Donnerstag, 8. August 2013

Rumer (49.)

Wie erstarrt, bleibe ich stehen und sehe Keeden mit großen Augen an. Meine Kehle schnürt sich zu und es kommt mir plötzlich so vor als wäre viel zu wenig Sauerstoff in der Luft.
>>Keeden.<<, wispere ich mit viel zu hoher Stimme und könnte mich insgeheim dafür verfluchen so verdammt schuldbewusst zu klingen. Ich habe nichts unrechtes getan. Ich kann nichts für seine Gefühle mir gegenüber und auch nichts für meine Gefühle für Navin. Warum fühle ich mich dann so schrecklich?
Da wird es mir klar! Es sind Keedens Gefühle die mich so zu Boden drücken und mir den Atem rauben. Er ist enttäuscht von mir. Und er ist wütend. Seine Wut und sein Zorn brennen in mir drin, vermischen sich miteinander und es fühlt sich an, als würde ich von Innen heraus verätzen. Doch der Zorn richtet sich nicht gegen mich, sondern gegen Navin.
>>Warum?<<, fragt Keeden und sieht mich traurig an. In seinen graublauen Augen kann ich erkennen, wie tief er verletzt ist und die Erkenntnis darüber, dass ich dafür verantwortlich bin, ist viel schlimmer als sein Zorn.
>>Ich liebe ihn.<< flüstere ich und obwohl ich sehr leise spreche, versteht er mich. Das kann ich daran erkennen, dass er die Hände zu Fäusten ballt.
>>Du redest dir nur ein ihn zu lieben.<<, faucht Keeden aufgebracht und kommt einige Schritte auf mich zu. Aus Reflex weiche ich zurück und obwohl es aus Versehen war, sehe ich Schmerz über sein Gesicht huschen, bevor wieder die ausdruckslose Maske an seine Stelle rückt. >>Er hat nur deinen instabilen Zustand ausgenutzt, damit du das denkst!<<
Fassungslos starre ich ihn an. >>Das ist nicht wahr.<<
Er schnaubt. >>Das weißt du doch gar nicht. Du hast keine Ahnung von Kerlen.<<
Autsch! Aber er hat recht. Ich hatte ja nie die Gelegenheit Erfahrungen zu sammeln, da meine Kindheit die ersten Jahre daraus bestanden hatte allein zu sein und Experimente an mir durchführen zu lassen. Und zu sterben. Und wiederbelebt zu werden. Dann hatte ich meine Freunde gefunden. Liv, Dereck und Keeden. Sie hatte ich eher als meine Familie betrachtet anstatt als irgendwas anderes.
Und dann nach der Flucht war ich zum Cazanara-Stamm gekommen, wo Navin der einzige Kerl war mit dem ich wirklich viel Kontakt hatte.
Ich hatte also keine Erfahrungen vorzuweisen außer die mit Navin und den einen Kuss mit Keeden. Aber das änderte nichts an der Echtheit meiner Gefühle. >>Man lernt dazu.<<, sage ich darum trotzig und verschränke die Arme vor der Brust.
>>Und das ist Grund genug gleich mit dem erstbesten in die Kiste zu springen?<<, stößt Keeden wutentbrannt hervor und spießt mich mit seinem Blick förmlich auf.
>>Neidisch das du es nicht warst?<<, fragt plötzlich jemand hinter mir höhnisch und ich wirbele herum. Navin ist nun ebenfalls aus dem Zelt gekommen und fixiert Keeden sichtlich belustigt.
>>Du elender Dreckskerl!<<, knurrt Keeden grimmig.
>>Ja, ja. Den Teil hab ich schon mitbekommen.<<, meint Navin gelangweilt und wedelt mit der Hand in der Luft, um das Thema bei Seite zu fegen. Dann mustert er mich. >>Tut mir leid, dass ich schon rausgekommen bin, aber das Geschrei von deinem Freund hier hat mehr als deutlich gemacht, dass er es eh schon weiß und da dachte ich mir ich sollte meine Freundin besser mal unterstützen.<<
Er hat mich seine Freundin genannt! Mein albernes Herz macht einen Satz und ich frage mich wann ich so verdammt kindisch geworden bin. Das ist ja nicht auszuhalten.
Bevor ich etwas erwidern kann, kommt Keeden mir zuvor. >>Sie wird schon noch zur Vernunft kommen und dich fallen lassen.<<
>>Achja? Das werden wir ja sehen.<< Navin grinst. Anscheinend amüsiert er sich diebisch darüber, dass Keeden sich so aufregt.
>>Ja, werden wir.<<, unterbreche ich die beiden. >>Und ehrlich gesagt, komme ich ganz gut ohne euch beide aus, wenn ihr euch benehmt wie kleine Kinder, die sich um ein Spielzeug streiten.<<
>>Aber es ist mein Spielzeug!<<, sagt Navin schmollend und hebt einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln.
Ich balle die Hände zu Fäusten. >>DU BIST SO EIN...<<
>>Verdammter Idiot?<<, schlägt er vor und hebt fragend eine Augenbraue.
Ich schreie frustriert auf. >>Ich gehe jetzt jagen. Und wenn ihr keinen Pfeil in eurem Körper stecken haben wollt, geht ihr mir besser aus dem Weg!<< Dabei werfe ich sowohl Navin als auch Keeden einen giftigen Blick zu und stapfe dann davon.
>>Noch einmal mehr oder weniger angeschossen werden, macht nun auch keinen großen Unterschied.<<, höre ich Navin noch murmeln ehe ich außer Hörweite bin.

