Donnerstag, 14. August 2014

Livvy (54.)

Wir haben uns wieder auf dem Weg gemacht und sind ein ganzes Stück vorangekommen.
Ru und Keeden haben wieder mehr miteinander geredet und wir vier sind fast genau wie früher über uns hergezogen. Dereck ist gut gelaunt, und sogar die beiden Gefühls-Chaoten sprühen vor guter Laune. Was wahrscheinlich auch mit am Wetter liegt.
Die Sonne hat sich noch einmal dazu entschlossen ihre volle Kraft zu entfalten und am Ende des Tages sind wir alle erledigt.
Unser Lager ist dieses Mal weniger schnell aufgebaut als sonst. Und obwohl alle am Ende ihrer Kräfte sind, macht sich Rumer kurz vor Sonnenuntergang auf dem Weg die Gegend zu erkunden. Ich schaue ihr nach, wie sie zwischen den niedrigen Sträuchern verschwindet.
Der trockene Boden hinter mir raschelt und kurz darauf schlingen sich Derecks Arme um meine Taille. >>Was bedrückt dich, mein Engel?<<
Was mich bedrückt? Das ist eine gute Frage..
>>Ach ich weiß nicht. Naja das heißt doch, ich weiß es schon.. Es ist nur wegen Rumer.. Sie und Keeden haben sich heute zwar gut verstanden, aber die ganze Situation belastet sie. Es ist wegen Navin, und ich weiß nicht..<<.
Der Druck um meine Taille wird kurz stärker und Derecks Atem streift meinen Nacken. >>Das wird sich schon alles noch klären. Rumer braucht denke ich einfach ein bisschen Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Und du brauchst..<<, weiter kommt er nicht, denn Ru kommt mit einem Lächeln im Gesicht auf uns zu gejoggt.
>>Leute, ein kurzes Stück in Richtig Nordosten liegt ein See. Die Gegend liegt ruhig. Wollen wir heute noch umsiedeln?<<, fragt sie und sieht uns alle nacheinander an. Keeden hat sich mittlerweile auch zu uns gesellt und wird ebenfalls aufgeklärt. >>Worauf warten wir noch?<<, fragt er und beginnt sein Zelt abzubauen. Dereck fängt an zu lachen und geht, um ihm zu helfen. Auch Ru ist dabei unser Zelt zusammen zu packen. Ich sehe ihnen allen unbeholfen zu und damit ich auch etwas zu tun habe, sammle ich die Taschen zusammen, die verstreut auf dem Waldboden liegen.
Gespannt folgen wir Rumer, die sich ihren Weg durch den Wald bahnt. Und wir werden nicht enttäuscht. Der See, von dem die Rede war, hat eine beachtliche Größe und wirkt sehr einladend. Und noch bevor wir unser Lager das zweite Mal an diesem Abend aufschlagen, waten wir mit unseren Füßen am Ufer entlang.
Gerade nach der ganzen Hitze heute ist das ein göttliches Gefühl. Dereck und Keeden ziehen sich bis auf die Unterhose aus und springen mit dem Kopf voran ins kühle Nass.
>>Nicht schlecht, oder?<<, fragt Rumer. Ich schrecke zusammen und werde rot, als ich bemerke, dass ich Dereck nachgestarrt habe. >>Ja. Das hat uns nach diesem Tag auch echt gefehlt.<<
Ich schließe einen Moment die Augen und atme tief ein. Meine Füße graben sich in den weichen Sand des Ufers ein und ich lausche den Geräuschen des Wassers.
Als ich die Augen wieder öffne kann ich mich gerade noch zur Seite retten bevor sich eine Wasserfontäne neben mir ergießt. Keeden fängt an zu lachen. >>Du hättest deinen Blick sehen müssen!<<, prustet er. Doch da kommt Dereck von der Seite angehechtet. >>Na warte, das wirst du noch bereuen!<<, droht er, ein lachen unterdrückend, und nun bekommt Keeden eine Ladung Wasser ab.
Spielkinder..
Ich lasse die beiden allein und wende mich an Rumer, die sich bereits daran gemacht hat unser Zelt aufzustellen, da die Dämmerung schon eingesetzt hat. >>War ein verdammt langer Tag heute, aber es ist schön alle mal wieder lachen zu sehen.<<, sage ich zu ihr und beginne eine geeignete Stelle für das Lagerfeuer vorzubereiten.
>>Das tat auch echt gut.<<, antwortet sie und seufzt leise.
Als ich soweit bin frage ich sie: >>Haben wir noch genug Vorräte für ein festliches Abendmahl?<< Rumer zieht fragend eine Augenbraue hoch. >>Wieso festliches Abendmahl? Was ist der Anlass?<<
