Freitag, 7. Dezember 2012

Livvy (2.)

Während vor meinen Augen eine Pfeilspitze darauf wartet mich durchlöchern zu dürfen, achte ich nur auf das Mädchen, das auf mich zielt.
Ich kenne sie. Es ist Rumer. Besser gesagt ich kannte sie mal sehr gut, denn wir waren unzertrennlich. Wir kannten uns seit wir denken können, denn wir waren an dem gleichen Ort gefangen. Es war ein Genlabor am Rande eines Nevulogs. Dort wurden Kinder hingebracht, die niemand vermissen würde. So wie Rumer, die von einem Waisenhaus "abgekauft" wurde. Meinen Eltern wurde vorgegaukelt ich sei verstorben, aber ich wurde verschleppt.
Die Leute in den gelben Schutzanzügen haben an uns untersucht, wie sich Strahlung auf die menschlichen Gene auswirkt. Mit unserer Hilfe wollten sie ein Mittel erstellen, das den Menschen ein Leben außerhalb der Nevuloge ermöglichen sollte, ohne an der Strahlung zu sterben.
Das letzte Mal, das ich Rumer gesehen habe, war als ich zurückkehren wollte, um meine Schwester zu befreien.
Sie ist losgezogen, um zwei unserer Freunde, Keeden und Dereck, zu suchen. Wir wurden von ihnen getrennt, als wir mit 12 aus dem Labor geflüchtet sind. Das war vor vier Jahren.
Tja..und jetzt sehen wir uns zum ersten Mal seit so langer Zeit wieder und sie will mich erschießen. Ich habe mir dieses Wiedersehen irgendwie immer schöner und nicht ganz so bedrohlich vorgestellt.
Aber unser Leben war ja noch nie "normal".
Ich dachte immer, wenn wir uns wiedersehen, hätte ich Willow schon längst gerettet. Doch als ich zurückkam, war sie nicht mehr da. Sie ist jetzt eine der Ausgestoßenen, Kinder bei denen die Versuche schief gingen. Ihre Lebenserwartung wurde auf höchstens 20 Jahre geschätzt. Willow war damals 7 Jahre alt, das bedeutet ich habe mit Glück noch 9 Jahre mit meiner Schwester, falls ich sie jemals wiederfinde. Niemand weiß, wo die Ausgestoßenen hingebracht werden.
Rumer und mich hat es besser getroffen, wenn man es denn so nennen kann. Unsere Gene wurden durch die Strahlung so verändert, dass wir, sobald wir ausgewachsen sind, langsamer altern. Das heißt, wir werden hier länger festsitzen, als uns lieb ist. Wegen diesem Defekt nennen sie uns Angens( Anti-Gen). Die einzigen, die mit uns alt werden könnten, wären Keeden und Dereck, vorausgesetzt sie leben noch, denn Angens besitzen etwas Unverkennbares: Unsere Augen sind mit Farbe durchzogen und nicht so wie üblich staubgrau.
An uns vieren wurden die ersten Fortschritte festgestellt und die älteren Kinder meinten, dass die Wissenschaftler mit diesen Versuchen keinen Erfolg haben dürfen, also haben sie uns bei der Flucht geholfen. Wäre Willow nicht zurückgeblieben, wären wir Fünf jetzt alle noch zusammen und in Sicherheit.
Aber das sind wir nicht. Ich für meinen Teil stehe gerade meinem Tod gegenüber. Meine ehemalige beste Freundin hält mir doch tatsächlich Pfeil und Bogen vor die Nase. Aber sie lässt ihr Geschoss sinken. Hätte mich auch gewundert, wenn sie mich nicht erkannt hätte. Jedenfalls hoffe ich, dass sie mich erkannt hat.
Plötzlich kommt ein blonder Typ durchs Dickicht gestürmt. Er schreit sauer: >>Rumer! Wo bleibst du. Soll ich hier alles alleine wegschleppen? Ach du scheiße..Was machst du da?!<< Und dann zielt auch schon der zweite Pfeil heute auf mein Gesicht. Doch Rumer reagiert schneller als er und im nächsten Augenblick steckt einer ihrer Pfeile in seiner Hand.
Während er sichtlich entsetzt seine Wunde anstarrt, kann Rumer nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken. Sein Blick wandert von mir zu ihr. >>Warum immer ich?<<, schreit er.
>>Sorry...<<, entschuldigt sich Rumer halb lachend.
>>Das ist schon das zweite Mal diesen Monat. Hey, hör auf zu lachen!<<, schmollt Blondie und zieht den Pfeil aus seiner Hand. Rumer schlingt ihre Arme um ihrem Bauch und ringt nach Luft vor lauter lachen.
>>Ich kann deine Wunde versorgen..<<, sage ich kleinlaut, woraufhin er mir einen finsteren Blick zuwirft.

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