Mittwoch, 30. Januar 2013

Rumer (23.)

Es sind jetzt sechs Tage vergangen, seit wir die Lichtung verlassen haben. Sechs Tage, in denen ich kaum mit den anderen gesprochen habe. Mir ist nämlich klar geworden, dass das alles viel zu schnell geht. Wie kann ich sicher sein, dass ich ihnen wieder so vertrauen kann, wie vor vier Jahren? Das ist eine verdammt lange Zeit gewesen und wie wir alle wissen, hat die Zeit, die nervige Angewohnheit Menschen zu verändern.
Natürlich bin ich froh sie wieder zu haben, aber jetzt, wo die erste Wiedersehensfreude langsam verflogen ist, schalltet sich der Teil meines Verstandes wieder ein, der sich in den letzten vier Jahren immer weiter ausgebildet hat und einen Großteil meiner selbst ausmacht: Vorsicht.
Wenn man in eine Gruppe fremder Leute aufgenommen wird, wie der Cazanara-Stamm es damals war, lernt man nicht jedem blind sein Vertrauen zu schenken. Um ehrlich zu sein, habe ich von all den Stammesmitgliedern nur Navin vertraut. Aus vielerlei Gründen. Zum Beispiel, weil es bei der Jagd absolut wichtig war und ja, auch, weil ich ihn irgendwie, auf eine ganz verdreht Art und Weise tief in mir drin mag. Ein wenig.
Liv und Dereck haben in den letzten Tagen viel zusammen rumgealbert, wie jetzt auch wieder. Sie laufen nebeneinander und schubsen sich spielerisch.
Keeden hat meistens geschmollt, oder so. Ich weiß es nicht so genau, weil ich versucht habe ihm aus dem Weg zugehen. Wahrscheinlich der Grund, weshalb er geschmollt hat.
>>Hey.<<
Erschrocken zucke ich zusammen. Wenn man von Teufel spricht.
>>Oh. Na Keeden.<<, sage ich und gehe weiter.
>>Was ist los mit dir? Es war doch alles gut. Jetzt bist du so, abweisend.<< Ich sehe ihn an. Er sieht verletzt aus. Schnell wende ich den Blick wieder ab und suche die Umgebung ab. Reine Gewohnheit.
>>Ich bin nur wieder ich selbst.<<, sage ich schlicht und beschleunige meine Schritte. Er hält hartnäckig mit.
>>Aber du warst doch früher nicht so.<<, meint er traurig.
>>Ich bin eben kein schwaches, kleines Mädchen mehr! Stört es dich etwa, dass ich keinen Beschützer mehr brauche?<<, fauche ich ihn an. Ich bin ungerecht, das ist mir bewusst, aber ich kann nicht anders. So bin ich nun mal jetzt. Daran muss er sich wohl oder übel gewöhnen.
>>Ich habe dich nie für schwach gehalten. Weder früher, noch heute. Und egal, wie stark oder abweisend du auch bist, ich werde immer auf dich aufpassen und dich beschützen, ob du willst, oder nicht, weil du mir wichtig bist.<< Keeden bliebt völlig ruhig und seine Worte bremsen meine Wut.
Ich seh ihn an. Er erwidert meinen Blick und ein Kribbeln fährt durch meinen Körper. Reiß dich zusammen, verdammt nochmal!, schall ich mich selbst und sehe wieder nach vorne.
Keeden läuft weiterhin neben mir, auch wenn ich ihn ignoriere. Ich gebe es nur ungern zu, aber es ist schön zu wissen, dass er da ist. Trotzdem bleibe ich vorerst auf Distanz. Es würde sich nur unnatürlich anfühlen zu versuchen 100%iges Vertrauen zu erzwingen, so wie ich es damals hatte.
Plötzlich endet der Wald abrupt. Wir bleiben alle stehen.
Vor uns erstreckt sich ein riesiges Feld, auf dem in ordentlichen Reihen Pflanzen wachsen. Das hier wurde eindeutig von Menschen geschaffen, es sei denn Tiere betreiben seit neustem Landwirtschaft. Ich sehe mir die Pflanzen genauer an. Einige davon kenne ich von den kleinen Feldern, die mein Stamm hatte, aber die meisten sind mir fremd. Liv kennt sich da wahrscheinlich besser aus, da der Kandaru-Stamm quasi von Landwirtschaft lebt. Sie bilden nur wenige Jäger aus. Total dämlich, wenn man in der nähe unseres... ich meine des Cazanara-Stammes lebt. Irgendwie vermisse ich den Stamm. Es wahr nicht viel, aber es war ein Zuhause. Mein erstes richtiges Zuhause.
Ich zücke meinen Bogen und gehe vorsichtig durch die Pflanzenreihen. Keeden und Dereck tuen das selbe. Liv läuft zwischen ihnen.
>>Was genau habt ihr vor?<<, fragt Livvy verwirrt. Man merkt sofort, dass sie keine Jägerin ist.
>>Na ja, entweder gehört das Feld hier den Ausgestoßenen oder einem ziemlich großen Stamm. Und in beiden Fällen wissen wir nicht, ob sie uns gegenüber friedlich gestimmt sind oder angreifen.<<, erkläre ich und schleiche weiter. Liv hält ab jetzt die Klappe und versucht so leise wie möglich zu sein.
Ich bin nur froh, dass mein Arm in den letzten Tagen wieder deutlich stärker geworden ist, obwohl die eine Hälfte meiner rechten Hand noch taub ist. Es ist immer noch nicht komplett verheilt, aber ich kann wieder gut mit dem Bogen schießen.
Da bemerke ich eine komische Konstruktion in unserer Nähe. Ich trete näher und deute den anderen mir zu folgen. Aus der Nähe betrachtet, erkenne ich, dass es eine lebensgroße Puppe aus Stroh ist, die auf einen Stock gespießt ist. Erst jetzt fällt mir auf, dass davon noch mehr auf dem Feld verteilt sind.
>>Was sind das denn für kranke Teile?<<, fragt Dereck entsetzt und stößt die Puppe vorsichtig mit seinem Bogen an, so als würde sie ihm gleich ins Gesicht springen.
>>Ich hab keine Ahnung, aber können wir bitte weiter gehen? Die Dinger sind gruselig.<<, meint Livvy und geht ein paar Schritte zurück. Ich verdrehe die Augen und Keeden lacht sie aus.
Damit Liv keine Panikatacke bekommt, bewegen wir uns weiter vorwärts.
Auf der anderen Seite des Feldes ist wieder Wald und ich freue mich schon in seinen sicheren Schutz einzutauchen. Na ja, "sicher" ist in freier Natur ein ziemlich dehnbarer Begriff.
Kurz bevor wir den Wald erreichen, bleibe ich stehen.
>>Geh weiter, Ru! Oder willst du hier Wurzeln schlagen?<<, fragt Dereck und sieht mich verwirrt an.
>>Das ist zu einfach. Niemand würde ein Feld unbeaufsichtigt lassen. Kängururatten oder andere Tiere könnten sich an dem Gemüse zu schaffen machen. Irgendjemand muss in der Nähe sein und wenn mich mein Instinkt nicht täuscht, dann sind wir bereits aufgeflogen.<<
Eine Welle der Zustimmung kommt von Keeden zu mir und ich fühle mich in meiner Vermutung bestärkt.
>>Du bist einfach viel zu misstrauisch.<<, sagt Livvy und geht weiter. Dereck läuft neben ihr.
Keeden zögert kurz, wirft mir einen besorgten Blick zu und geht dann hinter den anderen her, den Bogen halb erhoben. Ich seufze, denn mir bleibt keine andere Wahl, als mit ihnen zu gehen, auch wenn ich es für eine törichte Idee halte. Also spanne ich meinen Bogen, wobei mein rechter Oberarm etwas zuckt und ziele auf eine unbestimmte Stelle im Wald, ehe ich mich widerwillig dazu zwinge weiter zu laufen.
Wir erreichen den Waldrand und ich suche die Umgebung ab. Genauso aufmerksam, wie bei der Jagd, aber ich entdecke nichts. Und es ist ungewöhnlich still. Nichtmal die Vögel singen. Moment mal!
>>Stop! Leute, das ist eine Falle!<<, rufe ich.
Doch meine Warnung kommt zu spät. Überall in unmittelbarer Umgebung lösen sich Menschen von der Landschaft. Sie haben sich getarnt! Schlau. Aber leider sind sie auch bewaffnet und in der Überzahl.
Einer steht direkt neben mir und hält mir ein Messer an die Kehle. Panik zuckt durch mich hindurch, allerdings nicht meine eigene. Sie gehört Keeden, der zu mir rüber starrt.
>>Waffen fallen lassen!<<, schreit jemand. Augenblicklich lassen wir unsere Bögen zu Boden fallen.
>>Lass sie in Ruhe!<<, schreit Keeden und will auf mich und meinen Angreifer zukommen, doch der Kerl drückt mir das Messer weiter an die Kehle und sagt mit lauter Stimme: >>Einen Schritt weiter und sie ist tot!<< Nette Aussichten. Keeden erstarrt und funkelt den Kerl finster an. Seine Wut fließt durch mich hindurch und ich lasse mich davon anstecken.
Blitzschnell ergreife ich das Handgelenk meines Angreifers, drehe es so, dass ihm das Messer aus der Hand fällt und drehe ihm den Arm auf den Rücken. Dann ziehe ich eins meiner Wurfmesser aus meiner Tasche und halte es ihm an die Kehle. So schnell kann sich der Spieß umdrehen. Wären da nicht die anderen Angreifer, die nun allesamt ihre Waffen auf mich richten. Na super!
Weder Dereck noch Keeden trauen sich etwas zu unternehmen und Livvy schon gar nicht. Denk nach!
Bevor mir etwas einfällt, wie ich dieser Situation entkommen kann, kommt plötzlich ein junges Mädchen aus dem Gebüsch gestürmt. Die rotbraunen Haare sind unverkennbar!
>>Stop!<<, ruft sie ganz laut.

