Montag, 24. Dezember 2012

Winterpause!

So, ab jetzt machen wir Urlaub. Das heißt bis Neujahr kommt erstmal nichts mehr, aber gleich am 1.1.2013 geht es weiter.
Bis dahin wünschen wir euch frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Euer Angens-Team

Sonntag, 23. Dezember 2012

Rumer (15.)

Gähnend wache ich auf. Mein Kopf dröhnt und mir ist total schlecht. Was zur Hölle ist gestern passiert? Das Letzte woran ich mich erinnern kann, ist, dass Keeden und Dereck uns so ein komisches Getränk angeboten haben. Der Rest der Erinnerungen ist irgendwie aus meinem Kopf gepustet. Als wären sie einfach explodiert und hätten diese beschissenen Kopfschmerzen hinterlassen.
Ich will mich umdrehen, aber irgendwie ist es hier verdammt eng. Ich sehe zur Seite. Livvy schläft. Wie süß. Dann sehe ich zur anderen Seite. Moment mal! Wieso liegt Keeden den in unserem Zelt?
Vorsichtig setze ich mich auf. Dereck ist auch hier drin. Er liegt auf Livvys anderer Seite.
Okay, ohne scheiß, was ist gestern geschehen?
>>Livvy. Psst! Liv! Wach auf!<<, zische ich und rüttel sie an der Schulter.
>>Was ist?<<, murmelt sie immer noch im Halbschlaf.
>>Steh auf! Wir müssen hier raus!<<
Jetzt ist ihre Aufmerksamkeit geweckt und sie sieht sich um und erspäht Dereck und Keeden.
>>Oh.<<, sagt sie.
>>Ja, oh! Und jetzt raus hier.<<
Leise öffne ich den Reißverschluss des Zeltes und schlüpfe nach draußen. Liv folgt mir.
Was wir sehen, passt irgendwie nicht zusammen. Im Lagerfeuer und drum herum liegen lauter Glasscherben und ein beißender Gestank weht uns entgegen.
>>Igitt! Was ist das denn?<<, frage ich und halte mir die Nase zu.
>>Ich glaube das hier.<<, meint Livvy kleinlaut und deutet auf etwas. Kotze.
Plötzlich flackern Bilder vor meinem inneren Auge auf. Livvy, die Dereck auf die Schuhe kotzt.
>>Das ist deine Kotze.<<, stelle ich lachend fest.
>>Ich weiß. Ist mir auch gerade eingefallen.<< Sie sieht bedrückt zu Boden.
>>Na komm.<<, sage ich und gehe zu unseren Sachen, die immer noch in dem Gebüsch liegen, wo Livvy sich verstecken sollte. Ich hole zwei Zahnbürsten, die komische Kräuterpaste, die Liv gemacht hat und eine Flasche mit Wasser heraus. Dann reiche ich Liv eine Zahnbürste und bestreiche meine eigene mit der Kräuterpaste und lasse etwas Wasser rüberlaufen, ehe ich beides an Livvy weiterreiche. Und dann putzen wir uns erstmal unsere Zähne.
Es fühlt sich gut an wieder frischen Geschmack im Mund zu haben.
>>Und was jetzt?<<, fragt Liv als wir fertig sind.
>>Keine Ahnung. Ich hab zu große Kopfschmerzen.<<, brumme ich und setze mich in den Schatten der Bäume, die die Lichtung umrahmen.
Dann kommt Keeden aus dem Zelt. Ich springe auf und stapfe auf ihn zu.
>>Guten morgen.<<, grüßt er mich.
>>Steck dir das sonst wohin!<<, mecker ich ihn an und schubse ihn.
>>Was ist denn in dich gefahren?<<, fragt er verwirrt.
>>Was in mich gefahren ist? Die Frage ist ja wohl, was in euch gefahren ist! Was war das für ne Scheiße, die ihr uns da gestern gegeben habt?<<
>>Das war doch nur Spaß.<<, meint Keeden unschuldig.
>>Das nennst du Spaß? Livvy hat hier alles vollgekotzt!<<, brülle ich zurück.
>>Hey! Ich hab nur einmal gekotzt!<<, meldet sich Liv zu Wort, aber ich bringe sie mit einem bösen Blick zum Schweigen.
>>Da können wir doch nichts für, wenn ihr es gleich so übertreiben müsst. Wir haben euch tausendmal gesagt, dass ihr nicht so viel trinken sollt, aber ihr habt ja nicht gehört!<<, verteidigt sich Keeden, aber er scheint das ganze furchtbar komisch zu finden. Kein Wunder. Wir haben uns auch gestern, wie kleine Kinder benommen.
>>Mahn. Ihr hättet uns doch aufhalten können!<<, beschwere ich mich, weil mir nichts besseres mehr einfällt.
>>Hab ich doch!<< Oh ja, ich erinnere mich. Er hat mir die Flasche aus der Hand geschlagen und sie ist ins Feuer geflogen und... explodiert.
>>Warte mal. Das Zeug ist explodiert. Das kann doch nicht gesund sein.<<, sagt Livvy, die sich anscheinend auch gerade erinnert hat.
>>Wir haben nie gesagt, dass es gesund ist. Wir meinten nur es macht lockerer.<<, wirft Keeden ein.
>>Ja, es hat definitiv locker gemacht.<<, meine ich trocken, muss dann aber lachen, weil es irgendwie recht witzig gestern war. Keeden und Liv stimmen mit ein.

Samstag, 22. Dezember 2012

Livvy (14.)

