzt lachen wir beide und als er michwieder auf dem Boden abstellen verliere ich mein Gleichgewicht und falle hin. Dabei ziehe ich ihn mit mir und er landet halb auf mir im weichen Gras.
Noch etwas außer Atem von rumgealber vorhin, sehen wir uns in die Augen. Er lächelt mich an. Sein Blick wirkt auf einmal so liebevoll. Er beugt sich zu mir runter und unsere Lippen berühren sich. Mein Herz fängt an schnell und unregelmäßig zu schlagen. Seine weichen Lippen und meine verschmelzen und die Welt um uns herum scheint still zu stehen.
Nach endlos erscheinender Zeit lösen sich unsere Lippen von einander und Dereck legt sich neben mich ins Gras. Ich drehe mich noch leicht zittrig zu ihm um. Er lächelt mich mit seinem Grüpchen-Lächeln an. Ist das gerade wirklich passiert oder träume ich nur? Mein Kopf ist zu verwirrt um klar zu denken, also versuche ich es erst gar nicht.
>>Ich glaube, wir sollten mal zu den anderen gehen. Es dämmert schon<< Derecks Stimme holt mich zurück in die Realität. Haben wir wirklich den ganzen Nachmittag hier auf dem Boden gelegen? Ich ergreife seine Hand und er hilft mir auf die Beine. Ich muss mich einfach nochmal vergewissern.
>>Das war doch kein Traum oder?<< Bitte sag, dass es kein Traum war. Er lächelt mich an und legt seine Hände liebevoll auf meine Wangen.
>>Nein, zum Glück nicht.<< Schon wieder Herzrasen. Ich wundere mich, dass es überhaupt noch schlägt nach dem Tag heute. Derecks Hand umschlingt meine und er zieht mich mit sich zu einem Lagerfeuer, dass gerade von den Ausgestoßenen entzündet wird.
Rumer sieht uns und lächelt wissend. Sie sitzt auf einem der Baumstumpfe, die als Bänke um das Feuer platziert wurden. Dereck und ich nehmen neben ihr platz.
Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, haben alle Ausgestoßenen ebenfalls ihre Plätze eingenommen. Wir werden ausgefragt, was wir in der Zeit zwischen der Flucht und den heutigen Tag gemacht haben. Einer nach dem anderen von uns Vieren erzählt seine Geschichte. Nachdem wir mit dem Beantworten der Fragen fertig sind, wird der Spieß nun umgedreht.
>>Ist das Labor immer noch am experimentieren?<<, will Rumer wissen.
>>Ja, und so wie es scheint, werden sie das auch nicht aufgeben. Trotzdem seid ihr bisher die Einzigen mit positivem Resultat.<<, antwortet Stirn-Hand-Kerlchen.
Neben mir zieht Rumer scharf die Luft ein. Ich drehe mich zu ihr. Ihr Körper wirkt auf einmal angespannt und verkrampft. Ihre zitternden Hände ballt sie zu Fäusten. Auf einmal springt sie auf und schreit: >>Wir müssen diese verschissenen Mistkerle stoppen!<<

Mittwoch, 6. Februar 2013

Rumer (25.)

Meine Muskeln spannen sich an, als ich Navin auf uns zukommen sehe. In mir regt sich Wut und ich würde ihn an liebsten anspringen und erwürgen. Aber ich halte mich zurück. Es würde uns Angens nicht gerade harmlos aussehen lassen, wenn ich Navin jetzt angreifen würde. Auch wenn er es verdient hat. Voll und ganz!
>>Hey. Lange nicht mehr gesehen, Rumer.<<, meint er und mustert mich von oben bis unten, was mir ehrlich gesagt ziemlich unangenehm ist. Ich trete einen Schritt zurück.
>>Zu kurz, wenn du mich fragst.<<, sage ich und verstaue meine Sachen im Zelt, nur um irgendwas tun zu können.
>>Ich geh mal und schau, wie's Willow geht.<<, meldet sich Liv zu Wort und macht sich aus dem Staub. Verräterin!
>>Und hast du mich vermisst?<<, fragt Navin und kommt einen Schritt näher. Ich gehe syncron einen zurück.
>>Als wenn ich dich vermissen würde. Ich habe mich gefreut dich endlich los zu sein. Apropos, was machst du eigentlich hier?<< Ich sehe ihn fragend an und weiche noch ein wenig zurück. Er ist mir viel zu nahe für meinen Geschmack. Seit unserer letzten Begegnung, wo er mich geküsst hat, fühle ich mich unwohl, wenn er so nahe an mich herankommt. Na ja, noch unwohler als sonst, wenn er nur seine anzüglichen Bemerkungen gemacht hat.