Sonntag, 27. Januar 2013

Livvy (22.)

Rumer verschwindet zwischen Bäumen. Sie war ziemlich aufgebracht. Stimmungsschwankungen sind wohl in Moment gang und gebe bei ihr.
>>Weißt du was mit ihr los ist?<< Derecks Stimme hinter mir erschreckt mich. Er geht an mir vorbei auf Keeden zu.
>>Wir haben uns umarmt, aber dann hat sie auf einmal abgeblockt.<<, sagt Keeden, während er noch immer auf die Stelle zwischen den Bäumen starrt, wo Rumer verschwunden ist.
>>Ich denke, wir sollten sie erst einmal in Ruhe lassen, damit sie sich beruhigt.<<, erwidere ich und wende mich wieder meiner Arbeit zu.
Die Federn des Wildhuhns habe ich in eine Tasche gesteckt. Sie werden die Füllung für ein Kissen sein, dass Rumer bekommen wird, da ihr Kissen schon fast keine Federn mehr hat.
Nachdem Dereck die Eingeweide des Huhns entnommen hat, konnte ich mit dem Würzen beginnen. Über dem Lagerfeuer habe ich mit Derecks Hilfe Äste zu einer Halterung für das Huhn aufgestellt und jetzt brutzelt es genüsslich.
Keeden ist mittlerweile zu uns ans Feuer getreten und leckt sich die Lippen.
>>Das riecht aber lecker!<<, sagt er und streicht sich über den Bauch, als Andeutung für seinen Hunger. Dereck nickt und lächelt mir zu. Meine Wangen röten sich wiedereinmal und ich senke meinen Kopf. Aber ich fange mich schnell wieder und konzentriere mich auf das Hühnchen.
>>Wann Rumer wohl wiederkommt. Nachher verpasst sie noch das Essen.<< Keeden meint es echt gut mit Rumer, aber langsam fängt er an zu nerven.
>>Ist gut, okay?! Sie wird schon noch wiederkommen. Ist doch ihre Sache!<<, platzt es mir heraus. Keeden sie mich erschrocken an und dreht sich beleidigt weg.
>>Endlich sagt das mal jemand!<<, flüstert mir Dereck zu. Er lächelt zufrieden und sieht Keeden hinterher, der gerade seinen Bogen und Köcher zu seinem Zelt bringt.
>>Ich finde er nervt tierisch mit seinem Gequengel. Wenn ihn Rumers Verhalten stört, dann soll er ihr das sagen und nicht alles bei uns rauslassen.<<, erwidere ich.
>>Er ist glaube ich einfach in sie verknallt.<<
>>Immer diese blöde verliebt sein.<<, sage ich und lache.
>>Meiner Meinung nach braucht Keeden einfach ein Hobby. Dann wäre er immerhin beschäftigt und jault niemandem die Ohren voll.<< Seine Idee ist gar nicht so schlecht.
>>Aber das einzige was er ziemlich gut kann, ist Jagen. Und da würden er und Rumer sich dann schon wieder in die Haare kriegen. Oder kann er noch was anderes?<<
Er überlegt. Dabei bilden sich kleine Falten auf seiner Stirn. Oh man. Er sieht so gut aus!
>>Mir fällt gerade nichts ein, was er noch gut kann. Warum starrst du so auf meine Stirn. Ist da irgendwas?<< Er wischt sich mit dem Handrücken über die Stelle, die ich bis gerade angestarrt habe. Was bin ich auch so doof und träume, während ich ihn anschaue.
>>Ist das noch da?<<, fragt er und lächelt.
>>Nee. Hast du schon weggewischt.<<, lüge ich. Ich darf mich nicht immer so leicht ablenken lassen. Also widme ich mich wieder dem Wildhuhn. Die Flammen des Feuers haben seine Haut schön knusprig braun gebrannt.
>>Kannst du den Teig für das Stockbrot schonmal holen?<<, frage ich Dereck. Er nickt und steht auf. Während zu der Stelle geht, wo der Teig steht, hole ich das schmackhaft aussehende Hühnchen von seinem Gestell und lege es auf eine, von der Größe genau passende, Metallplatte.
Keeden hat sich mittlerweile wieder zu mir gesellt und auch Dereck ist schnell wieder da. Die einzige, die noch in unserer Runde fehlt, ist Rumer. Keeden macht sich immernoch riesige Sorgen um sie. Mein Gott sie wird schon wiederkommen. Schließlich ist sie Rumer! Jeder andere, der ihr begegnet, sollte sich sorgen machen. Nämlich, dass er noch lebt, wenn sie mit ihm fertig ist.
Keeden benimmt sich schon wie eine Mutter, die ihr Baby nicht groß werden lassen will. Ru würde jetzt sagen "Heul nicht, du Sackarsch! Du bist schließlich nicht mein Babysitter!". Dazu hätte es eine Ohrfeige oder einen Schlag in die Eier gegeben. Ach man. Wo ist sie nur, wenn man sie am dringensten braucht.
Den restlichen Abend über verbringen wir essend, redend und lachend. Es ist der letzte Abend hier auf dieser Lichtung, bevor wir uns Morgen zu viert auf den Weg machen.
Keeden und Dereck verabschieden sich als erste und gehen in ihr Zelt. Kurz darauf kommt Dereck nochmal raus und auf mich zu gelaufen. Hat er irgendwas vergessen, oder was will er. Ich sehe mich um, kann aber nichts Vergessenes ausfindig machen.
>>Was ist los? Willst du doch noch nicht schlafen?<< Fragend sehe ich ihn an. Er kommt auf mich zu, bleibt kurz vor mir stehen und grinst verschmitzt. Mein Herz fängt an zu rasen. Oh mein Gott, will er mich jetzt küssen?! Oh nein! Ich habe doch gerade erst gegessen.
>>Doch, aber ich wollte dir noch gute Nacht sagen.<< Dereck ist definitiv süß!
Leises Fluchen lässt mich zusammenzucken. Ich blicke über Derecks Schulter und sehe Rumer, die ohne mich und Dereck zu beachten, in unserem Zelt verschwindet.
Noch immer steht er mir gegenüber. Er macht keinerlei Anstalten mich zu umarmen oder zu küssen. Nun gut. Wenn er das nicht will. Ist ja seine Sache. Ich mache garantiert nicht den ersten Schritt. Dieser blöde Idiot.
Damit wir hier nicht ewig rumstehen, drehe ich mich kurzerhand von ihm weg, schnappe mir mein letztes Stück Stockbrot und gehe in Richtung Zelt. Kurz bevor ich rein gehe, drehe ich mich nochmal um. Dereck sieht etwas verdattert aus. Ich strecke ihm die Zunge raus und lache. Danach gehe ich ins Zelt.
In dieser Nacht begleiten mich zahlreiche Alpträume.