Es ist unbeschreiblich schön, dass wir Keeden und Dereck wiedergefunden haben. Sie waren eine Zeit lang sogar gar nicht weit weg von den Stämmen entfernt. Vom Cazanara-Stamm haben sie Pfeile und Bögen gestohlen und von meinem ehemaligen Stamm ein Zelt.
Sie haben viel erlebt. Mein Leben war im Vergleich zu ihrem extrem langweilig wie mir auffällt. Warum haben nur Jäger so spannende und aufregende Sachen erlebt? Ich wurde Heilerin.
Aber immerhin. Denn wenn sich hier beim Jagen jemand verletzten würde, wäre ich zur Stelle. Aber das ist nur wenig Trost.
>>Wollt ihr mal was ausprobieren?<<, fragt Keeden und seine Augen leuchten.
>>Ähm. Und was genau?<<, antworte ich.
>>Es nennt sich Alkohol. Wir haben ein paar Flaschen davon bei einem Stamm hier in der Nähe mitgehen lassen.<<, erwidert Dereck.
>>Und was ist so besonders daran?<<, will Rumer wissen.
>>Es macht einen lockerer. Und man wird viel geselliger.<<, sagt Keeden und springt schon auf, um eine Flasche des Getränks zu holen.
Dereck und er trinken ein paar Schlucke. Danach hält Keeden mir die Flasche hin. Ich bin ein wenig unsicher. Rumer ist es nicht, denn sie schnappt sie sich und schluckt ein wenig des Inhalts hinunter. Danach hustet sie. Ihre Hand legt sich an ihren Hals. >>Das hat aber ganz schön Nachgeschmack. Schmeckt aber gar nicht mal so schlecht, Jungs. Und es wärmt den Hals.<<, sagt Rumer und lacht. >>Komm schon Liv!<<
>>Nein lieber nicht. Ich weiß ja gar nicht, wie ich darauf reagiere.<<
>>Trink doch einfach!<<, ruft Keeden, der gerade eine zweite Flasche aus ihrem Zelt holt.
>>Aber euch ich klar, dass das Gruppenzwang ist, oder?<<, sage ich und zögere immernoch. Doch Keeden drückt mir die Flasche in die Hand. Nun gut. Ich werde das Zeug mal ausprobieren.
Vorsichtig nehme ich einen Schluck. Es brennt beim Schlucken in der Speiseröhre. Im nächsten Moment wärmt es meinen Körper. Dieses Gefühl ist irgendwie schön und ich nehme noch ein paar Schlückchen mehr. Die anderen klatschen und jubeln mir zu.
Rumer entreißt mir die Flasche und trinkt sie fast leer. Danach fängt sie an zu kichern. Ich pruste los, weil ihr Gekicher sich so lustig anhört. Keeden und Dereck lachen mit. Nachdem ich mich wieder einigermaßen erholt habe, trinke ich die Flasche mit dem Alkohol leer.
>>Ziemlich durstig ihr beiden!<<, bemerkt Keeden und stupst Rumer in die Seite. Rumer starrt ihn verwundert an. Ihr Gesicht nähert sich seinem. Und auf einmal patscht sie ihm ihre Hand an seine Wange. >>Wow. Du bist ja ganz rasiert!<< Ihre Hand kreist um Keedens Wange. >>Komm mal her Liv. Das musst du auch mal fühlen!<<
Ich bin ganz aus dem Häuschen. Schnell laufe ich rüber und patsche meine Hand ebenfalls an seine weiche Wange. >>Gar keine Haare dran.<<, sage ich und bin ganz fastziniert. >>Und bei Dereck?<<. Fragend sehen wir uns an und springen auf. Wir stürzen auf ihn zu, mit unseren Händen vorran. Er schreckt zurück, doch wir errichen ihn und seine Wange bleibt nicht verschont.
>>Oh mein Gott, die ist ja auch so weich!<<. Erstaunt sehen Rumer und ich uns an. So weiche Wangen habe ich noch nie in meinem Leben angefasst.
Dereck und Keeden tauschen verstörte Blicke aus. Aber Keeden fängt an zu lachen, weil die Situation einfach total abgedreht ist. >>Wir hätten ihnen wohl nicht so viel geben sollen, Dereck!<<, sagt Keeden. Dereck nickt nur, denn unsere Hände kreisen so in seinem Gesicht, dass sein Mund in verschiedene Richtungen gezogen wird.
Rumer steht auf und taumelt lachend zu Keeden rüber. Er lächelt sie an. Doch kurz bevor sie bei ihm ankommt, stolpert sie über ihre eigenen Füße und landet auf ihm. Ich kann mich vor lachen kaum noch halten und meine Augen tränen schon total. Sie sieht etwas verwirrt aus und bei diesem Anblick fangen die Jungs auch an zu lachen.
Dieses Alkohol-Zeug ist echt gut. So viel Spaß hatte ich noch nie in meinem Leben. >>Wo ist die andere Flasche eigentlich? Das ist echt lecker Leute!<<, sage ich und bemerke, dass die Wörter, die ich spreche, kaum verständlich klingen. Das bringt mich wieder zum lachen.
>>Du solltest lieber nichts mehr davon trinken, Livvy!<<, sagt Dereck. Es hört sich an, als würde er mit einem kleinen Kind reden. Ich schaue umher, auf der Suche nach der Flasche. Sie liegt hinter Keeden. Das ist meine Chance und ich sprinte torkelnd zu dem köstlichen Alkohol.
Rumer lacht über mich und ich falle in ihr Lachen mit ein. Die ganze Welt ist so lustig heute Abend. Ich erreiche die Flasche mit einem Hechtsprung, bevor der böse Keeden sie wegschnappen kann. Nach einigen großen Schlucken lasse ich die Flasche sinken und überreiche sie Rumer, die mir ihre Hand hinstreckt.
>>Nein, nein, nein Rumer! Mach das nicht. Zu viel ist nicht gut. Hör auf! Nicht trinken!<<, schreit Keeden und schlägt ihr die Flasche aus der Hand. Sie fliegt direkt ins Lagerfeuer.
>>Sofort alle weg!<<, ruft Dereck. Keeden zerrt Rumer und mich vom Lagerfeuer weg. Kurz darauf explodiert die Flasche.
>>Wooooow. Ist das schön!<<, sagen Ru und ich im Chor. So etwas schönes habe ich noch nie gesehen. Die Funken fliegen wie Glitzer durch die Luft. Und ich muss schon wieder lachen. Das ist alles so geil heute Abend. So.. so überwältigend.
Rumer schlingt ihre Arme um Keedens Hüfte, weil sie sonst nicht mehr stehen kann. Und auch ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Dereck kommt auf mich zu und stützt mich. Mir wird mulmig zu mute. Trotzdem kann ich nicht aufhören zu kichern.
Mein Bauch macht irgendwelche komischen Geräusche. Und mir wird ein wenig schlecht. Ich spüre, dass ich es nicht mehr zurückhalten kann. Dereck sieht etwas beunruhigt aus. Er steht vor mir und ich muss mich übergeben. Direkt auf seine Schuhe! Oh Gott, warum immer ich.
Ich mache immer alles kaputt. Und trotzdem fange ich danach wieder an zu lachen. Genau wie Rumer. Wir kriegen uns fast nicht mehr ein.
>>Alles klar Dereck?<<, fragt Keeden. Er wirkt angeekelt. Ich kanns nachvollziehen. Wenn mir jemand auf die Schuhe kotzen würde, wäre ich echt sauer. Aber lustig ist es irgendwie trotzdem.
>>Ja. Ich werde mich nur eben umziehen gehen. Kannst du die Mädchen ins Zelt bringen?<<
Das ist das letzte, was ich noch mitbekomme von diesem verrückten Abend. Denn vor meinen Augen wird alles Schwarz und meine Beine geben nach. Der Boden fängt mich sanft auf und ich gleite in den Schlaf.