>>Ich hab die Ausgestoßenen vor den Angens gewarnt, wie man es mir aufgetragen hat.<<, antwortet er und grinst, weil er weiß, wie ich darauf regieren werde.
>>Wieso warnst du sie? Sie hätten uns umbringen können!<<, schreie ich ihn an und balle die Hände zu Fäusten. Der Typ regt mich einfach auf!
>>Hätte ich gewusst, dass ihr hier her kommt, hätte ich es ihnen nicht gesagt, aber ich wusste es nun mal nicht, mir sagt ja keiner was.<< Da hat er leider recht. >>Außerdem bist du ja nun echt nicht gerade harmlos.<<, antwortet er und hält seine eine Hand in die Luft, in deren Mitte eine fast verheilte Wunde ist, von dem Pfeil, den ich hindurch geschossen habe. Ein Beweis dafür, wie leicht ich die Beherrschung verliere, wenn es um meine Freunde geht. Ich habe Liv retten wollen, obwohl ich nicht mal wusste, ob sie sich nicht vielleicht verändert hat und mich für eine Verräterin hält, weil ich sie damals allein gelassen habe, um Keeden und Dereck zu suchen. Damit sie leben kann, hätte ich einen Rausschmiss beim Cazanara-Stamm in Kauf genommen. Eine Existenz, als Einzelgängerin. Aber ich würde es immer wieder tun, denn Liv, Keeden und Dereck sind meine Familie und ich würde für jeden von ihnen mein Leben geben.
Trotzdem muss ich lernen mich besser unter Kontrolle zu halten und Navins Wunde, beziehungsweise, die Narbe, die zurückbleiben wird, wird mich ewig daran erinnern. Vorausgesetzt ich erschieße ihn nicht vorher.
>>Gewissensbisse?<<, fragt Navin und sieht mich herablassend an. Ich presse die Kiefer zusammen.
>>Wieso, sollte ich?<<, will ich wissen und sehe ihn herausfordernd an. Er grinst selbstzufrieden. Oh, oh. Ich kenne dieses Grinsen. Es bedeutet nichts Gutes.
>>Vielleicht, weil selbst dir endlich mal klar geworden ist, dass ich, trotz der ganzen Scheiße, die du mit mir abziehst und obwohl du nicht wirklich nett zu mir bist, immer zu dir gehalten habe.<< Er hat recht. Selbst als ich vor dem Stamm geflohen bin und er mich eigentlich hätte fangen oder töten sollen, hat er mir noch geholfen und mir meine Sachen gebracht. Ich konnte mich immer auf ihn verlassen. Und behandel ihn trotzdem scheiße. Na toll! Jetzt hab ich echt Gewissensbisse!
>>Danke.<<, bringe ich hervor und zwinge mich dann die nächsten Worte auszusprechen: >>Ich schulde dir was.<<
Das Grinsen in seinem Gesicht wird verschlagen. Das bedeutet noch weniger Gutes als das andere.
>>Mir fällt auch schon etwas ein.<<, sagt er und kommt näher. Ich bin unfähig mich zu bewegen, denn mein Gehirn ist noch am arbeiten, was er wohl meinen könnte. Kurz vor mir bleibt er stehen und beugt sich zu mir runter. >>Küss mich.<<, haucht er mir ins Ohr. Ich schaudere und sehe ihn erschrocken an. Das kann nicht sein Ernst sein. Aber sein Blick sagt mir, dass es sein voller Ernst ist. Er legt seine Hände an meine Hüfte und zieht mich näher zu sich heran. Meine Haut kribbelt überall wo er mich berührt und ich bin immer noch nicht in der Lage etwas zu tun.
Plötzlich überschwemmt mich eine Welle aus Zorn und Eifersucht und Navin wird von mir weggerissen. Erschrocken sehe ich Keeden an, der aussieht, also wolle er Navin an die Kehle gehen.
Navin bleibt mal wieder vollkommen gelassen und sieht mich belustigt an: >>Ein Freund von dir?<<
Bevor ich antworten kann, meint Keeden gereizt: >>Wer bist du denn, wenn man fragen darf?<<
>>Ich bin ihr Freund.<<, antwortet Navin, der das Ganze auch noch lustig zu finden scheint, seelenruhig und legt mir einen Arm um die Schultern. Keedens Schmerz überwältigt mich, so dass ich wieder richtig zu mir komme.