Mittwoch, 23. Januar 2013

Rumer (21.)

Dereck und ich sitzen im Gras und unterhalten uns gerade über verschiedene Jagdtechniken, als Livvy und Keeden zurück kommen. Liv hat ihren Medizinbeutel voll mit Kräutern. Das ist gut! Jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr machen, dass ihr Bein zu kurz kommt.
Keeden hat zwar seinen Bogen über der Schulter hängen, aber ich sehe keine Beute. Oder, doch! An seinem Gürtel baumelt ein Wildhuhn.
>>Mehr hast du nicht gefangen? Das ist aber ganz schön armseelig!<<, necke ich ihn, woraufhin er mir einen finsteren Blick zuwirft. Wow. Was hat den den gebissen?
Niemand scheint richtig zu wissen, was er sagen soll. Dann bricht Liv das Schweigen.
>>Wir sollten morgen weiter ziehen. Je eher wir die Ausgestoßenen erreichen, umso besser. Willow hat nicht mehr viel Zeit und ich möchte gerne den Rest mit ihr gemeinsam verbringen.<<
>>Okay. Hört sich gut an.<<, stimme ich zu und nicke. Auch ich will Willow schnell finden, um sicherzustellen, wie schlimm ihr Zustand ist. Hoffentlich geht es ihr gut.
>>Wie wäre es, wenn wir dann heute Abend nochmal einen schönen Abend machen, mit Lagerfeuer und allem?<<, schlägt Dereck vor.
>>Das fände ich toll.<<, meint Livvy sofort und errötet dann, als ich ihr einen vielsagenden Blick zuwerfe. Sie und Dereck sind echt süß. >>Gut. Ich könnte ja das Wildhuhn zubereiten.<<, lenkt Liv schnell ab.
>>Dann geh ich Feuerholz sammeln.<<, meint Keeden und bindet das Huhn von seinem Gürtel los, so dass es zu Boden fällt.
>>Ich komme mit.<<, sage ich, woraufhin er gleichgültig mit den Schultern zucken, aber ich kann spüren, dass er sich freut, dass ich mitgehe.
Während des Sammelns reden wir nicht viel und auch auf dem Rückweg zum Lager nicht, als wir genügend Holz haben.
Doch bevor wir wieder zu Livvy und Dereck stoßen, bleibe ich stehen. Keeden hält auch an, als er bemerkt, dass ich nicht weiter laufe.
>>Was ist?<<, fragt er un versucht neutral zu klingen, aber kann einen Hauch an Besorgnis nicht verbergen.
>>Was ist los? Hab ich dir was getan? Das heute morgen war doch nur Spaß. Und das eben war auch nicht böse gemeint.<< Ich sehe ihn an. Er lächelt.
>>Du bist echt süß, wenn du verzweifelt bist.<<
>>Zwing mich nicht dich nochmal zu schlagen, Keeden.<<, warne ich und fange an zu lachen. Wow, so oft wie in den letzten Tagen habe ich schon ewig nicht mehr gelacht. Seit vier Jahren, um genau zu sein. Keeden stimmt mit ein und nimmt mich in den Arm. Wow, fühlt sich das gut an. Ich weiß, dass er spürt, wie wohl ich mich gerade fühle, denn er hört auf zu lachen und zieht mich näher an sich. Eine Zeit lang stehen wir so da, eng umschlungen.
Dann setzt mein Gehirn wieder ein. Was zur Hölle tue ich hier? Ich hab keine Zeit für sowas! Ich löse mich von Keeden und stoße ihn von mir.
>>Was ist? Hab ich was falsch gemacht?<<, fragt er verwirrt und sieht mich an.
>>Nein. Ich hab was falsch gemacht. Tut mir leid.<< Schnell hebe ich das Feuerholz wieder auf, dass ich vorhin habe fallen lassen, wobei mein Arm schmerzt, aber das ignoriere ich und gehe den restlichen Weg zum Lager so schnell ich kann.
Liv und Dereck albern rum, als ich ankomme. Ich schmeiße das Holz hin und schnappe mir meinen Bogen. Livvy ist sofort alarmiert. >>Was hast du damit vor?<<
>>Ich geh jagen. Mein Arm fühlt sich schon besser an und ich kann nicht riskieren, dass ich aus der Übung komme. Ich überanstrenge mich auch nicht, versprochen.<<, meine ich und bevor sie irgendwelche Widerworte geben kann, bin ich auch schon auf dem Weg zurück in den Wald. Das letzte was ich mitbekomme, ist das Keeden die Lichtung betritt und meinen Namen ruft. Dann bin ich zwischen den Stäuchern verschwunden.