>>Einfach, dass wir alle einen schönen Tag hatten und wir einen wunderbaren Ort gefunden haben an dem wir uns entspannen können bevor es weiter geht. Und, dass wir alle gesund sind und trotz aller Strapatzen und unserer Kindheit putzmunter sind.<<
Rumer sieht mich leicht verdutzt an, lächelt dann aber und holt den Rucksack mit dem Proviant. Das Resultat ist nicht das aller Beste, aber für ein kleines festliches Abendessen reicht es allemal.
Ich bin gerade dabei eine der Beilagen - geröstete Waldpilze in Kräutermarinade - vorzubereiten, als Dereck und Keeden aus dem Wasser auf unser Lager zukommen. Sie lachen und versuchen sich gegenseitig ein Bein zu stellen. Oh man diese süßen kleinen Bubis. Und doch sehen beide zum anbeißen aus. Auch wenn ich nur Augen für Dereck habe, muss ich doch zugeben, dass sie beide einen schönen Körper haben. Nur gut, dass sie nicht nackt ins Wasser gehüpft sind.
Während Dereck sich bei mir einen Kuss abholt und einen Pilz stibitzt, rennt Keeden auf Rumer zu und nimmt sie, nass wie er ist, in die Arme. Sie schreit und windet sich und lacht und haut ihn. Alles auf einmal!
Kurze Zeit später sitzen wir vier zusammen vor dem kleinen Feuer und stopfen uns die Bäuche mit unserem kleinen Festmahl bis zum Rand voll. Es ist ein schönes Gefühl mit seinen Lieben einen gemeinsamen Abend zu verbringen und die Strapatzen der letzten Wochen hinter sich zu lassen. Derecks und Keedens Lachen vermischt sich endlich wieder und auch Rumer lacht heute mehr. Es mag vielleicht komisch wirken, aber diese Tatsache erwärmt meinen Bauch von innen und ich muss fast durchgehend grinsen.
Als auch der letzte Rest der festlichen Speise aufgegessen ist, fängt der Abend erst richtig an. Dereck schlägt vor, dass wir uns gruselige Sommerabend-Geschichten erzählen könnten. Da aber Niemandem etwas in der Richtung einfällt, was die anderen nicht schon kennen, weichen wir auf Geschichten der letzten Jahre aus.
>>Was hat es mit deiner Narbe an deinem Unterschenkel auf sich, Liv?<<, will Keeden wissen. Rumer rollt mit den Augen und lacht. Ich verkneife mir mein Lachen und beginne zu erzählen.
>>Okay. Also es war so. Rumer und ich waren gerade so ein paar Tage auf der Flucht vor ihrem Stamm, den Cazanara. Die haben nämlich durch einen blöden Zufall herausgefunden, dass wir Angens sind. Aber das wisst ihr ja.
Nun gut, also sind wir unterwegs und schlagen unser Lager in einer Gegend auf, in der es von Leuchthörnchen wimmelt. War nicht die beste Entscheidung..<<
>>Oh man.. Das hätte ich euch auch sagen können<<, wirft Keeden ein.
>>Ja jetzt sind wir auch schlauer.<<, fahre ich fort, >>Also wir liegen im Zelt, als wir so leuchtende Punkte hin und her huschen sehen. Rumer schnappt sich ihren Bogen und sagt ich soll im Zelt bleiben. Ich bleibe natürlich nicht im Zelt, sondern folge ihr nichts ahnend. Und das hatte dann zur Folge, dass so ein kleines unscheinbares Leuchthörnchen wie so ein Ninja aus dem Nichts auftaucht und sich auf mein Bein stürzt.
Was denn.. Ihr braucht gar nicht so zu lachen!<< Und doch muss ich selber mit lachen. >>So bin ich also zu der Narbe gekommen. Wäre Rumer nicht so eine gute Jägerin, dann wäre das nicht bloß bei dieser relativ Kleinen geblieben.<<
>>Und wenn du nicht so eine gute Heilerin wärst, dann wäre Rumers rechter Arm jetzt komplett gelähmt. Auch wenn sie Linkshänderin ist.<<, sagt Dereck und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
>>Schleimer!<<, ruft Keeden und zuckt zusammen, als Dereck ihn mit einem Stock abwirft. Schnell sieht er sich auch nach einem geeignetem Gegenstand für den Gegenangriff um.
>>Oh man Jungs. Wie alt seid ihr noch gleich?<<, meldet sich Rumer zu Wort.
Ich muss lachen und wir geben uns ein High-Five.