Ich stoße Navin weg und brülle: >>Das könnte dir so passen, was? Verpiss dich!<<
>>Na schön. Dann hole ich mir den Gefallen, den du mir schuldest ein anderes Mal.<<, meint Navin und drückt mir einen Kuss auf die Wange. >>Ich hab dein Temperament vermisst, Rumer.<< Mit diesen Worten dreht er sich um und geht weg. Gegen meine Willen schaue ich ihm nach. Bis mir klar wird, dass Keeden immer noch neben mir steht und mich ansieht.
>>Wer war das?<<, fragt er und weicht meinem Blick aus. Es ist ihm unangenehm, dass er so ausgetickt ist, dass kann ich spüren. Und es ist ihm unangenehm seine Gefühle mir gegenüber so offensichtlich gezeigt zu haben. Um ehrlich zu sein, ist es mir genauso unangenehm.
>>Mein alter Jagdpartner. Wir haben uns beim Cazanara-Stamm kennen gelernt.<<, erzähle ich und suche nach einer Möglichkeit diesem Gespräch zu entkommen.
>>Hast du was mit ihm?<< Keedens Stimme bebt, als er das fragt.
>>Nein!<<, sage ich entsetzt und muss dann lachen.
>>Was ist so witzig?<<, will Keeden wissen und schaut mir in die Augen. Als unsere Blicke sich treffen vermischen sich unsere Gefühle für einen Moment zu einem großen Strudel und ich kann nicht mehr auseinander halten, was zu wem gehört. Dann habe ich mich wieder unter Kontrolle und hole tief Luft.
>>Navin ist so ziemlich der letzte Kerl auf dieser Welt mit dem ich was anfangen würde.<<, antworte ich schließlich auf Keedens Frage. Er sieht beruhigt aus und lächelt. Ich versuche zurück zu lächeln, aber mir geht einfach nicht dieses Gefühl aus dem Kopf, wie es war, als Navin mich an sich gezogen hat.
Bevor etwas davon zu Keeden überspringen kann, sage ich: >>Wir sollten zu den anderen gehen.<< und stapfe an ihm vorbei auf Livvy, Dereck und Willow zu, wobei mir auffällt, dass Willow mich ansieht, als wolle sie mich umbringen, aber das ignoriere ich. Wenn es wegen "ihrem Freund" ist, dann ist es sowieso unnötig, wenn sie sauer auf mich ist. Ich steh nicht auf Navin und er nicht auf mich. Er versucht nur mich zu ärgern, weil es ihm Spaß macht mich wütend zu sehen.
Aber zwei Dinge sind mir jetzt vollkommen klar und die werde ich nie wieder vergessen: Navin ist immer für mich da, wenn es wirklich drauf ankommt.
... Und ich schulde ihm einen Gefallen.

Sonntag, 3. Februar 2013

Livvy (24.)

Willow! Oh mein Gott, meine Kleine. Sie ist hier. Sie lebt noch!
Sie kommt auf mich zu gerannt und ich schließe sie in meine Arme. Vor lauter Glück und Wiedersehensfreude fangen wir beide an zu weinen.
Ich habe mich so auf den Tag gefreut an dem ich sie, meine Blutsschwester, in den Arm nehmen und nie wieder her geben kann. Und er ist wahr geworden. Es steht zwar ein Haufen von Ausgestoßenen um uns alle herum, die ihre Waffen noch immer auf uns gerichtet haben. Aber das ignoriere ich. Das wichtigste ist, dass ich Willow bei mir habe.
>>Willow! Was sind das für Leute?<<, ruft der Kerl, dem Rumer gerade ein Messer vor die Kehle hällt. Sie löst sich aus meiner Umarmung und wischt sich die Tränen von ihren rosigen Wangen.
>>Das ist meine Schwester Livvy. Und wenn mich nicht alles täuscht, dann sind die anderen hier Rumer, Dereck und Keeden.<<, antwortet sie mit leicht brüchiger Stimme.
Einige der Ausgestoßenen lassen ihre Pfeile sinken. Mein Blick wandert durch die Reihen. Keines der Gesichter kommt mir bekannt vor. Also sind die, die uns bei der Flucht geholfen haben entweder tot, oder sie sind noch im Genlabor gefangen. Keine der beiden Optionen würde ich ihnen wünschen. Aber ich bin ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet.