Sonntag, 20. Januar 2013

Livvy (20.)

Rumer stapft mit Dereck im Schlepptau durchs Dickicht und ich sehe ihnen hinterher, bis ich sie nicht mehr erkennen kann. Ich gähne herzhaft und schlüpfe nochmals ins Zelt, um mir Schuhe anzuziehen.
>>Begleitest du mich Kräuter sammeln? Du kannst ja währenddessen schonmal für das Abendessen jagen.<<, sage ich zu Keeden. Er nickt und holt seinen Bogen samt Köcher und wir machen uns auf den Weg.
Ich sehe mich mit geschultem Auge nach Kräutern um, die ich gebrauchen könnte. Da ich mein Bein versorgen musste und jetzt auch noch Rumers Arm, wird es Zeit neue zu sammeln. Wie es aussieht hat Keeden keine große Lust zu jagen, denn er summt vor sich hin und trägt seinen Bogen entspannt über der Schulter. Insgeheim bin ich froh darüber, da ich kein Fan davon bin mit ansehen zu müssen, wie Tiere getötet werden.
Es ist angenehm kühl Heute. Nachdem die letzten Tage schwül warm waren, kann man endlich mal wieder tief Luft holen. Das entspannt mich und stärkt meine gute Laune. Nur bei Rumer schien es heute morgen nicht ganz so nach guter Laune ausgesehen zu haben. So wie sie und Keeden miteinander diskutiert haben, hat es stark nach Streit ausgesehen.
>>Sag mal Keeden, was war vorhin eigentlich mit dir und Rumer?<< Während ich noch auf seine Antwort warte, entdecke ich eines der Kräuter, die mir bald ausgehen. Ich muss mich hinknien, damit ich die langen schmalen Blätter mit meinem Klappmesser abtrennen kann.
>>Sie ist einfach eine sture, dickköpfige, uneinsichtige..<<
>>Du magst sie oder? Also mehr als nur freundschaftlich.<<, unterbreche ich ihn in seiner Aufzählung. Er zögert.
>>Guck mal hinter dir! Da ist ein verletztes Reh.<<, ruft er aufgeregt. Ich drehe mich um. Was für ein Wunder. Da ist wirklich ein Reh. Aber es kaut genüsslich und unverletzt auf einem Grasbüschel herum. Er mag sie anscheinend wirklich sehr gerne, sonst wäre ihm das Thema nicht so unangenehm. >>Sehr witzig Keeden. Verarschen kann ich mich selber. Also..ich warte noch auf deine Antwort<<, sage ich und muss lachen. Er zückt einen Pfeil und spannt seinen Bogen.
>>Ich würde jetzt einfach das Thema wechseln, sonst ist das Reh gleich wirklich verletzt!<<, schreit Keeden fast. Ich erschrecke. Damit habe ich nicht gerechnet.
>>Ist gut Keeden. Komm mal runter.<< Meine Stimme ist ruhig und bestimmt. Weil ich keine Lust mehr auf so ein Theater habe, gehe ich weiter. Ich merke, dass er mir folgt, denn seine unachtsamen Schritte könnte selbst ein halbtauber alter Opa hören.
Eine Zeit lang sagt keiner von uns etwas.
>>Hey Liv. Sorry.. Ich wollte dich nicht verletzten oder so.<<, sagt Keeden und bricht das Schweigen. Wow. Das hat er aber früh erkannt.
>>Schon gut. Ähm, aber solltest du nicht langsam mal etwas fürs Abendessen erlegen?<<
Keeden sieht mich an, zückt seinen Bogen und nickt.
Um nicht mit ansehen zu müssen, wie er ein Tier tötet, konzentriere ich mich wieder auf das Sammeln der Kräuter. Das zischen der Pfeile, die durch die Luft jagen, ist zu hören und es dauert nicht lange, da kommt Keeden mit einem Wildhuhn aus dem Gebüsch zurück.
Er ist gerade dabei es an seinen Gürtel zu binden, als er über eine Wurzel stolpert und sich der Nase lang hinlegt. Sein Gesicht macht dabei einen so witzigen Ausdruck, dass ich anfangen muss zu lachen. Meine Augen fangen an zu tränen und mein Bauch tut weh, aber ich kann einfach nicht aufhören. Keeden wirft mir einen wütenden Blick zu, aber dann fällt er in meine Lache mit ein. Vor lauter Lachen schafft er es nicht einmal mehr aufzustehen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit beruhigen wir uns wieder. Ich wische mir mit meinem Ärmel über Augen und Wangen, die von meinen Lach-tränen überseht sind. Danach atme ich erstmal tief ein und aus. Keeden rappelt sich auf und klopft sich den Dreck von seiner Hose.
>>Oh man. Du hättest dein Gesicht sehen müssen. Das war der Hammer!<<, sage ich und muss mir mein wieder aufsteigendes Lachen verkneifen.
>>Danke. Aber deine Lache war schon witzig genug. Das klang als wäre ein Tier am verrecken.<<
>>Wow, jetzt wo du das sagst, fällt mir das auch auf.<<, erwidere ich. Ich wusste zwar schon immer, dass ich nicht die schönste Lache habe, aber das ich wie ein sterbendes Tier klinge, ist mit neu.
Willow hat mir früher immer gesagt, dass ich wie ein Walross klinge. Apropos Willow. Wenn wir weiterhin immer an der selben Stelle bleiben, dann werde ich sie nie wiedersehen.
>>Wir sollten uns langsam aber sicher mal auf den Weg zu den Ausgestoßenen machen. Ich will meine Schwester noch in den Arm nehmen, bevor sie viel zu früh stirbt.<<
Keeden ist sichtlich erstaunt über diesen abrupten Themawechsel, nickt jedoch nachvollziehend.
>>Ja. Daran habe ich auch schon gedacht.<<, sagt er, während er sich das Wildhuhn, diesmal nicht stolpernd, an den Gürtel bindet.
>>Okay. Ich sage das den anderen später dann auch nochmal.<<
>>Jap, mach das. Hast du jetzt all die Kräuter gesammelt, die du brauchst, Liv?<<
>>Ähm. Lass mich eben nachschauen.<<, antworte ich und schaue prüfend in meinen Medizinbeutel. >>Ja. Ich hab alles<<
>>Gut, dann lass uns mal zurück zur Lichtung gehen.<<, sagt Keeden und dreht sich schon in Richtung Lager um, ohne auf meine Antwort zu warten. Ich folge ihm und muss schon wieder über das Gesicht lachen, was er beim Fallen gemacht hat.

Sonntag, 13. Januar 2013

Achtung!

Heute und am 16.1.2013 erscheinen keine Kapitel, da wir bis zum 18.1.2013 bei einem Seminar in Brüssel sind und darum leider keine Zeit zum schreiben haben.
Wir bitten um euer Verständnis.

Euer Angens-Team

Mittwoch, 9. Januar 2013

Rumer (19.)