Samstag, 2. August 2014

Rumer (53.)

Als Livvy und die anderen zurückkommen, liege ich wieder unter dem Baum und starre in die Äste, die sich über meinem Kopf kunstvoll verflechten und beobachte, wie die Lichtstrahlen je nach Stand der Sonne anders durch das Blätterdach brechen und unterschiedliche Schattenmuster auf mein Gesicht werfen. Das Navin gegangen ist, zerrt an mir. Ich weiß, dass er es wieder nur tut, um mir zu helfen. Und das obwohl ich so scheiße zu ihm war. Ich bin so eine blöde Kuh!
Meine Freunde grüßen mich kurz und zeigen mir stolz ihre Beute. Die Jungs haben eine Hirschkuh erlegt und machen sich nun daran ihr das Fell abzuziehen und sie auszuweiden. Liv verzieht angewidert das Gesicht und kommt auf mich zu. Sie setzt sich neben mich in den Schatten.
>>Ich finde es so schrecklich.<<, sagt sie und sieht mich an.
>>Es muss getan werden. Es sei denn du willst, dass wir alle verhungern.<<, erwidere ich und setze mich auf. Der Tag ist beinahe vorbei. In wenigen Stunden wird die Nacht hereinbrechen. Ich frage mich, ob Navin einen sicheren Ort zum Schlafen findet. Wenn man in einer Gruppe reist, ist es unwahrscheinlich angegriffen zu werden, aber ein Einzelgänger könnte von einer Gruppe Plünderer oder von wilden Tieren überfallen werden.
>>Wo ist Navin?<<, fragt Livvy in dem Moment und reißt mich damit aus meinen Gedanken.
Ich seufze. >>Er ist weg.<<
Fragend hebt sie eine Augenbraue. >>Habt ihr euch gestritten?<<
>>Nicht mehr als sonst.<<, murmele ich und weiche ihrem Blick aus. Sie fragt nicht weiter nach und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Fakt ist: Ich habe mir in den vergangenen Tagen nichts sehnlicher gewünscht, als das Navin mich endlich in Ruhe lässt und alles wieder so werden kann, wie es sein sollte. Liv, Dereck, Keeden und ich. Aber jetzt wo er weg ist, wird mir erst klar, dass Navin genauso zu mir gehört wie meine Freunde. Er war vier Jahre lang ein Teil meines Lebens und die erste Person außerhalb des Labors der ich mich verbunden fühle und der ich vertraue. Und ja verdammt ich habe Gefühle für ihn, auch wenn ich mir das nicht immer eingestehen möchte. Er ist ein selbstverliebter, arroganter Vollidiot, der es liebt mich auf die Palme zu bringen und er genießt es, aber ich weiß auch, dass er immer für mich da ist und auf meiner Seite steht. Egal was für haarsträubende Ideen ich auch habe. Selbst so etwas völlig verrücktes wie das Labor anzugreifen.
Mein Blick gleitet zu Keeden, der gerade geschickt das Reh vorbereitet. Kann ich mir meine Gefühle für Navin wirklich erlauben, wenn ich weiß, dass ich Keeden damit das Herz breche? Er war in der schlimmsten Zeit meines Lebens für mich da und hat dafür gesorgt, dass ich nicht zerbrochen bin. Und es war Keeden, der mich in meinen schwächsten Momenten gesehen hat und für mich da war und mich trotzdem immer für stark gehalten hat.
Ich denke jeder Mensch kann entscheiden zu wem er gehört. Und niemand ist gezwungen allein zu sein. Allein zu sein ist nur eine weitere Wahlmöglichkeit.
Liv hat natürlich einerseits ihre Schwester, aber sie hat sich auch ausgesucht zu Dereck zu gehören und Dereck hat im Gegenzug Livvy gewählt. Wenn man die beiden zusammen sieht, würde niemand ihre Zusammengehörigkeit bestreiten.
Keeden hat entschieden, dass er und ich zusammen gehören. Vielleicht ist das wahr. Vielleicht ist das der Grund, weshalb wir das fühlen was der andere fühlt. Liv und Dereck gehören schließlich auch zusammen. Vielleicht ist es vorherbestimmt, dass Keeden und ich letzten Endes immer zusammen gehören werden. Der Gedanke ist wirklich tröstlich. Und wen könnte ich mir besseres aussuchen, als Keeden?
Trotzdem sind da meine Gefühle für Navin. Er hat gesagt, dass er mich liebt. Er gehört zu mir.
Aber zu wem gehöre ich?