>>Ist deine Schwester nicht ein Angen?<<, ertönt eine tiefe Stimme aus den hinteren Reihen. Ein raunen geht durch die Menge.
>>Alle vier sind Angens!<<, erwidert eine weitere Stimme irgendwo hinter mir. Das Gemurmel verstummt.
>>Bringen wir sie ins Lager. Da fesseln wir sie und entscheiden dann, was wir mit ihnen machen.<<, sagt ein Typ mit einer Hand auf der Stirn. Er geht auf Rumer zu und nimmt ihr das Messer weg. Moment mal. Er hat eine Hand auf der Stirn? Ihm wächst eine Hand über seinen Augen. Keeden und Dereck scheinen es auch bemerkt zu haben, denn sie machen sich gerade über ihn lustig.
Einen Moment später bekommen beide eine schallende Ohrfeige vom Stirn-Hand-Kerlchen. Ich glaube, ich könnte mit so was nicht leben, wer soll einen denn da noch ernst nehmen. Und gesund ist sowas bestimmt auch nicht.
Jemand stößt mir eine Hand in den Rücken, sodass ich nach vorne stolper. Wir werden zu einer großen Lichtung gebracht, wo uns mehrere Typen Hand- und Fußgelenke fesseln.
>>Die sind keine Gefahr für uns.<<, sagt ein großgewachsener Junge. Ich erkenne ihn wieder, es ist Chazz. Er hat uns bei der Flucht geholfen.
>>Wie sollen wir uns da denn sicher sein. Sie sind Angens, woher sollen wir uns sicher sein, dass sie uns nichts antun wollen?!<<, meint der Stirn-Hand-Kerl und mustert uns verächtlich.
>>Sie ist meine Schwester! Und ich weiß, dass sie nie einer Fliege was zu Leide tun würde. Genau wie Rumer und die beiden Kerle.<<, schreit Willow aufgeregt.
>>Du hast sie doch schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, oder? Menschen verändern sich schneller als man denkt.<<, erwidert ein weiterer Kerl.
>>Wir sollten nicht jedem blind vertrauen, der behauptet nett zu sein.<<, ertönt es von weiter hinten.
>>Aber sie sind nett. Das weiß ich. Sie ist meine Schwester!<< Willow hat vor Verzweiflung und Wut Tränen in den Augen. Aber sie fängt sich schnell wieder und wischt die Tränen mit ihrem Ärmel ab.
>>Wie können wir ihnen denn vertrauen, wenn wir nicht wissen was sie für Wesen sind. Oder weiß hier irgendjemand, was Angens für Besonderheiten haben?<<
>>Sie altern langsamer, sobald sie ausgewachsen sind. Das war alles. Naja und ihre Augen sind mit Farbe durchzogen.<< Willow setzt sich für uns ein. Ich bin so stolz auf meine Kleine. Sie durchborrt jeden, der etwas gegen uns sagt, mit einem bösartigem Blick. Ich könnte schwören, wenn Blicke töten könnten, würde hier ein Haufen von Leichen rumliegen.
>>Dieser Kerl, der gestern hier angekommen ist, hat uns vor Angens gewarnt! Und jetzt sollen wir einfach so einem kleinen Mädchen glauben, dass sie harmlos sind?<<
Welcher Kerl? Oh man. Einer aus dem Cazanara-Stamm wahrscheinlich. Hätte mir auch klar sein können, nachdem sie mich erkannt haben, mussten sie ja die anderen warnen.
>>Wo ist er eigentlich gerade? Holt ihn her! Er soll mit entscheiden.<< Das Hand-Stirn-Kerlchen mischt sich wieder mit ins Gerede. Einige der Ausgestoßenen machen sich auf die Suche nach ihm. Willow kommt mit übertrieben breitem Grinsen auf mich zu.
>>Liv! Der Typ von dem die reden,<<, sie macht eine Pause und quiekt kurz, >>ist mein Freund. Er ist so heiß. Oh man. Ich bin so froh, dass du ihn kennen lernst!<< Sie springt auf einer Stelle auf und ab. Ihr honigkuchenpferdiges Grinsen bringt Rumer und mich zum lachen. Sie sieht damit eher aus, wie ein gequelter Esel.