Als ich erwache, geht die Sonne entweder gerade unter oder auf. Ich denke letzteres, denn so wie ich mich fühle, war ich sehr lange bewusstlos.
Vorsichtig setze ich mich auf und stelle fest, dass mein Arm nicht mehr so sehr wehtut, wie noch gestern. Und er ist ordentlich verbunden. Eins muss ich ihr lassen, Livvy versteht was von ihrer Arbeit!
Ich sehe zu ihr rüber. Sie liegt neben mir und schläft. Ihre Brust hebt und senkt sich regelmäßig bei jedem Atemzug. 
Auch wenn ich gerade ganz andere Sorgen haben sollte, zum Beispiel ob ich je wieder richtig jagen kann, geht mir einfach nicht aus dem Kopf, was meine beste Freundin mir da gestern erzählt hat. >>Das klingt jetzt wahrscheinlich ziemlich absurd, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich spüren könnte, wie Dereck sich fühlt. Ist das nicht komisch?<< Nicht halb so komisch, wie sie vielleicht denkt. Aber warum ist das so? Ich bin immer davon ausgegangen, dass es nur ein merkwürdiger Zufall ist, dass Keeden und ich durch die Versuche im Labor diese Verbindung haben, aber es scheint mehr dahinter zu stecken, wenn Liv und Dereck das auch haben. Die Frage ist nur was? Und warum haben Livvy und ich das nicht? Von den ganzen Fragen, auf die ich keine Antworten habe, schwirrt mir allmählich der Kopf. Ich brauche frische Luft!
Noch etwas benommen ziehe ich den Reißverschluss vom Zelt auf und krieche hinaus, ohne Liv zu wecken.
Heute ist es angenehm kühl und ich streife meine Jacke ab und lasse sie achtlos zu Boden fallen. Es fühlt sich gut an nur ein T-Shirt zu tragen. Frei. Und jetzt, wo alle von meinem Arm wissen, muss ich ihn auch nicht mehr verstecken. Eine Sorge weniger.
Ich gähne und reibe mir die Augen. Als ich danach auf meine Hände sehe, sind sie rot. Scheiße, ist das Blut? Vorsichtig probiere ich etwas von dem roten Zeug. Nein, kein Blut. Zu süß.
>>Das ist ja...<<, setze ich an, aber ich werde von jemandem unterbrochen.
>>Beerensaft.<< Keeden steht an einen Baum gelehnt da und sie mich belustig an. Ich zähle eins und eins zusammen.
>>Du warst das!<<, fauche ich ihn an und trampel wütend auf ihn zu, woraufhin er zurückweicht.
>>Das war nur Rache! Du hast es verdient. Der Schlag gestern hat echt weh getan!<<, beschwert er sich. Mir platzt gleich der Kragen!
>>Rache? Der Schlag war Rache, weil du dein Versprechen gebrochen hast!<<
>>Ich hab nur versucht deinen Arm zu retten!<<, verteidigt er sich und sieht mich erschüttert an. Seine Sorgen meinetwegen und der Kummer darüber, dass ich so sauer auf ihn bin, obwohl er es nur gut gemeint hat, durchströmen mich.
Moment mal! Ich bin hier das Opfer! Wieso habe ich dann so ein schlechtes Gewissen? Natürlich. Weil er recht hat. Ich werde mich wohl entschuldigen müssen. Wie ich das hasse!
>>Tut mir leid. Aber wehe du bildest dir jetzt was drauf ein!<<, sage ich und schaue ihn herausfordernd an.
>>Ich versteht das schon. Du hast dir Sorgen um Livvy gemacht, aber sie ist versorgt. Jetzt kann ihrem Bein nicht schlimmes mehr passieren. Dein Arm hingegen...<< Ist immer noch nicht über den Berg., beende ich in Gedanken seinen Satz. Er kommt auf mich zu und will mich umarmen, aber ich wende mich ab.
>>Nur, weil ich mich entschuldigt habe, heißt das nicht, dass ich nicht noch sauer bin, dass du das versprechen gebrochen hast, Penner!<<, meine ich und funkel ihn böse an.
Er seufzt. >>Das habe ich mir schon gedacht, aber da muss ich jetzt wohl durch.<<
>>Ganz genau!<<
Bevor er noch etwas erwidern kann, kommt Dereck aus seinem Zelt und reckt sich. >>Guten Morgen ihr zwei.<<
>>Guten Morgen.<<, sage ich und umarme ihn.
>>Hey, wo war meine Umarmung?<<, meldet sich Keeden empört.
>>Die hast du dir durch diese Beerensaftaktion versaut!<<, antworte ich und wische meine, immer noch dreckigen, Hände an der Hose ab. >>Apropos! Ich muss mir unbedingt mein Gesicht waschen. Und wenn ich schon mal auf dem Weg bin, kann ich auch gleich unsere Wasservorräte nachfüllen.<<
>>Du kannst aber nicht alleine gehen!<<, tönt es plötzlich von hinten. Ich drehe mich um. Liv ist aufgestanden und steht verschlafen vor unserem Zelteingang. >>Das ist zu gefährlich solange du noch verletzt bist.<<
>>Ich komm mi...<<
Ich unterbreche Keeden und sage: >>Ich nehme Dereck mit.<< Dann füge ich an ihn gewandt hinzu: >>Wenn das für dich okay ist.<< Doch Dereck reagiert gar nicht und starrt Livvy total geistesabwesend an. Ich pfeife zweimal und wedle mit der Hand vor seinem Gesicht rum. >>Erde an Dereck! Ist jemand Zuhause?<< Jetzt erwacht er aus seiner Starre und sieht mich verlegen an.
>>Ja, klar. Ich hol die Kanister.<< Und schon ist er auf dem Weg. So hab ichs gerne!
>>Wir sehen uns dann später.<< Ich verabschiede mich von Livvy, strecke Keeden die Zunge raus und mache mich dann mit Dereck zusammen auf den Weg.
Die erste Zeit schweigen wir und ich weiß ganz genau warum. Er weiß, dass das Thema früher oder später auf ihn und Livvy fallen würde, darum sagt er gar nichts, um das zu vermeiden. Nur leider hat er bei seinem Plan nicht einkalkuliert, dass ich ganz gerne mal Leute ärger und über Sachen rede, die sie nicht besprechen wollen.
>>Also. Du und Liv. Was läuft da?<<, frage ich unschuldig und sehe ihn interessiert von der Seite an.
>>Nichts.<<, antwortet er und weicht meinem Blick aus.
>>Komm schon. Das da gestern war nicht nichts!<<, beharre ich und stoße ihn mit einem der Wasserkanister an. Er schweigt wieder. >>Komm schon. Du kannst es mir sagen, dass weißt du!<<
>>Na gut.<<, seufzt er. Gewonnen! >>Es ist... ich weiß nicht, wie ich es sagen soll... als würden wir zusammen gehören.<< Wow. So was... hoffnungslos romantisches hätte ich vom ihm nicht erwartet. Aber irgendwie ist das ja auch süß. Für Mädchen wie Livvy. Die beiden wären ein süßes Paar. Und sie verdienen sich.
>>Ich kann nicht glauben, dass ich das jetzt sage, weil es sich hier um meine beste Freundin handelt, aber schnapp sie dir, Tiger!<<, meine ich und versetze ihm einen Hüftstoß.
Er strahlt mich an. >>Danke. Gut zu wissen, dass du mich nicht umbringen wirst.<<
>>Nein, ich bring dich erst um, wenn du ihr wehtust.<<, erwidere ich lächelnd.
>>Das werde ich nicht. Versprochen.<< Dereck scheint es richtig ernst zu sein.
>>Dann hast du meine volle Unterstützung. Ihr beide verdient es glücklich zu sein.<<
Wir kommen bei einem Bach an. Ich knie mich hin und spüle mir mit dem kühlen Wasser erstmal das Gesicht ab. Dann machen Dereck und ich uns daran, die Wasserkanister zu füllen.
>>Und wie stehts bei dir mit der Liebe? Irgendjemanden in Aussicht?<<, frage Dereck nach einer Weile und sieht mich neugierig an.
Ich denke kurz nach. In meinem Leben gibt es eigentlich nur drei Kerle. Erstmal ist da Navin, aber der ist ein Idiot, Keeden ist ein Penner und Dereck gehört Livvy.
>>Nö.<<, sage ich schließlich und schraube meinen Kanister zu, der jetzt voll ist.
>>Ich bin mir sicher, das kommt noch.<<, meint er, mit einem ebenfalls gefüllten Kanister in der Hand.
Irgendwann vielleicht, aber zur Zeit hab ich andere Sorgen! Aber das sage ich nicht, sondern nicke nur. Dann machen wir uns auf den Weg zurück zum Lager und reißen ein paar Witze.