Donnerstag, 1. August 2013

Livvy (48.)

Ein Tropfen kalten Wassers fließt über seine Schläfen. Behutsam streiche ich ihn mit der Fingerspitze über die Wange, und der Tropfen muss sich mit dieser Blockade geschlagen geben.
Dereck hatte eine unruhige Nacht. Wie froh ich war, dass er immerhin zwei Stunden am Stück geschlafen hat. Meine Augen konnte ich währenddessen nicht zum schließen überreden. Sie haben ihn die ganze Nacht über betrachtet, wie einen wertvollen Schatz, den es zu beschützen gilt.
>>Dereck, trink das hier.<< Ich reiche ihm eine Schüssel mit in heißem Wasser aufgekochten Kräutern. >>Bitte. Tu's für mich, bitte!<<
Mühsam hebt er seinen Kopf. Er sieht erledigt aus. Seine sonst so fluffigen goldbraunen Haare liegen in Strähnen an seiner Stirn. Ich kann dem Drang nicht wiederstehen, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen. Unterhalb seiner graugrünen Augen zeichnen sich tiefe dunkle Ringe ab.
>>Es wird dir helfen.<< Stützend lege ich ihm meine Hand an seinen Hinterkopf und halte mit der Anderen die Schüssel mit dem heilenden Kräutertee.
Nach dem ersten Schluck verzieht er das Gesicht und der Tee fließt aus seinem Mund zurück. Verzweifelt und flehend sieht er mich an.
>>Ich weiß. Aber bitte trink den Tee. Denk an etwas anderes. Sobald du ihn getrunken hast, gebe ich dir ein Stück Brot.<< Oh Gott, ich klinge schon wie seine Mutter.
Ihn so voller Schmerzen und Verzweiflung zu sehen, lässt etwas in mir zerbrechen. Es ist schrecklich. Es ist so furchtbar grausam, einen Menschen, den man über alles liebt, für den man sein Leben geben würde, in dieser Situation vor sich liegen zu sehen. Auch wenn ich Heilerin bin, kann ich nichts in meiner Macht stehende tun, um ihm all seine Schmerzen zu nehmen.
Ich kann nur neben ihm sitzen und ihm bei seinem Kampf gegen das Gift in seinem Körper die Hand halten. Rumsitzen und Däumchen drehen. Warum bin ich es nicht gewesen, die angefallen wurde? Warum tut man mir das an? Warum, verdammt, kann man mich mit sowas nicht einfach verschonen? Ich habe schon genug durchgemacht. Dereck hat das nicht verdient.
Die Schüssel ist leer. Seine Augen geschlossen. Eine Träne fließt mir über die Wange. Die Welt außerhalb des Zeltes scheint meilenweit entfernt.
Ich lege mich neben ihn. Halte seine Hand und hoffe. Hoffe und bete für meine Liebe.
In Gedanken gehe ich jedes einzelne Kraut durch, das ich kenne. Suchend wandere ich in den hintersten Winkeln meines Gedächtnisses. Nichts, das ich nicht schon probiert habe.
Atemzüge verstreichen. Derecks Brust hebt und senkt sich gleichmäßig.
Draußen beginnen die Vögel zu zwitschern. Ich öffne meine müden Augen und sehe die ersten Sonnenstrahlen durch die Zeltwand dringen. Derecks gleichmäßiger Atem beruhigt mich, und es dauert nicht lange bis auch ich einschlafe.
Noch halb am träumen reibe ich mir meine Augen. Neben mir sind noch immer gleichmäßige Atemzüge zu hören. Es sind nur ein paar Stunden vergangen höchstens. Ich drehe mich auf den Rücken und strecke meine müden Knochen.
Da ich nicht mehr einschlafen kann, kümmere ich mich um Derecks Biss. Ich wechsle gerade seinen Verband, als lautes Geschrei die Stille durchbricht.