Sonntag, 4. Mai 2014

Livvy (52.)

Keeden ist ungewohnt gut gelaunt dafür, dass er in den letzten Tagen kaum ein Wort gesprochen hat und wenn dann nur um sich über irgendwas zu beschweren oder zu sagen, dass mit ihm alles okay sei. Nur mit Dereck hat er hin und wieder kurze Gespräche geführt.
Es war überraschend zu sehen, wie er und Ru sich umarmt haben. Vielleicht kann es ja jetzt endlich wieder so werden wie früher. Wobei ich denke, dass es nie ganz so sein kann, solange die Anspannung wegen Navin da ist. Mir ist klar, dass Rumer ihn liebt und ich danke ihm wirklich, dass er immer für sie da ist, aber Keeden ist ein guter Freund von mir, den ich seit meiner Kindheit kenne. Uns verbindet so viel Vergangenheit, dass es mich traurig macht ihn so verletzt zu sehen.
Plötzlich schlingen sich von hinten zwei Arme um mich. >>Na, meine Hübsche. Worüber denkst du nach?<<, fragt Dereck flüsternd und küsst mein Ohrläppchen.
>>Ich hab nur gerade ein wenig darüber rum philosophiert, ob Navin und Keeden sich wohl weiterhin die Köpfe einschlagen werden, wenn man nicht hinsieht.<<
>>Ja das werden sie. Aber das ist vollkommen normal, denn sie sind beide Kerle.<<, meint Dereck und ich spüre seine Brust an meinem Rücken vibrieren, als er lacht. >>Wenn sich irgendein Typ an dich ranmachen würde, hätte der aber auch nichts mehr zu lachen, das kann ich die versichern.<<
>>Das sagst du doch nur so.<<, sage ich Augen rollend und drehe mein Gesicht weg, damit er nicht sieht, dass ich erröte.
Bevor Dereck antworten kann, erscheint ein wilder Keeden im hohen Gras. >>Alter! Hör auf mit Liv rum zu turteln und bewege deinen Allerwertesten hier rüber. Ich hab eine Gruppe Hirsche gefunden.<<
Dereck löst sich von mir und nimmt wieder seinen Bogen in die Hand. >>Gefunden? Sind sie etwa im Wald verloren gegangen und erst du konntest sie wieder entdecken?<<
Keeden verdreht genervt die Augen, kann sich ein Lächeln jedoch nicht verkneifen. >>Komm jetzt.<<
Die beiden schleichen geschickt durchs Dickicht. Ich bleibe zurück, um sie nicht zu stören, da ich mich immer noch nicht mal ansatzweise so leise bewegen kann, wie sie.
Ich hoffe nur Rumer bringt Navin gerade nicht um. 

Sonntag, 27. April 2014

Rumer (51.)