Sonntag, 6. Januar 2013

Livvy (18.)

Mein Bauch kribbelt. Unsere Lippen sind sich jetzt schon ganz nah.
Plötzlich springen zwei Gestalten aus dem Dickicht. Mit laut klopfendem Herzen drehe ich mich zu ihnen. Es sind Rumer und Keeden, die jetzt ungläubig und fast erschrocken zu mir und Dereck starren.
Verlegen schaue ich zu Boden. Und auch für Dereck scheint die Situation nicht grade angenehmer zu sein.
Keeden ist als erster wieder bei klarem Verstand, denn mit wedelndem Arm zeigt er auf Rumer und ruft: >>Sie hat sich ihren Arm verletzt!<<. Kaum hat er das ausgesprochen, hat er auch schon Rumers Faust in seiner Magengrube. Er stöhnt auf und geht vor Schmerz und Überaschung in die Hocke.
Ihr Arm ist verletzt? Mein Kräutervorrat geht langsam aber sicher dem Ende zu. Uns warum sagt sie mir das nicht selber. Als ich aus meinen Gedanken wieder auftauche erschrecke ich leicht. Der Blick, den Rumer gerade Keeden zuwirft, ist von tiefer Verachtung und auch Kränkung gezeichnet. Aber auch ein kleines Lächeln spiegelt sich auf ihren Lippen. Ich denke das kommt davon, dass Keeden jetzt schon auf dem Boden liegt und sich immernoch den Bauch hält. Man könnte ihn fast mit einem Riesenbaby vergleichen, so wie er hin und her wippt. Dieser Gedanke bringt mich kurz zum Schmunzeln.
Doch das hält nicht lange an, denn ich bin wütend auf Rumer, weil sie mir das mit ihrem Arm nicht selbst gesagt hat. Ich gehe auf sie zu und nehme sie am Arm, da ich sie mitzerren will. Sie zuckt zusammen und schlägt meine Hand beiseite. Ich ignoriere das und schiebe sie mit beiden Händen an ihrem Rücken in die Richtung von unserem Zelt.
Im Zelt suche ich mir aus meiner Tasche alles notwendige Material zusammen, das ich noch übrig habe. Rumer scheint das ganze nicht sehr zu freuen, denn sie will das Zelt schon wieder verlassen. Aber ich ziehe sie an ihrem Shirt zurück auf den Zeltboden und sie gibt nach.
>>So dann zeig mir mal deinen Arm.<<, sage ich nichtsahnend. Sie nimmt den notdürftigen Verband ab und hält inne.
>>Das sieht jetzt nicht unbedingt super aus, Liv. Mach dich auf ein Bild des Schreckens gefasst und auf wochenlange Alpträume!<< Skeptisch sieht sie mich an. Wow. Sie will mir Angst einjagen. Aber ich will mir die Wunde erst einmal ansehen, bevor ich ihr glauben schenke.
Nach weiterem Zögern zeigt sie mir nun endlich ihren Arm.
Bei dem Anblick stockt mir der Atem. Die Wunde ist leicht offen und eine gräuliche Färbung hat sich um die Wundränder gebildet. Es sieht aus wie der Biss eines Leuchthörnchens. Aber das kann nicht sein. Der Angriff ist ja schon eine Weile her.
>>Sag mal Ru. Wo hast du dir diese Wunde eigentlich zugezogen?<<, frage ich und hoffe, dass es nicht dieser blöde Angriff war.
>>An dem Abend wo dein Bein verletzt wurde. Aber das ist ja nur ein Kratzer gewesen und dein Bein war in dem Moment viel wichtiger.<<, gibt sie kleinlaut zurück. Ich nicke nur, aber innerlich muss ich mich wirklich zusammenreißen, um ihr keine Vorwürfe zu machen.
Beim genaueren Betrachten der Wunde, wird mir mit einem Mal bewusst, dass ich Rumers Arm vielleicht schon gar nicht mehr retten kann. Ich atme tief durch und nehme mir eine kleine Metall-Pinzette, mit der ich kleine Blätter aus "dem Kratzer" hole. Sie hat die Wunde zwar häufig ausgewaschen, aber nicht den ganzen Dreck hinausbekommen. Während dessen guckt Rumer mich so merkwürdig an. Bevor ich fragen kann was los ist, kommt sie mir zuvor.
>>Ach. Du und Dereck also.<<, sagt sie und lacht. Ich schaue weiterhin auf die Wunde und versuche mich zu konzentrieren.
>>Kannst du mir mal eben meine kleine Tasche geben? Die liegt hinter dir.<<, sage ich zu Rumer. Sie reicht sie mir an. Während ich darin rumkrame, erzähle ich weiter. >>Ich habe das Gefühl, als würden Dereck und ich, ich weiß nicht, für einander bestimmt sind. Verstehst du? Nicht so, als wäre das alles nur Zufall, dass ich ihn mag, sondern irgendwie geplant.<< Ich mache eine kurze Pause, weil ich das kleine Tütchen mit dem bräunlichen Puder gefunden habe und es nun aufreiße.
>>Nicht erschrecken Ru, aber ich muss dieses Pulver jetzt in deine offene Wunde streuen, damit die Fremdkörper rausgeschwemmt werden und sie sich schneller schließt. Aber ich denke, dass ich danach noch dieses Stück<<, ich zeige auf einen zeigefingergroßen Einriss in ihrem Oberarm, >>nähen muss. Das könnte eventuell extrem schmerzhaft werden.<<
>>Oh. Aber okey. Das werde ich schon aushalten.<<, erwidert sie und lächelt. Das Lächeln wird ihr, denke ich mal, ziemlich schnell vergehen.
>>Also, wo war ich stehen geblieben? Achja, ich weiß es wieder. Das klingt jetzt wahrscheinlich ziemlich absurd, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich spüren würde, wie Dereck sich fühlt. Ist das nicht komisch?<<, frage ich und streiche mir das überschüssige Pulver an meinen Shorts ab. Rumer starrt wie gebannt auf ihren Oberarm und sieht zu, wie es sich langsam in der Wunde auflöst. >>So ich werde dann jetzt mal zu Nadel und Faden greifen. Bist du bereit Rumer?<< Sie nickt langsam. Ich bereite alles soweit vor, sodass ich anfangen kann. Doch vorher sage ich zu ihr, dass sie sich hinlegen soll, falls sie vor Schmerz ohnmächtig wird. Sie streitet zwar ab, dass es nicht dazu kommen wird, aber man muss sich ja auf alles Gefasst machen.
Ich lege los. Vorsichtig steche ich mit der kleinen Nadel durch Rumers Haut. Zum Glück haben sie mir das in dem Stamm beigebracht. Nach drei Stichen merke ich, wie die Schreie von Rumer leiser werden und dann ganz verstummen. Soviel zu, "ich werde nicht Ohnmächtig".
Der fünfte Stich ist der Letzte und ich verbinde alles sorgfältig mit einem frischen Verband. Dann räume ich noch schnell alles zusammen und verlasse das Zelt. Rumer wird noch ein Weilchen schlummern.
>>(...)Livvy..(...)<<, höre ich Keeden sagen. Die beiden reden also über mich.
>>Was gibt es denn so über mich zu reden?<<, frage ich und gehe lächelnd auf die beiden zu. Erschrocken fährt Dereck von seinem Platz im Gras auf. Das bringt mich zum lachen.
>>Was macht Rumer?<<, fragt Keeden.
>>Die ist beim Nähen ohnmächtig geworden.<<, antworte ich grinsend.
>>Dann guck ich mal wie ich sie verschandeln kann, solange sie noch weggetreten ist.<<, sagt er, dreht sich, wie ein Honigkuchenpferd grinsend, um und geht zum Zelt.
>>Das war bloß ne nette Umschreibung für: Ich lass euch zwei Turteltäubchen mal allein und ungestört.<<, fügt er noch hinzu, ohne sich dabei zu uns zu wenden.
Die Sonne scheint heute warm und ich lege mich ins Gras. Dereck setzt sich neben mich. Und einen Kuss wird es wohl heute nicht mehr geben, denke ich und lasse meinen Tagträumen freien lauf.

