Samstag, 8. Dezember 2012

Rumer (3.)

Ich kann mich vor lachen kaum noch auf den Beinen halten. Mit ihrem >>Ich kann deine Wunde versorgen.<< hat Livvy Navins Stolz den Rest gegeben. Wenn seine Hand nicht verletzt wäre, würde er sie wahrscheinlich erschießen.
Natürlich hat sie es nur gut gemeint, aber wir vom Cazanara Stamm sind unheimlich eitel, darum habe ich mich ihnen auch angeschlossen. Wenn wir verletzt werden, lassen wir uns nicht verarzten. Wir stehen die Schmerzen durch. Okay, andererseits liegt das auch daran, dass wir mehr Jäger, als Heiler ausbilden. Beim den Kandaru ist es anders herum. Aber ihre Unwissenheit ist buchstäblich zum schießen.
Navin wendet sich wieder mir zu. >>Wieso hast du überhaupt auf mich geschossen? Sie ist der Feind!<<, meint er und deutet auf Livvy.
Jetzt brauche ich ganz schnell eine gute Ausrede. Ich könnte ihm erzählen, dass ich Livvy von früher kenne, aber ich vermeide es von meiner Vergangenheit zu reden. Wenn nämlich jemand raus bekommen würde, dass ich ein Angen bin, bin ich so gut wie tot, denn Angens werden von den Menschen abgewiesen, als unnatürlich eingestuft und gejagt.
Ich habe Glück. Das Blau in meinen Augen erkennt man nur, wenn man ganz genau hinsieht und ich lasse niemanden nahe genug an mich ran und wenn doch vermeide ich Blickkontakt. Bis jetzt hat das immer geklappt. Die Menschen, die außerhalb der Nevuloge wohnen, sind viel zu sehr mit dem Überleben beschäftigt. Auch wenn die Stämme einigermaßen weit von den radioaktiven Strahlungs-Zonen entfernt sind, kommt es doch oft genug vor, dass sich eine Gruppe von mutierten Tieren in diese Gegend verirrt.
>>Wir nehmen sie gefangen. Dann haben wir ein Druckmittel gegen den Kandaru Stamm. Wir können es uns nicht leisten noch mehr Leute zu verlieren.<<, sage ich schließlich und werfe Livvy einen kurzen Blick zu. Sie starrt mich mit vor Schreck geweiteten Augen an.
Navin wirkt erst skeptisch, aber dann nickt er. >>Okay, ich nehme sie mit.<<
>>Nein!<<, rufe ich und stelle mich ihm in den Weg. >>Ich nehme sie. Du musst Elion tragen.<<
>>Oh. Bist du zu schwach dafür?<<, neckt er mich.
>>Halt die Fresse du Idiot!<<, schimpfe ich und schubse ihn. Er lacht.
>>Schon gut. Nimmt du das Mädchen.<< Daraufhin dreht er sich um und geht zurück zu der Stelle, wo Elion gestorben ist.
Ich hänge mir meinen Bogen um und stecke den Pfeil zurück in den Köcher. Dann wende ich mich Livvy zu. >>Mitkommen! Und versuch nicht abzuhauen!<< Ich rede extra laut, falls Navin mich hört.
Livvy sieht mich ängstlich an. >>Ru...<<
>>Shht!<<, unterbreche ich sie. >>Niemand darf wissen, dass wir uns kennen, Liv. Das ist sicherer.<<
Sie sieht erleichtert aus und nickt. Dachte sie etwa ich wäre echt gegen sie?
Ich packe sie am Ellenbogen und führe sie hinter Navin her. Er hat sich den Leichnam von unserem Späher über die Schulter geworfen und ist bereit zum Aufbruch.
>>Können wir?<<, will er wissen.
>>Wenn du Lahmarsch dich endlich mal bewegen würdest, gerne.<<, schieße ich zurück.
Navin schüttelt nur den Kopf und geht vor, Richtung Cazanara Stamm. Da Livvy es anscheinend nicht gewohnt ist, sich in so dichtem Dickicht zu bewegen, sind wir noch langsamer als eben auf dem Hinweg. Wir kommen erst wieder im Lager an, als es schon dunkel wird.
>>Navin!<<, ruft Farina, Navins kleine Schwester und kommt auf uns zu gestürmt. Als Navin Elions Leiche zu Boden fallen lässt, bleibt sie stehen und schreit. Alle Stammesmitglieder, die anwesend sind, versammeln sich augenblicklich um den Toten.
>>Wie ist das passiert?<<, fragt Lisandro, unser Anführer und kniet sich hin.
>>Ein Überfall. Die Kandaru dieses Mal.<<, erklärt Navin und nimmt Farina auf den Arm, die jetzt weint.
>>Kandaru!<< Lisandro spuckt das Wort aus, als wäre es eine Beleidigung. Und um ganz ehrlich zu sein, empfinde ich gerade genau so. Elion hat niemandem etwas getan. Er war ja nicht mal bewaffnet!
>>Wir haben eine von ihnen gefangen genommen. Als Druckmittel.<<, verkündet Navin und deutet auf Livvy. Oh scheiße!
Lisandro steht auf und kommt auf uns zu. Ich sehe aus Respekt zu Boden. >>Als Druckmittel? Wir sollten sie töten.<<
Ich will schon widersprechen, aber Navin kommt mir zuvor: >>Wir haben schon drei von ihnen getötet. Wenn wir sie gefangen halten, haben wir mehr davon.<<
Unser Anführer denkt eine Weile nach. Dann nickt er und ruft zwei Männer zu sich. >>Bringt sie in Elions Hütte und passt auf, dass sie dort bleibt.<<, befiehlt er ihnen.
>>Sei stark.<<, flüstere ich Livvy ins Ohr, bevor die Männer sie packen und wegbringen.
>>Wie viel Beute habt ihr?<<, fragt Lisandro dann an Navin und mich gerichtet.
>>Wir sind nicht zum Jagen gekommen.<<, sage ich. >>Der Angriff kam zu früh und wir sind nur langsam voran gekommen.<<
>>Dann geht ihr jetzt noch einmal los.<<, bestimmt er und geht.
Navin setzt Farina wieder ab und küsst sie auf den Scheitel. >>Bis später, Kleine.<<
>>Bis nachher.<<, seufzt sie und geht zurück in ihre Hütte. Die Eltern von den beiden sind tot. Ihre Mutter ist bei Farinas Geburt gestorben und ihr Vater wurde von einem feindlichen Stamm ermordet.
Und da Navin immer jagen muss, hat er kaum Zeit für Farina. Irgendwie tut sie mir leid.
>>Kommst du?<<, fragt Navin und reißt mich aus meinen Gedanken.
>>Weißt du was? Bleib du ruhig hier bei Farina. Ich gehe allein. Bei Nacht traut sich eh kein Feind auf unser Territorium.<<, biete ich an.
Er sieht verwundert aus. Ich war noch nie wirklich nett zu ihm. Aber ich tue das ja auch für Farina.
>>Bist du sicher?<< Ich weiß, dass er nur aus Höflichkeit fragt. Er will gerne bei ihr bleiben, dass sehe ich in seinen Augen.
>>Ja. Kein Problem. Aber dafür darfst du morgen keine anzüglichen Bemerkungen machen. Deal?<<, frage ich und strecke ihm meine Hand hin. Er schlägt ein.
>>Deal!<<
Und damit gehe ich allein zurück in den Wald. Aber ich nehme mir vor mit Livvy zu reden, sobald ich wieder zurück bin.

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