Freitag, 21. Dezember 2012

"Weltuntergangs"-Special

Die Schreie hinter der Tür


Erneut ertönt ein Schrei.
Sie wehrt sich so gut sie kann, doch die Männer in den gelben Anzügen sind stärker. Ihre Handgelenke sind von den Fesseln, die sie an den Tisch binden, schon ganz blutig geschürft. Die große Lampe des Laborzimmers ist auf das kleine Mädchen gerichtet. Das Licht ist grell und ihre Augen brennen, aber sie will sie nicht schließen, denn sie hat zu viel Angst vor dem, was die Männer mit ihr anstellen wollen.
Einer von ihnen nimmt eine kleine Spritze zur Hand.
>>Bereit für den nächsten Versuch?<<, fragt er leicht gehässig. Die anderen nicken stumm.
Das Mädchen wispert voller Panik: >>Nein!... Bitte nicht...<<
Danach schreit sie erneut, denn die Spritze, gefüllt mit einer strahlungsversetzten Lösung, nährt sich ihrem Arm und die Nadel bohrt sich tief in ihr Fleisch.
Der Leiter der Abteilung für genetische Testversuche an Menschen, oder kurz AfGT, geht schweigend den Korridor entlang, auf die verschlossene Tür zu, hinter der das Mädchen liegt.  Die Schreie lassen langsam nach.
Er klopft dreimal an, dann hör man einen Schlüssel der im Schloss herumgedreht wird und die Tür öffnet sich. Der Leiter tritt ein. Die Schreie sind verklungen. Jetzt ist nur noch das Geräusch des EKG zu hören, an dem das Mädchen angeschlossen ist. Ihr Herz schlägt unglaublich schnell.
>>Was passiert mit ihr?<<, fragt der Leiter der AfGT einen der Laboranten.
>>Sie scheint das Mittel nicht zu vertragen.<<, antwortet dieser.
Plötzlich ist nur noch ein langgezogener Pieplaut zu hören. Alle sehen auf den Bildschirm des EKG. Kein Puls.
>>Reanimieren!<<
Strom wird durch den leblosen Körper des Mädchens gejagt. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann fängt das EKG wieder an in regelmäßigen Abständen zu piepen. Das Mädchen schlägt die Augen, die ihr zugefallen sind, auf und holt keuchend Luft.
Die Männer in den gelben Anzügen lösen die Fesseln an ihren Hand- und Fußgelenken und heben sie vom Tisch. Einer öffnet die Tür und sie schubsen das Mädchen hinaus auf den Flur. Dann fällt die Tür wieder ins Schloss und wird verriegelt.
Das Mädchen stützt sich an der Wand ab, um nicht hinzufallen, denn sie ist sehr wackelig auf den Beinen. Dann entfernt sie sich so schnell wie möglich von dem Laborzimmer. Wie jedes Mal.
Sie stolpert öfters, aber sie kämpft sich weiter voran.
Doch irgendwann wollen ihre Beine sie nicht mehr tragen und sie bricht zusammen. Erschöpft sieht sie sich um. In diesem Teil des Gebäudes ist sie noch nie gewesen. Hier sieht alles irgendwie besser aus. Sauberer.
Dann hört sie Schritte und schließt schnell die Augen. Vielleicht beachtet sie ja keiner, wenn sie so tut als würde sie schlafen. Aber da hat sie falsch gedacht. Die Schritte nähren sich ihr und die Person bleibt direkt vor ihr stehen.
>>Hey. Wer bist du denn?<< Überrascht schlägt das Mädchen die Augen auf. Das ist kein Mann mit gelbem Anzug. Es ist ein Mädchen.
>>Ich bin Rumer.<<, stottert das Mädchen und sieht zu Boden.
>>Freut mich dich kennen zu lernen, Rumer. Ich heiße Livvy.<<, stellt das andere Mädchen sich vor. >>Du sieht gar nicht gut aus. Komm mit!<< Livvy streckt dem Mädchen die Hand hin.
Zögerlich ergreift das Mädchen sie und steht auf. Es ist merkwürdig für sie die Hand von Livvy zu halten. Seit sie denken kann, wurde sie nie von jemandem berührt, der keinen gelben Anzug trug. Es fühlt sich gut an.
Livvy führt das Mädchen einige Gänge entlang und dann in ein kleines Zimmer. Es ist fast dreimal so groß, wie das in dem sie selber wohnt, aber dieses ist viel schöner. Es stehen zwei Betten darin. Richtige Betten! Nicht nur eine Matratze, wie in dem kleinen Raum in dem das Mädchen schläft. Und dieses Zimmer hat sogar ein Fenster!
Augenblicklich rennt sie hinüber und sieht hinaus. Die Sonne scheint am blauen Himmel. Bis jetzt hat sie das erst dreimal gesehen. Wie sehr sie Livvy doch dafür beneidet.
>>Was ist mit deinem Arm passiert?<<, fragt Livvy dann. Das Mädchen dreht sich zu ihr um und begutachtet selbst ihren Arm. Er ist blutverschmiert.
>>Sie haben mir weh getan.<<, antwortet sie leise.
>>Ich kenn das.<<, meint Livvy und zieht den Ärmel ihres Hemdes hoch. Ihr Arm ist genauso vernarbt, wie der von dem Mädchen. >>Aber du musst keine Angst haben. Jetzt bist du nicht mehr allein.<<
Livvy lächelt ihr zu.
Ein schöner Gedanke. Nicht mehr allein sein.
>>Meinst du das ernst?<<, fragt das Mädchen.
>>Ja, meine ich. Wenn du willst. Wir können gegenseitig auf uns aufpassen.<<, schlägt Livvy vor.
>>Das fände ich schön.<<, meint das Mädchen.
>>Dann machen wir das so. Abgemacht?<< Livvy streckt dem Mädchen die Hand hin.
Sie schlägt ein. >>Abgemacht.<<