Es sind jetzt zwei Wochen vergangen in denen Keeden kein einziges Wort mit mir gewechselt hat. Seit dem Streit. Alles was er mir entgegen bringt, wenn er mir denn überhaupt Beachtung schenkt, sind verächtliche Blicke und seine aufgebrachten Gefühle, die mich hin und wieder überschwemmen, wenn ich nicht aufpasse sie abzuschirmen.
Navin hingegen ist voll und ganz in seinem Element und geht mir auf die Nerven wo es nur geht. Obwohl ich ihn auf Abstand halten will und ihm die kalte Schulter zeige, läuft er meist in meiner Nähe, wenn wir mal wieder weiterziehen und redet auf mich ein und neckt mich, bis mir der Kragen platzt. Aber die kleinen Auseinandersetzungen mit Navin tun mir ganz gut. Sie lenken mich ein wenig von meinen ganzen Problemen ab.
>>Hey Ru.<< Ich öffne die Augen und sehe Liv an, die über mir steht und verhindert, dass die Sonne mir ins Gesicht scheint. Wir haben unser Lager an einem See aufgeschlagen und da wir vor dem Zeitplan liegen, da wir viel gewandert sind in den letzten Tagen, haben wir beschlossen für ein paar Tage hier zu bleiben. >>Dereck und Keeden wollen jagen gehen und ich wollte sie begleiten.<<, fährt Livvy fort, als ich mich aufsetze. >>Bleibst du hier oder möchtest du vielleicht lieber mitkommen?<< Ihr Blick wandert zu Navin und ich erkenne Sorge darin.
>>Nein, ich bleib hier.<<, sage ich gelassen und recke mich.
>>Bist du sicher?<<, fragt sie zweifelnd.
>>Ja klar. Sind ja nur ein paar Stunden.<<, antworte ich und schiele zu Navin rüber. >>Ich werde mich benehmen.<<
Zögerlich nickt sie schließlich. >>Okay. Ich glaub dir mal. Dann bis später.<<
>>Ja bis später.<<, meine ich und winke träge mit der Hand. >>Ach und Liv?<< Sie dreht sich noch einmal um und sieht mich fragend an. >>Richte Dereck bitte aus, dass ich Lust auf Kaninchen hätte.<<
>>Alles klar.<< Sie reckt bestätigend einen Daumen in die Höhe und geht dann zu Dereck, der sich gerade seinen Bogen umhängt. Sie küssen sich zur Begrüßung und ich schaue weg.
Schon als wir noch im Labor gelebt haben, war mir klar, dass die beiden irgendwann so enden würden. Sie haben sich immer auf so eine ganz besondere Art und Weise angeguckt. Es war mir früher schon unangenehm gewesen so viel Zuneigung zu sehen, weil ich die meiste Zeit meines Lebens so etwas nicht gekannt habe, aber ich habe es auch immer mit einer gewissen Ehrfurcht und Freude beobachtet, denn es war wie ein Versprechen: Egal wie schlimm es ist, das Schlechte kann das Gute niemals unterdrücken. Das ist in all den Jahren zu einer Art Mantra für mich geworden, dass mich dazu verleitet hat immer weiter zu kämpfen. Egal wie schlimm es ist.
Ich höre wütende Schritt und sehe Keeden am mir vorbeilaufen, seinen Bogen und Köchen umgehängt. Er starrt wütend in Navins Richtung. Dann fängt sein Blick meinen auf und ich sehe für einen Moment Sorge darin, bis er wieder undurchdringlich wird und sich abwendet. Ich spüre einen Stich in meiner Brust, wie immer, wenn Keeden mich so finster anstarrt. Trauer und Schmerz ergreifen von mir Besitz. Es sind meine eigenen. Ich sehe zu Boden.
Aus dem Augenwinkel nehme ich war, dass Keeden stehen bleibt und sich zu mir umdreht. Dann kommt er auf mich zu. Erschrocken starre ich ihn an und will etwas sagen, weiß allerdings nicht was. Als er bei mir ankommt, packt er mich an den Schultern, zieht mich auf die Beine und schließt mich in seine Arme.
Es ist das erste Mal seit Wochen, dass er mich berührt und nachdem ich den ersten Schock überwunden habe, überkommt mich eine ungeheure Erleichterung und ich erwidere die Umarmung.
>>Es tut mir so leid.<<, murmle ich in sein T-Shirt und atme seinen vertrauten Duft ein.
Keeden drückt mich stärker an sich. >>Ist schon okay.<<
Wir stehen eine Weile einfach so da und lassen unsere Gefühle ineinander fließen. Die Trauer, der Schmerz, die Schuldgefühle der letzten Zeit, aber auch die Freude und Erleichterung darüber, dass wir uns jetzt endlich wieder vertragen haben. Dann lösen wir uns schließlich voneinander.
