Donnerstag, 6. Dezember 2012

Rumer (1.)

Wir sind auf dem Weg zu unserem üblichen Jagdplatz. Elion, unser Späher, Navin, mein zwangsmäßiger Jagdpartner und ich. Geschickt schlängeln wir uns durchs dichte Unterholz. Jeder andere wäre mindestens schon sechsmal gestolpert, aber wir nicht, denn wir kennen uns aus. Es gibt keinen Zentimeter im Territorium des Cazanara Stamms der uns unbekannt ist. Und das ist auch gut so, denn sonst wäre es viel mühseliger Beute zu erwischen. Aber normalerweise kommen Navin und ich immer mit vollen Jagdbeuteln zurück. Und wir würden noch mehr schaffen, wenn wir nicht hinter Elion herschleichen müssten. Der ist ungefähr so langsam wie eine trächtige Kängururatte, was auch einer der Gründe ist, weshalb er nicht zum Jäger ausgebildet wird. Elion ist entbehrlich.
Navin und ich nicht. In letzter Zeit ist es nämlich immer öfter vorgekommen, dass Mitglieder aus anderen Stämmen auf unserem Gebiet gejagt haben und dabei haben sie drei unserer besten Jäger getötet. Noch mehr Verluste können wir uns nicht leisten, denn immerhin haben wir vierundzwanzig Mäuler zu stopfen.
Plötzlich bleibt Elion stehen. >>Warte mal.<<, sagt er und lauscht.
>>Was ist denn jetzt schon wieder?<<, frage ich genervt.
>>Ich glaube ich habe was gehört!<<, meint er und sieht mich an. Das ist jetzt schon das vierte mal innerhalb der letzten zehn Minuten! Seufzend deute ich ihm zu gehen, um zu gucken was los ist.
Kaum ist er weg schnurrt Navin mir ins Ohr: >>Hey Rumer, wie wär's wenn wir rummachen, bis er wieder kommt? Dann wäre es nicht so langweilig.<<
>>Wie wäre es, wenn ich dir gleich bei der Jagd einen Pfeil in den Arsch jage?<<, schlage ich vor und funkel ihn böse an. Sofort weicht er zurück, denn er weiß, dass ich es tun würde. Ich hab ihm schon mal in die Schulter geschossen, weil er mich zuvor bedrängt hat, aber der Kerl gibt einfach nicht auf. Idiot! Bevor wir uns weiter streiten können, ertönt ein lauter Schrei. Die Stimme ist unverkennbar: Elion! Sofort schnappe ich mir meinen Bogen und lege einen Pfeil auf die Sehne. Dann renne ich in die Richtung in die Elion verschwunden ist. Nach nicht einmal zwanzig Metern bleibe ich stehen. Ein Stück weiter vor mir liegt ein lebloser Körper. Elion ist tot. In seinem Kopf steckt ein Pfeil. Schon der dritte Späher diese Woche. Wir sollten mehr an der Ausbildung feilen.
Dann nehme ich eine Bewegung wahr und erkennen einen Mann. Er ist aus dem Stamm der Kandaru, dass erkennt man an den Zeichen in seinem Gesicht. Ich habe mich schon oft gefragt, wieso sie sowas tun. Vielleicht um besser auszusehen? Oder einfach, weil sie beschränkt sind. Ich ziele mit dem Pfeil auf ihn, aber ich lasse nicht los. Die Kandaru sind der friedlichste Stamm den ich kenne. Die töten nicht ohne Grund. Und ich will wissen, was der Grund ist. Aber da taucht Navin auch schon auf, entdeckt den Kandaru und jagt ihm einen Pfeil ins Herz. Na toll, den kann ich jetzt wohl nicht mehr fragen. Schnell sehe ich mich um.
Da sind noch zwei andere. Und die scheinen nicht mehr auf ein klärendes Gespräch aus zu sein. Obwohl wir jetzt rein theoretisch quitt wären. Sie haben einen von uns getötet und wir einen von ihnen. Aber ihr Mann war ein Jäger. Er war mehr wert als Elion. Auch Navin weiß das und will auf den Nächsten schießen, aber der andere hat ihn ins Visier genommen. Bevor dieser jedoch schießen kann steckt einer meiner Pfeile in seinem Kopf. Navin erledigt den Letzen. Wir suchen noch eine Weile die Gegend ab und erst als wir sicher sind, dass kein Feind mehr hier ist, gehen wir zu Elions Leiche.
>>Wir müssen ihn zurück ins Dorf bringen, um ihn zu begraben.<<, sage ich und sehe teilnahmslos auf das Gesicht des toten Spähers. Navin nickt nur. Elions Tod scheint ihm die Sprache verschlagen zu haben. Kein Wunder, die beiden waren gute Freunde. Aus dem Grund habe ich auch keine Freunde im Stamm. Das Risiko sie zu verlieren, ist zu groß.
Da höre ich plötzlich ein Rascheln. Blitzschnell lege ich einen neuen Pfeil auf und ziele in die Richtung. Zwischen den Sträuchern entdecke ich ein Mädchen mit rotbraunem Haar. Ob sie auch eine Jägerin der Kandaru ist? Doch gerade als ich auf sie schießen will, dreht sie sich um und rennt weg. Ich laufe hinterher.
>>Stehen bleiben oder ich schieße!<<, rufe ich und ziele auf ihren Hinterkopf. Sie bleibt wie angewurzelt stehen. >>Hände hoch!<< Vorsichtig hebt sie ihre Hände über den Kopf, aber es sieht nicht danach aus, als würde sie irgendwelche Waffen bei sich tragen. Na ja, sicher ist sicher. >>Und jetzt umdrehen!<<, befehle ich. Ganz langsam dreht sie sich um.
Etwas an ihr ist merkwürdig. Es dauert eine Weile, bis ich darauf komme: Ihre Augen! Sie sind nicht grau, wie bei allen anderen Menschen, sondern ihre sind mit grün durchzogen. Dann durchzuckt mich die nächste Erkenntnis: Ich kenne dieses Mädchen!

1 Kommentar:

  1. Wow, ich muss wirklich zugeben, dass die Geschichte wirklich fantastisch ist. Zwar bin ich erst im zweiten Kapitel, aber ich bin schon gespannt weiter zu lesen. Macht auf jeden Fall weiter so.

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