Blutsverwandte 


Livvy genießt das gemeinsame Mittagessen mit ihrer kleinen Schwester Willow, Rumer und ihren neuen besten Freunden. Den Umständen entsprechen ist das Essen für sie heute wie ein Festmahl. Das Untersuchungslabor feiert sein 50-jähriges Jubiläum.
Rumer und sie haben vor einigen Wochen Keeden und Dereck kennengelernt, bei einem Rundgang durch das Außengelände der Anstalt.
>>Alle in ihre Zimmer!<<, ertönt eine Lautsprecherdurchsage.
Livvy verschluckt sich vor Schreck an ihrem Sandwich. Sie weiß, was diese Durchsage für sie alle bedeutet. Langsam stehen alle am Tisch auf und begeben sich in ihre Zimmer. Während Rumer und Keenden in Richtung der Abteilung für genetische Testversuche gehen, in der an den "unwichtigen" Kindern, ohne Familie, die Lösungen zu allererst getestet werden, machen sich Livvy, ihre kleine Schwester Willow und Dereck auf den Weg in ihre Abteilung. Sie laufen einen langen weißen Gang entlang und machen vor einer großen gräulichen Tür halt. Auf einem Schild darüber steht in schwarzer Schrift geschrieben: Abteilung für besondere Projekte. Livvy hält ihre Hand an ein Gerät, das diese scannt und somit ihre Identität feststellt. Die Tür fährt automatisch auf und die drei Kinder gehen hindurch.
Dereck biegt zuerst in sein Zimmer ab. An ihm testen die Männer in den gelben Anzügen die Einflüsse der Außenwelt. Nachdem er seine Spritze bekommen hat, muss er einen halben Tag im Außengelände verbringen. Die Wetterverhältnisse sind den Testern egal.
Die beiden Mädchen sind bei ihrem Zimmer angelangt. Da sie Blutsverwandte sind, wird bei ihnen untersucht, wie sich das auf  die Versuchsreihe und insbesondere auf die Psyche auswirkt.
Ein Mann läuft den weißen Gang entlang. Er hält eine kaum erkennbare Spritze in seinen Händen. Der Inhalt dieser Spritze ist ein Beruhigungsmittel, welches für kurze Zeit bewusstlos macht. Er bleibt vor dem Zimmer 301 stehen. Durch einen Spalt in der Tür vergewissert er sich, ob sich die beiden Kinder in dem Raum befinden. Sie sitzen auf ihren Betten.
Er öffnet die Eisentür und geht einige Schritte hinein. Die Mädchen weichen erschrocken zurück. Die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie kauern sich an die hintersten Ecken ihrer Betten und eine der beiden zittert verstört.
Gekonnt ignoriert der Mann diese Reaktion und geht auf die Ältere der blutsverwandten Mädchen zu. Das Kleinere fängt an zu weinen. Ihm fällt auf, dass er schon eine Weile nicht mehr hier war. In seinen Gedanken notiert er sich, dass er den Untersuchungsplan  ändern muss.
Mit der linken Hand greift er nach dem Bein des Mädchens und mit der Rechten rammt er die Spritze dort hinein. Ohne eine Miene zu verziehen, legt er den bewusstlosen Körper des Mädchens über seine Schulter und verlässt den Raum. Er verriegelt die Tür und begibt sich auf den Weg zu einem Behandlungsraum, dieser Abteilung.
Die Hand- und Fußgelenke werden verschlossen. Das Beruhigungsmittel lässt allmählich nach und das Versuchsobjekt regt sich. Sie versucht sich zu wehren, doch die Fesseln sind zu stramm, als das sie hindurchschlüpfen könnte. Wie oft schon hat sie es vergebens versucht?
Die größere Spritze nährt sich ihrem Arm. Tränen laufen dem kleinen Mädchen über die Wangen. Dann durchzuckt sie ein stechender Schmerz in ihrem Arm. Sie fühlt, wie sich die Lösung langsam in ihrem Körper ausbreitet. Ihr Herzschlag verschnellert sich und und Schweiß rinnt ihr über die Stirn.
Die Männer in den gelben Anzügen notieren sich ihre Reaktion und führen einige Tests durch.
>>Wir sollten die Abstände zwischen den Behandlungen verkürzen.<<, sagt der Mann, der das Mädchen geholt hat.
Der Leiter der Abteilung nickt zustimmend und verlässt mit dem kleinen Versuchsobjekt den Raum. Daraufhin begleitet er sie zu ihrem Zimmer.

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Rumer (13.)