Ich lächle ihn an und er erwidert mein Lächeln. >>Schön, dass du endlich wieder mit mir redest.<<
>>Du weißt doch, dass ich dir nie lange böse sein kann, Ru. Und mich von dir fern zu halten, hat sich mehr nach einer Strafe für mich angefühlt, als das es geholfen hat.<< Er mustert mich aus seinen graublauen Augen und schmunzelt. >>Lass uns später reden. Ich muss jetzt erstmal zur Jagd. Ich glaub Dereck rastet aus, wenn wir nicht endlich los gehen.<<, fügt er hinzu und deutet in die Richtung, wo Dereck und Liv stehen und uns ansehen. Livvy strahlt und zwinkert mir zu und Dereck verdreht gespielt genervt die Augen und ruft: >>Komm jetzt, Keeden! Beweg deinen Arsch hier rüber!<<
>>Jaja. Bin schon auf dem Weg.<<, antwortet Keeden und dann an mich gewandt. >>Also heute Abend?<<
>>Heute Abend.<<, stimme ich nickend zu.
Er grinst und geht dann zu Dereck und Livvy. Dereck schlägt ihm gegen den Hinterkopf, woraufhin Keeden ihn in den Schwitzkasten nimmt und die beiden rangelnd das Lager verlassen, Livvy im Schlepptau. Ich sehe ihnen nach und freue mich, dass jetzt wieder alles besser werden kann.
>>Ihr habt euch wieder vertragen?<<
Erschrocken fahre ich herum und starre gegen ein graues T-Shirt, dass sich über eine muskulöse Brust spannt. Mein Blick wandert hoch zu Navins Gesicht. Er hat fragend eine Augenbraue gehoben und mustert mich spöttisch. Seine dunkelblonden Haare sind noch nass vom baden.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. >>Sieht ganz so aus.<<
>>Freut mich für euch. Dann könnt ihr ja jetzt wieder alle einen auf große, glückliche Familie machen.<<, sagt er sarkastisch und sein Blick wird provokant.
>>Navin!<<, mahne ich ihn.
>>Was?<< Wut schwingt in seiner Stimme mit. Er ist aufgebracht. Ein unangenehmes Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Er bricht es als erster. >>Ich werde gehen.<<
Das lässt mich aufhorchen. >>Wie meinst du das?<<
>>Ich werde zurück zum Stamm gehen und gucken was ich bewirken kann, damit sie sich dieser ganzen Aktion anschließen. Nur mit den Außenseitern schaffen wir das nicht und bei denen ist auch noch fraglich wie viele kommen werden. Vielleicht schaff ich es ja auch noch ein paar andere Stämme zum Mitmachen zu bewegen. Dann hätten wir eine Chance.<< Seine Mimik ist kontrolliert, aber in seinen Augen sehe ich, dass es in ihm tobt.
Ich will irgendwas sagen, ihn zum Hierbleiben bewegen, doch ich weiß, dass er recht hat. >>Wann brichst du auf?<<
>>Jetzt gleich.<<
>>Okay.<< Mehr bekomme ich nicht heraus.
Er nickt und wendet sich ab. >>Ich geh dann mal meine Sachen zusammen packen.<<
>>Warte, ich helfe dir.<<, meine ich und gehe mit ihm. Gemeinsam bauen wir sein Zelt ab und packen es zusammen. Außerdem gebe ich ihm genug von unseren Vorräten, damit er für ein paar Tage über Runden kommt, damit er schnell zu den Stämmen gelangt und nicht so viel Zeit aufs Jagen verwenden muss.
Als alles gepackt ist, stehen wir uns wortlos gegenüber. Keiner weiß, was er sagen soll.
>>Na dann... auf Wiedersehen.<<, sage ich nach einer Weile. >>Ich hoffe du hast eine gute Reise und kommst heil beim Stamm an.<<
>>Danke.<<, erwidert er. Ich strecke ihm die Hand hin. >>Ach, Rumer. Das können wir besser.<<, sagt er, packt mein Handgelenk und zieht mich an sich. Ich sauge erschrocken Luft ein, ehe er seine Lippen auf meine presst. Erst versteift sich mein gesamter Körper, doch dann packe ich ihn am Kragen und ziehe ihn näher an mich heran, um seinen Kuss zu erwidern, doch viel zu früh löst er sich wieder von mir und sieht mich traurig grinsend an. >>Das musste noch einmal sein. Bis dann.<< Mit diesen Worten dreht er sich um, seine Tasche und seinen Bogen umgehängt und geht.
>>Pass auf dich auf.<<, flüster ich, als er schon längst im Wald verschwunden ist.