Dienstag, 1. Januar 2013

Rumer (17.)

Keeden und ich schleichen durch den Wald. Es fühlt sich irgendwie komisch an. Heute ist das erste Mal seit Tagen, dass ich wieder auf der Jagd bin. Aber das ist nicht der Grund, weshalb es so merkwürdig ist. Das liegt an Keeden.
Ich bin es zwar auch gewohnt allein zu jagen, aber der einzige Mensch mit dem ich bisher gemeinsam gejagt habe, ist Navin. Wir sind ein eingespieltes Team; wissen, wie wir uns verhalten müssen, um uns nicht gegenseitig im Weg zu stehen. Aber mit Keeden ist das nicht so. Er hat ein vollkommen anderes Jagdverhalten, dass sich mit meinem beißt. Ich bezweifel, dass wir so viel Beute machen werden, mal ganz abgesehen davon, dass ich durch meinen verletzten Arm sowieso ziemlich behindert bin.
>>Was ist los, Ru?<<, fragt Keeden und bleibt stehen. Verwirrt sehe ich ihn an.
>>Nichts, wieso?<<
>>Ich weiß das etwas nicht stimmt, das kann ich spüren.<<, meint er, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich fragend an.
Mist! Das hatte ich ja ganz vergessen!
Nachdem die Wissenschaftler damals herausfanden, dass wir vier auf die Versuche angesprungen sind, fiel Keeden und mir auf, dass wir beide spürten, was der jeweils andere fühlte. Immer, wenn die Männer in den gelben Anzügen mir weh taten, kam Keeden danach in mein Zimmer, nahm mich in den Arm und tröstete mich, weil er immer genau wusste, wie schlecht es mir ging. Vor ihm konnte ich nichts verbergen und das brauchte ich auch nicht, denn er hielt mich trotz allem immer für stark. Dabei war es seine innere Stärke, die mir geholfen hat, jedes Mal wieder aufzustehen und weiter zu machen.
Nachdem wir bei der Flucht aus dem Labor getrennt wurden, ging auch diese Verbindung verloren. Aber sie scheint wieder zurück zu sein, jetzt wo wir wieder nahe beieinander sind. Verdammt!
Er wird nicht locker lassen, bis ich es ihm erzähle, das erkenne ich an seinem entschlossenen Blick. Ich seufze.
>>Ich hab nur gerade darüber nachgedacht, dass es sich komisch anfühlt mit dir zu jagen.<<, gebe ich zu.
>>Hast recht. Aber keine Angst, das wird schon noch. Man kann ja nicht erwarten, dass wir uns schon bei der ersten gemeinsamen Jagd gut aufeinander abstimmen. Wir müssen uns erst an das Verhalten des anderen gewöhnen.<<, meint Keeden und lächelt mich an. Er hat recht. Das wird schon noch. Trotzdem hängen meine Gedanken gegen meinen Willen noch bei Navin fest.
Ich muss wieder an den Kuss denken. Wieso hat er das getan? Gedankenverloren streiche ich mit den Fingern über meine Lippen. Er wollte mich bestimmt nur ärgern, wie immer. Dieser Idiot!
Als ich Keeden wieder ansehe, merke ich, dass er mich ganz komisch mustert. Es ist schwer zu beschreiben. Eine Welle der Zuneigung überströmt mich und ich weiß, dass sie von ihm ausgeht. Schnell blende ich seine Gefühle aus und straffe die Schultern.
>>Wir sollten weiter gehen. Schließlich können wir Dereck und Livvy nicht ewig allein lassen.<<, sage ich und setze meinen Weg fort. Keeden folgt mir.
>>Ru...<<
>>Sei still! Du verjagst noch alle Tier, wenn du weiterhin so laut bist.<<, unterbreche ich ihn.
Er will noch etwas sagen, aber ich lasse ihm nicht die Chance dazu und beschleunige meine Schritte.
Dann erspähe ich ein Reh. Ich bleibe stehen und deute darauf. Keeden nickt und wir zücken gleichzeitig unsere Bögen. Er gibt mir ein Zeichen, dass ich schießen soll.
Ich atme tief ein, lege einen Pfeil auf die Sehne, spanne den Bogen und... lasse ihn keuchend zu Boden fallen. Mein Arm brennt wie Feuer.
Das Reh hat mich gehört und will fliehen, aber Keeden erschießt es vorher. Dann sieht er mich an, wie ich dastehe und mir den Oberarm halte.
>>Was ist los?<<, fragt er und kommt näher.
>>Nichts.<<, lüge ich und versuche ruhig zu bleiben, aber der Schmerz ist zu stark.
>>Lass mal sehen.<<, meint Keeden und zieht mir meine Jacke von den Schultern, sodass er den provisorischen Verband sehen kann, der meine Wunder verdeckt. Vorsichtig öffnet er den Knoten und ich kann es nicht vermeiden, dass ich vor Schmerz aufkeuche. Dann wickelt er den Stoffstreifen ab. Mein ganzer Oberarm ist lila angelaufen. Das sieht irgendwie ziemlich ungesund aus.
>>Scheiße! Ist das ein Leuchthörnchenbiss?<<, fragt Keeden schockiert und sieht mich an. Ich nicke. >>Mahn! Rumer! Das muss verarztet werden, sonst kannst du deinen Arm vielleicht nie mehr benutzen!<<
Das ist wie ein Schlag in den Magen. Ich wusste nicht, dass es so schlimm enden könnte. Wenn ich den Arm nicht mehr benutzen kann, dann kann ich auch nicht mehr Jagen.
>>Livvy braucht die Kräuter dringender als ich. Außerdem würde sie sich viel zu viele Sorgen um mich machen, wenn sie das wüsste und dann würde sie darauf bestehen mich verarzten zu dürfen, obwohl sie es nötiger hat. Und ihre Gesundheit ist mir wichtiger als mein Arm.<<, meine ich und zucke die Schulter, was bei meinem verletzen rechten Arm wieder zu Schmerzen führt und mich zusammenzucken lässt. Keeden schüttelt den Kopf und ich spüre, dass er sich über meinen Dickschädel ärgert.
>>Aber wenn du deinen Arm nicht mehr benutzen kannst, kannst du dich auch nicht mehr verteidigen und dann bist du hilflos.<<, sagt er dann und sieht mich triumphierend an.
Verdammt! Er hat meinen Schwachpunkt getroffen und das weiß er auch. Und er genießt es. Nicht mit mir Freundchen!
>>Ich kann immer noch meine Wurfmesser benutzen. Damit treff ich genauso gut wie mit Pfeil und Bogen. Außerdem bin ich ja eh Linkshänderin und dann brauch ich den rechten nicht unbedingt.<<, sage ich und grinse. Friss das, Keeden!
>>Du wirst dich nicht dazu überreden lassen es behandeln zu lassen, oder?<<, fragt er und sieht mich flehend an.
>>Nein.<<, antworte ich trocken. >>Und du musst mir versprechen es niemandem zu erzählen.<<
>>Ich weiß nicht, Ru.<<
>>Versprich es! Bitte.<< Ich setze meinen Hundeblick auf. Dazu konnte er noch nie nein sagen.
>>Okay.<<, seufzt er. >>Ich versprech es. Aber du kämpfst mit unfairen Mitteln, ich hoffe das weißt du.<< Er wickelt mir den Stoffstreifen wieder um den Oberarm und knotet ihn zu. Ich ziehe meine Jacke zurück über die Schultern.
>>Los! Weiter geht's! Wir brauchen noch mehr zu essen.<<, sage ich heiter und tue so, als hätte diese Unterhaltung nie statt gefunden.