Jetzt weiß ich wie Tiere sich fühlen müssen, wenn sie vor einem Jäger stehen und wissen, dass sie nicht mehr entkommen können. Das ist echt verdammt scheiße!
>>Hey.<<, sage ich zu dem Fremden und winke, weil mir nichts besseres einfällt. Vielleicht denkt er ich bin nur ein Dummchen und lässt mich gehen. Aber das bezweifel ich, denn ich habe ja meinen Bogen dabei und an sowas kommen nur ausgebildete Jäger. Sieht mal so... gar nicht gut für mich aus.
Hoffentlich ist Liv wenigstens schlau genug leise zu bleiben und abzuhauen, bevor sie auch noch entdeckt wird.
Der Typ sieht mich amüsiert an. Er scheint nicht viel älter zu sein als ich. Und außerdem ist er echt heiß. Okay, schlechter Zeitpunkt, um jetzt zu schwärmen, wo er mich doch erschießen will, ich weiß. Aber ich finde es trotzdem erwähnenswert. Ich meine, so habe ich wenigstens einen schönen Ausblick, bevor ich sterbe. Und erschossen zu werden, dazu noch von jemandem der so gut aussieht, ist um Längen besser als an einem Leuchthörnchenbiss zu sterben. Ich meine allein bei dem Namen will man doch am liebsten laut los lachen. Leuchthörnchen. Wie lächerlich wegen so einem Wesen zu verrecken.
>>Hallo.<<, grüßt der Fremde zurück und lächelt. Oh mein Gott, ist sein Lächeln süß. Da will man gar nicht glauben, dass er einen töten will. Aber so ist es nun mal. Und ich bin sein Opfer. Juhu!
>>Schönes Wetter heute, oder?<<, frage ich und verkneife mir ein Lachen. Wer hätte gedacht, dass ich meinen Tod so witzig finden würde. Aber es ist nun  mal so ulkig, weil ich letzten Endes doch wegen dem verdammten Leuchthörnchen sterbe, das mich gebissen hat. Wäre mein Arm nämlich nicht verletzt, dann würde ich dem Typen einen Pfeil in den Kopf jagen, bevor er wüsste, wie ihm geschieht. Oder vielleicht würde ich auch in sein Herz schießen, um sein hübsches Gesicht nicht zu verschandeln.
>>Ja, das Wetter ist recht gut.<<, antwortet der Kerl und beschenkt mich mit einem weiteren Lächeln.
Tja, was soll ich jetzt noch sagen, bevor es aus ist mit mir? Was soll ich noch tun? Beten? Gott danken? Aber wofür? Das einzig gute, was ich in meinem Leben noch habe, ist Livvy und das auch nur wieder durch Zufall. Also nein, ich werde Gott, falls es ihn denn gibt, nicht danken. Aber falls ich ihm mal begegnen sollte, werde ich ihm einen Pfeil in den Arsch jagen, so viel ist sicher!
Ich halt also meine Klappe und warte, dass der Junge endlich schießt. Aber nichts passiert.
>>Können wir es endlich hinter uns bringen?<<, frage ich. >>Ich werde nicht um mein Leben betteln, falls du das willst. Lieber sterbe ich. Oh, darauf wird es ja eh hinauslaufen.<<
>>Du erkennst mich echt nicht, oder Rumer?<<, fragt der Typ und grinst.
Woher kennt er bitte meinen Namen? Moment mal!
Ich gehe einen Schritt auf ihn zu. Er schießt nicht. Dann noch einen. Er schießt immer noch nicht. Ich gehe so weit ran, dass ich seine Augenfarbe sehen kann. Grau, mit blau durchzogen, wie meine Augen. Ich kenne nur einen anderen Menschen, der diese Augenfarbe hat. Nur einen einzigen. Und da es nur vier Angens gibt, muss er es sein.
>>Keeden!<<, keuche ich und falle ihm um den Hals. Er lässt seinen Bogen fallen und schließt mich in die Arme. Ich habe ihn überhaupt nicht erkannt. Als ich ihn das letzte mal gesehen habe, bei der Flucht aus dem Labor, war er 13 und noch ein kleiner Junge und jetzt ist er 17 und schon ein junger Mann.
>>Ich habe dich vermisst, Ru.<<, murmelt er in meine Haare.
>>Ich dich auch.<<, schluchze ich. Ja, ich weine. Vor lauter Freude.
Wie kann man nur so viel Glück haben? Erst finde ich Livvy wieder und jetzt auch noch Keeden. Vielleicht gibt es ja doch einen Gott.
>>Keeden?<< Es ist Livvy, die das fragt. Sie kommt unsicher aus ihrem Versteck. Keeden lässt mich los und strahlt sie an.
>>Du bist auch hier? Ich glaub ich werd nicht mehr! Komm her, Liv.<<, ruft er ihr zu und breitet die Arme aus. Livvy rennt auf ihn zu und sie umarmen sich ebenfalls.
Nachdem wir das Begrüßen und die Freudentränen hinter uns haben, setzen wir uns um das nicht angezündete Lagerfeuer vor Keedens Zelt. Doch genau dann kommt plötzlich noch jemand auf die Lichtung. Dereck! Livvy und ich sehen uns an, springen auf und rennen auf ihn zu. Dann werfen wir ihn aus Versehen um, weil wir ihn so stürmisch begrüßen wollen.
>>Was macht ihr denn hier?<<, fragt Dereck erstaunt und funkelt uns mit seinen graugrünen Augen fröhlich an. Jetzt sind wir wieder alle zusammen. Jetzt wird alles besser.
Wir setzen uns wieder um das Lagerfeuer, dass Keeden nun anzündet und erzählen uns, was die letzten Jahre alles bei uns passiert ist.
Keeden und Dereck haben Liv und mich auch gesucht, aber nicht gefunden. Sie sind immer zusammen geblieben und haben sich das Zelt und andere nützliche Dinge im Laufe der Jahre von Stämmen geklaut.
Auch sie hatten die Hoffnung, dass wir vier uns jemals wiedersehen schon fast aufgegeben.
Und nun sind wir hier. Alle beisammen. Die einzigen Angens auf der Welt.

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Livvy (12.)