>>Da ist er ja.<<, sagt ein Mädchen und lächelt versonnen. Ich lehne mich leicht zur Seite, weil Willow mir die Sicht versperrt. Zwischen den Ausgestoßenen läuft ein Kerl mit blondem Haar hindurch. Er kommt auf uns zu. Ich höre wie Rumer scharf die Luft einzieht. Da Willow jetzt zur Seite tritt, sehe ich den Typen genauer.
Moment mal. Er kommt mir bekannt vor. Das ist doch der arrogante Kerl, dem Rumer in die Hand geschossen hat. N.. Na.. Ich komme nicht auf seinen Namen.
>>Navin?!<<, zischt Ru entsetzt und gleichzeitig verwirrt. Genau...Navin!
Er mustert uns vier Gefesselten mit leicht spöttischem Blick.
>>Die beiden Kerle kenne ich zwar nicht, aber ich weiß, dass Angens nicht gefärhlich sind. Sie können nichts, was wir nicht auch können. Außer die Blonde hier. Die schießt Kerlen gerne mal durch ihre Hände.<<, sagt er und guckt Rumer herausfordernd an.
>>Und warum hast du uns dann gestern vor ihnen gewarnt?<<, fragt ein kleiner Junge.
>>Da wusste ich noch nicht, dass sie hier herkommen. Und solltest du nicht noch mit Puppen spielen, anstatt dich hier einzumischen?<< Der kleine Junge sieht verletzt aus.
>>Ist er nicht einfach heiß?<<, schwärmt Willow verträumt. Also Navin ist ihr Freund?! Er schenkt ihr nicht mal einen Blick. Wahrscheinlich einseitiges Verlangen einer 12-jähirgen.
Nach weiteren endlos lang wirkenden Minuten des Diskutierens werden unsere Fesseln endknotet und wir sind frei. Rumer kommt zu mir rüber und stellt sich neben mich.
>>Na, dein Kerl hat uns echt aus der Patsche geholfen.<<, flüstere ich ihr zu und stoße ihr sacht mit meinem Ellenbogen in die Rippen. Sie funkelt mich böse an.
>>Er ist nicht mein Kerl!<<, zischt sie mich an. Willow, die unser Geflüster mitbekommen hat, grillt Rumer mit einem mörderischen Blick.
>>Ihr kennt euch?<<, fragt sie entsetzt.
>>Ja, wir waren drei Jahre lang Jagdpartner.<<, sagt Rumer und starrt Navin weiterhin ungläubig an. Ich kann sie verstehen. Er ist ein riesen Arschloch, und obendrein hat er sie bei ihrem Abschied geküsst. Das alles muss sie jetzt gerade ziemlich aus der Bahn geworfen haben.
Wütend stapft Willow zu ihrem Zelt. Wow, also ihre Stimmungsschwankungen sind heute aber ganz schön stark. Junge liebe...
Bei diesem Gedanken kommt mir Dereck in den Sinn. In den letzten Tagen haben wir uns zusammen wie kleine Kinder aufgeführt. Ich habe einfach immer gute Laune in seiner Nähe. Trotzdem bin ich unsicher im Bezug darauf, ob ich schon bereit für eine Beziehung bin.
>>Hey. Aufwachen Livvy!<< Wenn man vom Teufel spricht. Oder in meinem Fall denkt. Dereck steht vor mir und schnippst mit den Fingern um meine Ohren.
>>Häh, was?<<, frage ich noch leicht verträumt.
>>Wir können jetzt unsere Zelte aufstellen. Die anderen sind schon aufbauen gegangen. Nur du stehst hier noch rum und träumst.<<, sagt er und lacht. Meine Wangen erröten. Oh man ist das peinlich.
>>Was ist, willst du jetzt noch weiter träumen, oder mithelfen<< Dereck nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich her. Ich lasse mich von ihm mitziehen. Seine Hand ist warm und es fühlt sich gut an, sie zu halten. Meine Wangen glühen, naja brennen trifft es wohl eher.
Er setzt mich bei Rumer ab, die das Zelt schon fertig aufgebaut hat, lächelt mich verschmitzt an und geht dann zu Keeden. Ich sehe ihm nach. Er ist so heiß... Hör jetzt auf zu träumen, Livvy! 
Rumer, die mich von hinten in die Seiten pickst, lächelt mich mit diesem Blick an, der soviel sagt wie 'Aha, also du und Dereck? Rwar, ihr beiden seit so...'. Ich schubse sie zur Seite und wir lachen.
Doch auf einmal verdunkelt sich ihre Miene. Ich folge ihrem Blick und erblicke Navin, der auf uns beide zu schreitet.