Donnerstag, 20. Dezember 2012

Rumer (13.)

Jetzt weiß ich wie Tiere sich fühlen müssen, wenn sie vor einem Jäger stehen und wissen, dass sie nicht mehr entkommen können. Das ist echt verdammt scheiße!
>>Hey.<<, sage ich zu dem Fremden und winke, weil mir nichts besseres einfällt. Vielleicht denkt er ich bin nur ein Dummchen und lässt mich gehen. Aber das bezweifel ich, denn ich habe ja meinen Bogen dabei und an sowas kommen nur ausgebildete Jäger. Sieht mal so... gar nicht gut für mich aus.
Hoffentlich ist Liv wenigstens schlau genug leise zu bleiben und abzuhauen, bevor sie auch noch entdeckt wird.
Der Typ sieht mich amüsiert an. Er scheint nicht viel älter zu sein als ich. Und außerdem ist er echt heiß. Okay, schlechter Zeitpunkt, um jetzt zu schwärmen, wo er mich doch erschießen will, ich weiß. Aber ich finde es trotzdem erwähnenswert. Ich meine, so habe ich wenigstens einen schönen Ausblick, bevor ich sterbe. Und erschossen zu werden, dazu noch von jemandem der so gut aussieht, ist um Längen besser als an einem Leuchthörnchenbiss zu sterben. Ich meine allein bei dem Namen will man doch am liebsten laut los lachen. Leuchthörnchen. Wie lächerlich wegen so einem Wesen zu verrecken.
>>Hallo.<<, grüßt der Fremde zurück und lächelt. Oh mein Gott, ist sein Lächeln süß. Da will man gar nicht glauben, dass er einen töten will. Aber so ist es nun mal. Und ich bin sein Opfer. Juhu!
>>Schönes Wetter heute, oder?<<, frage ich und verkneife mir ein Lachen. Wer hätte gedacht, dass ich meinen Tod so witzig finden würde. Aber es ist nun  mal so ulkig, weil ich letzten Endes doch wegen dem verdammten Leuchthörnchen sterbe, das mich gebissen hat. Wäre mein Arm nämlich nicht verletzt, dann würde ich dem Typen einen Pfeil in den Kopf jagen, bevor er wüsste, wie ihm geschieht. Oder vielleicht würde ich auch in sein Herz schießen, um sein hübsches Gesicht nicht zu verschandeln.
>>Ja, das Wetter ist recht gut.<<, antwortet der Kerl und beschenkt mich mit einem weiteren Lächeln.
Tja, was soll ich jetzt noch sagen, bevor es aus ist mit mir? Was soll ich noch tun? Beten? Gott danken? Aber wofür? Das einzig gute, was ich in meinem Leben noch habe, ist Livvy und das auch nur wieder durch Zufall. Also nein, ich werde Gott, falls es ihn denn gibt, nicht danken. Aber falls ich ihm mal begegnen sollte, werde ich ihm einen Pfeil in den Arsch jagen, so viel ist sicher!
Ich halt also meine Klappe und warte, dass der Junge endlich schießt. Aber nichts passiert.
>>Können wir es endlich hinter uns bringen?<<, frage ich. >>Ich werde nicht um mein Leben betteln, falls du das willst. Lieber sterbe ich. Oh, darauf wird es ja eh hinauslaufen.<<
>>Du erkennst mich echt nicht, oder Rumer?<<, fragt der Typ und grinst.
Woher kennt er bitte meinen Namen? Moment mal!
Ich gehe einen Schritt auf ihn zu. Er schießt nicht. Dann noch einen. Er schießt immer noch nicht. Ich gehe so weit ran, dass ich seine Augenfarbe sehen kann. Grau, mit blau durchzogen, wie meine Augen. Ich kenne nur einen anderen Menschen, der diese Augenfarbe hat. Nur einen einzigen. Und da es nur vier Angens gibt, muss er es sein.
>>Keeden!<<, keuche ich und falle ihm um den Hals. Er lässt seinen Bogen fallen und schließt mich in die Arme. Ich habe ihn überhaupt nicht erkannt. Als ich ihn das letzte mal gesehen habe, bei der Flucht aus dem Labor, war er 13 und noch ein kleiner Junge und jetzt ist er 17 und schon ein junger Mann.
>>Ich habe dich vermisst, Ru.<<, murmelt er in meine Haare.
>>Ich dich auch.<<, schluchze ich. Ja, ich weine. Vor lauter Freude.
Wie kann man nur so viel Glück haben? Erst finde ich Livvy wieder und jetzt auch noch Keeden. Vielleicht gibt es ja doch einen Gott.
>>Keeden?<< Es ist Livvy, die das fragt. Sie kommt unsicher aus ihrem Versteck. Keeden lässt mich los und strahlt sie an.
>>Du bist auch hier? Ich glaub ich werd nicht mehr! Komm her, Liv.<<, ruft er ihr zu und breitet die Arme aus. Livvy rennt auf ihn zu und sie umarmen sich ebenfalls.
Nachdem wir das Begrüßen und die Freudentränen hinter uns haben, setzen wir uns um das nicht angezündete Lagerfeuer vor Keedens Zelt. Doch genau dann kommt plötzlich noch jemand auf die Lichtung. Dereck! Livvy und ich sehen uns an, springen auf und rennen auf ihn zu. Dann werfen wir ihn aus Versehen um, weil wir ihn so stürmisch begrüßen wollen.
>>Was macht ihr denn hier?<<, fragt Dereck erstaunt und funkelt uns mit seinen graugrünen Augen fröhlich an. Jetzt sind wir wieder alle zusammen. Jetzt wird alles besser.
Wir setzen uns wieder um das Lagerfeuer, dass Keeden nun anzündet und erzählen uns, was die letzten Jahre alles bei uns passiert ist.
Keeden und Dereck haben Liv und mich auch gesucht, aber nicht gefunden. Sie sind immer zusammen geblieben und haben sich das Zelt und andere nützliche Dinge im Laufe der Jahre von Stämmen geklaut.
Auch sie hatten die Hoffnung, dass wir vier uns jemals wiedersehen schon fast aufgegeben.
Und nun sind wir hier. Alle beisammen. Die einzigen Angens auf der Welt.

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