Wir laufen jetzt schon drei Tage in Richtung Westen. Ich drehe noch durch, denn unser Proviant geht dem Ende zu und wir müssen sparsam sein.
Inzwischen sind bestimmt schon sieben Kaninchen an uns vorbeigehoppelt. Und Rumer hat sie einfach nicht erschossen. Ich glaube, sie hat sie sogar absichtlich ignoriert. Was ist denn bloß los mit ihr?! Ich will nicht verhungern müssen, nur weil sie auf einmal nicht mehr auf hilflose Tiere schießt und somit unsere Mägen nicht mehr voll werden.
>>Was ist denn los mit dir?<<, frage ich forschend.
>>Was soll denn los sein?<<, gibt sie verwundert tuend zurück.
>>Ist dir mal aufgefallen, dass wir schon lange kein richtiges Essen mehr hatten?<<
>>Wir haben doch aber nochgenügend Proviant in den Taschen<<, sagt sie und lächelt.
>>Ja, vielleicht vor ein paar Tagen. Aber das reicht höchstens noch bis Morgen. Wenn wir nicht all zu viel futtern, dann wären wir Übermorgen ohne Nahrung.<<
Sie scheint sich genau überlegen zu müssen, was sie erwidern soll. Sie findet aber wie es aussieht nicht die richtige Antwort und schaut ohne ein Wort zur Seite.
Wir schweigen also wieder, genau wie die meiste Zeit davor. Hin und wieder hoppelt ein Hase oder ein kleines Kaninchen an uns vorbei und ich stoße Rumer in die Rippen.
>>Hey, was soll das?!<<, empört sie sich.
>>Warum tötest du nicht mehr?<<, sage ich und lache. >>Ich meine warum du nicht mehr jagst.<<
>>Wie gesagt. Wir haben ja noch genügend Essen übrig.<<, sagt sie und schmunzelt.
Ich gebe es auf. Wenn sie auf stur stellt, dann bleibt sie es auch.
Nach einiger Zeit stiller und langweiliger Wanderung, sehe ich mich ein wenig um. Wir laufen jetzt auf einem Pfad, der eindeutig von Menschen erschaffen worden ist. Das verwirrt mich ein wenig, denn Rumer meinte, dass es hier in der Gegend keine anderen Stämme gibt.
Während ich weitergrüble schweift mein Blick umher und bleibt kurz auf einem Hasen gerichtet, der mit einem Seil um einen Baum, kopfüber hinunter hängt. Noch völlig in Gedanken wandert mein Blick weiter. Doch dann realisiere ich, was ich da gerade gesehen habe und bleibe abrupt stehen.
>>Rumer, sieh mal! Ist ja genial, dass das Essen jetzt schon von den Bäumen hängt, wo unseres sowieso bald ausgeht.<<, sage ich glücklich und will zu dem Baum mit dem Hasen gehen.
Aber Rumer hält mich an der Schulter fest. Sie zuckt kurz zusammen und lässt den Arm langsam sinken. Bevor ich sie fragen kann was los ist, sagt sie mit nachdrücklicher Stimme: >> Nein, geh nicht! Das ist hundertpro ne Falle! Ich mein, der wird sich ja nicht selber da erhängt haben. Oder hast du schon mal einen Selbstmord-Hasen gesehen?<<
Sie hat recht. So schlau würden Hasen niemals sein. Rumer geht langsam weiter. Sie deutet mir an hinter ihr zu bleiben. Wir schleichen nicht lange, denn wir stoßen schon bald auf eine kleine Lichtung. Dort steht ein Zelt, und einiges an Nahrung liegt davor. An einer Feuerstelle steigt noch ein wenig Rauch empor. Rumer bleibt so plötzlich stehen, dass ich ausversehen gegen sie laufe. Sie dreht sich um und guckt mich böse an. Ich mache eine entschuldigende Geste und schmunzle daraufhin.
>>Du bleibst hier hinter diesem Busch<<, sagt Rumer streng und zeigt aus ein kleines Büschlein. >>Ich gehe mich da mal umschauen. Und diesmal kommst du mir nicht hinterher gelaufen, klar?<<
>>Ja. Ich bleibe hier und schau dir zu. Ich habs verstanden!<<, gebe ich kleinlaut zurück.
>>Ist auch gut so! Ich meine du willst ja bestimmt nicht noch mehr Schmerzen haben, nur weil du ein kleines neugieriges Würstchen bist.<<, lacht Rumer.
>>Würstchen? Ist das dein Ernst?<< Jetzt lachen wir beide.
Dann macht sich Rumer auch schon auf den Weg und ich kauere mich hinter dieses winzige Büschchen, in der Hoffnung, dass man mich nicht erkennen kann. Irgendwie bin ich aufgeregt. Ich war noch nie in so einer Situation. Und mein Bein juckt. Das kommt davon, dass es anfängt abzuheilen. Das alles zusammen, lässt meinen Puls höher schlagen.
Ich mache mir mein Busch-Plätzchen gemütlicher, indem ich mich auf das Zeltknäuel setzte.
In der Zwischenzeit befindet sich Rumer schon vor dem Zelt und schaut vorsichtig hinein. Es scheint sich niemand darin zu befinden, denn sie dreht sich weg. Jetzt läuft sie auf der baumlosen Fläche umher und sucht nach irgendwas. Ich wäre um einiges schlauer, wenn ich wüsste wonach sie sucht.
Da springt ein Typ aus dem Dickicht und spannt seinen Bogen. Er zielt direkt auf Rumers Herz.
Okey, jetzt wird aus der Aufregung eindeutig Panik!

Dienstag, 18. Dezember 2012

Rumer (11.)

Vorsichtig mache ich den Stoff, den ich um meinen Arm gewickelt habe, ab. Bei dem Anblick, der sich mir bietet würde ich am liebsten loskotzen, aber ich kann mich gerade noch so zurück halten und wickel den Stoff wieder umzu.
Es sind mittlerweile vier Tage vergangen, seit dem Leuchthörnchenangriff, aber mein Arm sieht eher schlimmer aus anstatt besser.
Wenigstens geht es Livvy schon etwas besser und das Laufen fällt ihr wieder leichter, auch wenn es sie immer noch ziemlich erschöpft. Dadurch schläft sie sehr viel, was für mich den Vorteil hat, dass ich in Ruhe meine Wunde "versorgen" kann, so gut es mir eben möglich ist, denn die Medikamente sind für Liv. Ich will davon nichts haben. Sie braucht sie dringender. Bis jetzt hat das mit dem Verheimlichen recht gut geklappt.
Ich spanne den Bogen und ziele auf ein Kaninchen, aber der Schmerz in meinem Oberarm durchzuckt mich so heftig, dass ich den Pfeil loslasse und er ins Leere geht. Das Kaninchen schreckt auf und verschwindet im Unterholz.
Verflucht! Solange mein Arm in dieser Verfassung ist, kann ich nicht jagen. Und unsere Vorräte sind fast aufgebraucht. Was soll ich denn jetzt machen? Liv braucht genug Nahrung, um so schnell wie möglich wieder zu Kräften zu kommen. Gefrustet werfe ich meinen Bogen zu Boden und stöhne genervt.
Dann hebe ich meinen Bogen wieder auf, hänge ihn mir um und versuche meinen Pfeil zu finden. Ich knie mich hin und durchsuche das Dickicht. Der Pfeil scheint wie vom Erdboden verschluckt. Meine Knie und Hände sind schon ganz dreckig und ich habe immer noch nichts gefunden.
Gerade als ich aufgeben will, entdecke ich Spuren. Und zwar keine Tierspuren. Nein, diese hier sind von Menschen. Und sie sind frisch.
Das könnte die Lösung sein. Wenn hier Menschen lang gelaufen sind, lebende Menschen, dann müssen sie Nahrungsmittel haben.
Normalerweise ist es nicht meine Art Pläne zu schmieden, wie ich Menschen beklauen kann, aber besondere Situation erfordern besondere Handlungen. Und da ich nicht jagen kann, bis mein Arm besser wird, ist das die einzige Möglichkeit, die schnell genug ist.
Ich gebe meinen Pfeil auf, denn ich habe ja noch genug und folge den Spuren ein Stück. Sie führen nach Westen, wenn ich mich nicht täusche. In diese Richtung werde ich morgen mit Liv weiterziehen. Natürlich ohne ihr zu erzählen, warum ich dort lang will. Aber sie stellt meine Entscheidungen eigentlich sowieso nicht in Frage, denn mein Orientierungssinn ist weit ausgeprägter als ihrer.
Ich kehre um und begebe mich zurück zu unserem Lagerplatz. Liv hat Stöcker für ein Lagerfeuer gesammelt, damit wir die Beute, die ich nicht habe, braten können.
Ich gehe rüber zum Zelt und sehe hinein.
>>Da bist du ja wieder.<<, begrüßt mich Livvy, die mal wieder fast am Schlafen ist.
>>Ja. Ich bin wieder da.<<, meinte ich mit gespielter Fröhlichkeit. >>Wie geht es deinem Bein?<<
>>Ganz gut. Hast du viel gefangen?<<, fragt sie dann.
>>Nein. Hab nichts gefunden.<<, antworte ich und weiche ihrem Blick aus, denn es fällt mir schwer ihr in die Augen zu sehen, wenn ich lüge. Aber das ist immer noch besser, als ihr von meinem verwundeten Arm zu erzählen.
>>Schade. Und jetzt?<<
>>Heute müssen wir mit dem, was wir noch haben, auskommen und morgen gehen wir am besten nach Westen weiter. Vielleicht haben wir dort mehr Glück.<<, meine ich und tue so, als würde nicht mehr dahinter stecken.
>>Wie du meinst.<< Liv gähnt.
>>Ruh dich noch etwas aus, okay?<<, schlage ich vor und verlasse das Zelt wieder, damit sie ihre Ruhe hat.
Ich nehme meinen Bogen in die Hand und setze mich vor dem Eingang auf den Boden. Besser ich bleibe wachsam. Wenn Menschen hier in der Nähe sind, haben sie unsere Spuren vielleicht auch entdeckt und dann ist es genauso gut möglich, dass sie uns als Feinde ansehen und uns angreifen. Also muss ich jeder Zeit bereit sein. Auch wenn ich wahrscheinlich nicht in der Lage wäre uns zu verteidigen, falls ein Angriff kommt. Nicht in diesem Zustand.
Aber vielleicht schreckt es sie ab, wenn sie jemanden mit einer Waffe sehen.
Ich kann es nur hoffen.