Livvy (16.)

Dereck und ich sind bei den Zelten geblieben, während Rumer und Keeden zur Jagd aufgebrochen sind. Der Geruch meines Erbrochenem hängt noch leicht in der Luft, obwohl ich es mit einer Handvoll Kandarukraut abgedeckt habe. Es mildert Gerüche, was sich als ziemlich praktisch erweist. Im Moment sind wir dabei, die Scherben der explodierten Flasche einzusammeln.
>>Wieso habt ihr uns dieses Zeug gegeben?<<, frage ich Dereck.
>>Es sollte Spaß machen. Wir wollten nicht, dass es soweit geht. Und garantiert wollte ich meine Schuhe nicht in Kotze baden.<<, lacht er.
>>Das war nicht meine Absicht.<< Ich schaue auf und sehe ihm in die Augen. Er lächelt. Ein süßes Lächeln. Mir wird auf einmal ganz warm zu Mute. Schnell sehe ich weg, denn meine Waagen werden rot.
Das ist ganz schön peinlich. Aber er sieht so knuffig aus. Mit seinen goldbraunem Haar und den Grübchen, wenn er lächelt. Oh nein. Ich werde schon wieder rot. Ich gehe ein paar Schritte weiter weg und sammle dort die Glasscherben auf.
>>Verdammt!<<, flucht Dereck. Ich drehe mich zu ihm um und sehe ihn fragend an, während er das Blut von seinem Finger an seinem Shirt abwischt.
>>Geschnitten.<<, sagt er und lächelt angestrengt. Schmunzelnd laufe ich zu ihm.
>>Lass mal sehen.<< Ich nehme die Hand mit der kleinen Wunde. Mich durchläuft ein Schauer. Und ihn wohl auch, denn seine Hand zuckt kurz zurück. Er gibt sie mir wieder. Jedoch achte ich nicht mehr darauf, denn sein Gesicht lenkt mich ab. Er kommt einen Schritt auf mich zu. Sein Gesicht nähert sich meinem. Kurz schaut er auf und lächelt mich an. Dann kommt er noch näher.
>>Ich hol dann mal ein Pflaster.<<, sage ich und drehe mich in Richtung Zelt.
Verdammte scheiße, was mache ich denn! Das wäre mein erster Kuss gewesen und ich hole ein Pflaster?! Ich krame in meiner Tasche. Die Schnittwunde ist nur sehr klein, also bekommt er ein kleines blaues Pflaster mit Piraten drauf. Das hat ein Stammesmitglied nach einem heimlichen Besuch in einem Nevulog mitgebracht.
Ich trete aus dem Zelt wieder ins Freie. Dereck dreht sich weg, als er mich sieht. Ich bin so verdammt blöd. Warum vermassle ich immer alles?! Gut, immer schön tief durchatmen. Also gehe ich geradewegs auf ihn zu. Sein Blick weicht meinem nach wie vor aus, aber das ignoriere ich.
Ich schnappe mir seine Hand und klebe das Pflaster auf den kleinen Schnitt, den eine Scherbe hinterlassen hat. Er sieht das Pflaster ungläubig an.
>>Piraten?<<, lacht er und ich lache mit ihm.
>>Tut mir Leid. Was besseres gabs nicht. Oder hättest du lieber ein rosanes mit Prinzessinnen?<<
>>Ne. Das ist schon gut so.<< Wir lachen immernoch beide. Doch dann, als er sich beruhigt hat, schaut er mich so komisch an. Es fühlt sich an, als hätten wir uns nie aus den Augen verloren. Alles andere ist mit einem Mal unwichtig.
Sein Gesicht nähert sich wieder dem Meinen. Dieses Mal lasse ich es zu. Ich vermassle es nicht schon wieder. Mein Bauch kribbelt als sich unsere Hände berühren. Er lächelt mich an und seine Grübchen kommen zum Vorschein. Meine Hände zittern vor Aufregung und ich atme tief durch. Dann schließe ich meine Augen.