Montag, 17. Dezember 2012

Livvy (10.)

Der Schmerz, der durch meinen Unterschenkel zuckt, weckt mich auf.
Ich hätte gestern Abend nicht so neugierig sein dürfen. Warum bin ich denn so blöd. Mein Bein hätte von dem Gift der Leuchthörnchen gelähmt werden können. Oder noch schlimmer..ich hätte vollständig gelähmt werden können.
Langsam richte ich mich auf. Rumer ist schon aufgestanden und rausgegangen, denn außer einer Menge Blut, das ich verloren habe und mir, ist nichts in dem Zelt. Ich will aufstehen, doch ich zucke zusammen von den Schmerzen der Verletzung.
Sitzend fange ich an, die großen Blätter des Kandarukrauts von meiner Wunde zu nehmen. Die Wirkung hat schnell eingesetzt. Das Gift wurde fast vollständig in das Kraut gesogen und ich kann nun einen fast unerträglichen Schmerz spüren. Ich robbe auf meinem Po zu meiner Tasche und hole neue Blätter und einen Verband daraus. Vorsichtig lege ich das Kraut auf die Fleischwunden meines Unterschenkels. Ich beiße meine Zähne zusammen, denn es tut höllisch weh. Dabei wickele ich den sauberen Verband um das Bein.
Hinlegen wäre jetzt das beste, denn die Verletzung macht mir sehr zu schaffen. Meine Atmung geht schneller als gewöhnlich und ich bin mir sicher, dass ich Fieber habe. Mein Körper wehrt sich gegen das restliche Gift.
Schritte nähern sich dem Zelt und da steckt auch schon Rumer ihren Kopf durch den Eingang des Zeltes. Sie sieht auf mein Bein. >>Oh, wie ich sehe hast du dein Bein schon verarztet. Gehts dir soweit besser?<<, fragt sie.
>>Also auf jeden Fall besser als Gestern.<<, entgegne ich und drehe meinen Kopf so, dass ich mein Bein ansehen kann.
>>Denkst du, du kannst schon wieder laufen?<<, will Rumer wissen, und ich kann mir schon denken, dass sie weiter will.
>>Ich kanns ausprobieren. Aber ich wäre nicht dazu im Stande einen Sprint hinzulegen!<<, sage ich und schmunzle.
Rumer hilft mir hoch. Ich gebe nicht zu, dass ich Schmerzen habe. Es kostet mich an Anstrengung und Energie, doch ich schaffe es zu stehen und auch hin und her zu laufen.
Rumer ist dabei das Zelt einzuräumen. Sie ist der Meinung, dass wir hier weg sollten, bevor wir von den nachtaktiven Leuchthörnchen wieder angegriffen werden.
Nachdem sie alles in die zwei großen Taschen verstaut hat, gehen wir, wenn auch nur sehr langsam, weiter. Es war gut, dass ich mir einen Verband um die Wunde gewickelt habe, denn hier in der freien Wildnis schwirren viele Insekten rum, die sich sonst darauf gesetzt hätten.
Hier und da machen wir eine Pause, damit ich mein Bein entspannen kann. Wir gehen bis es Abend wird und suchen uns einen Platz für die Nacht, der weit genug von der Strahlungszone entfernt liegt, an der wir uns orientieren. Rumer baut das Zelt auf und verstaut unsere Taschen in seinem innern.
Ich bemerke erst jetzt wie müde ich von dem langen Fußmarsch bin und begebe mich direkt hinein. Während ich halb liegend-halb sitzend an meinem Unterschenkel den Verband wechsle sagt Rumer, dass sie noch einen Moment draußen bleibe. Ich bekomme schon nicht mehr mit, wie sie später ins Zelt zurückkehrt, denn meine Augen fallen schon nach kurzer Zeit zu.


Sonntag, 16. Dezember 2012

Rumer (9.)

Ich schieße wieder und wieder auf die kleinen pelzigen Kreaturen, aber es werden einfach nicht weniger. Sie sitzen zu hundert in den Bäumen und es sieht so aus, als wäre der Sternenhimmel näher gerückt, aber dieses Lichtermeer ist gefährlich.
Gerade als ich zu einem erneuten Schuss ansetze, schreit Livvy wieder laut auf. Ich drehe mich zu ihr um und erkenne, dass ein Leuchthörnchen sich in ihr Bein gekrallt hat und immer wieder und wieder zubeißt. Verfluchte Scheiße!
Ich spanne den Bogen und ziele auf das kleine Mistvieh, dass gerade Hackfleisch aus Livs Unterschenkel macht, aber sie strampelt zu sehr mit den Beinen, sodass die Gefahr aus Versehen Livvy zu verletzen einfach zu groß ist.
>>Verdammt noch mal, Liv! Halt still!<<, schreie ich sie an.
Es kostet sie große Überwindung, das ist deutlich zu erkennen, aber sie hält ihre Beine so ruhig wie möglich. Ich ziele, schieße und treffe das Leuchthörnchen, sodass es Livvys Bein loslässt und leblos zu Boden fällt.
>>Und jetzt geh zurück ins Zelt!<<, befehle ich Liv und schieße auf die Leuchthörnchen in ihrer Nähe, damit sie heil, oder zumindest nicht noch ramponierter, in die Sicherheit des Zeltes kommt.
Sie steht auf und humpelt so schnell es geht rüber. Als sie drin ist wirft sie mir noch einen besorgten Blick zu und schließt den Reißverschluss.
Wenigstens ist sie jetzt in Sicherheit, denke ich und wende mich wieder den anderen Leuchthörnchen zu. Sie springen von den Bäumen. Sechs, nein acht. Fünf von ihnen sind Tod, bevor sie den Boden erreichen. Sie geben schreckliche Quieklaute von sich, wenn sie sterben.
Ich greife nach meinem Köcher. Mist! Nur noch ein Pfeil. Ohne groß nachzudenken, lege ich ihn auf die Sehne und erschieße ein Leuchthörnchen, das gerade auf mich zuspringt. Es schreit fürchterlich, sodass mir die Ohren wehtun, aber die anderen Hörnchen scheint es abzuschrecken, denn es werden immer weniger Lichter in den Bäumen, bis nur noch ein paar wenige übrig sind. Von dieser Entdeckung so abgelenkt, bemerke ich nicht, dass sich ein weiteres Leuchthörnchen auf mich stürzt. Es krallt sich in meinen rechten Oberarm und schlägt dann seine kleinen Zähne hinein. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht laut los zuschreien. Dann ramme ich meinen Oberarm mit so einer Wucht, gegen einen Baum, dass es dem kleinen Tier das Rückrat bricht und es tot zu Boden fällt.
Schnell schnappe ich mir einen Stock vom Boden und schlage noch die letzten kampfbereiten Leuchthörnchen in die Flucht. Es sind nur noch fünf und sobald ich sie verjagt habe, sinke ich keuchend zu Boden und begutachte meine Wunde.
Mein gesamter Oberarm ist mit tiefen Schnittwunden übersät, aber diese sind nicht das schlimme daran, denn das Schlimme ist der Biss. Leuchthörnchen tragen ein Gift in sich, dass sie ihren Opfern durch ihre Zähne initiieren. Dadurch wird ihre Beute geschwächt und es fällt ihnen leichter sie zu erlegen.Widerliche Drecksviecher!
Erst will ich ins Zelt, um nach Liv zu sehen, aber sie würde sich nur wieder mehr Sorgen um mich machen, als um sich selbst, wenn sie meine Wunder sieht, also muss ich sie irgendwie selbst versorgen, ohne das sie etwas davon mitbekommt.
Seufzend stehe ich wieder auf und ziehe meine Pfeile aus den toten Leuchthörnchen, die hier überall rumliegen. Dann gehe ich zu einem kleinen Bach, der hier ganz in der Nähe fließt. Dort tauche ich mein Arm hinein und wasche die Wunde aus. Es brennt höllisch, aber ich halte es aus. Danach spüle ich noch meine Pfeile ab und verstaue sie wieder im Köcher. Mit einem Pfeil schneide ich mein Top oberhalb des Bauchnabels ab und verbinde mit dem Stoffstreifen provisorisch meinen verletzten Oberarm. Den Knoten ziehe ich mit der Hand meines gesunden Armes und meinen Zähnen fest.
Dann gehe ich wieder zurück zu unserem Lager. Bevor ich das Zelt betrete, ziehe ich noch meine Jacke an, die ich zum Glück beim Lagerfeuer habe liegen lassen. Ich schließe den Reißverschluss bis obenhin, damit Liv das abgeschnittene Top nicht sieht. Ich atme tief durch un betrete dann das Zelt.
Der Anblick, der sich mir bietet, schnürt mir die Kehle zu. Livvy liegt keuchend und stöhnend in einer Ecke und zittert. Ihr bein ist blutüberströmt.
>>Fuck!<<, fluchte ich, nehme ein Shirt aus meinem Jagdbeutel und renne damit zum Bach, wo ich des mit Wasser tränke. Damit tupfe ich vorsichtig Livvys Bein ab.
Obwohl ich mir Mühe gebe vorsichtig zu sein, schreit sie öfters auf. Es ist aber auch echt scheiße im Dunkeln eine Wunder versorgen zu müssen, vor allem wenn man keine Ahnung hat, wie das geht.
>>Tut mir leid.<<, murmele ich immer wieder.
>>Ist schon okay.<<, flüstert Liv mit rauer Stimmt. >>Nimm etwas Kandarukraut aus meinem Beutel.<<
Verständnislos sehe ich sie an.
>>Die ganz großen Blätter.<<, erklärt sie und schmunzelt etwas.
Ich nehme ihren Beutel und sehe hinein. Gott sein Dank bin ich keine Heilerin geworden! Da sind unglaublich viele verschiedene Kräuter drin, die alle unterschiedliche Farben, Formen und Größen habe.
Vorsichtig nehme ich die größtern Blätter heraus, die ich finden kann und halte sie hoch. Liv nickt schwach.
>>Und was mach ich jetzt damit?<<, frage ich unsicher.
>>Leg sie auch die Wunde.<<, keucht Livvy.
Die ist ja witzig. Ihr ganzer Unterschenkel ist eine Wunde!
So gut es geht bedecke ich alles mit den Blättern und wickel dann einen sauberen Verband um zu, den ich ebenfalls aus ihrem Beutel nehme. Als ich fertig bin seufze ich erleichtert auf. Ich bin zwar super im Töten und Verwunden, aber Heilen ist definitiv nicht meins!
>>Versuch etwas zu schlafen.<<, sage ich zu Liv und stelle überrascht fest, dass sie nicht mehr zittert. Das Kraut scheint verdammt gut zu sein.
Erschöpft lege ich mich hin und versuche dabei nicht meinen verletzten Arm zu belasten, der nach der ganzen Verheilungssache gerade noch schlimmer brennt.
Das ganze Zelt ist voll mit Blut und die Schmerzen sind unerträglich, aber trotzdem schlafe ich ein.

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Livvy (8.)

Das hätte ich lieber nicht sagen sollen. Auch wenn es der Wahrheit entspricht, denn Rumer war nach dem Kuss ein leuchtend rotes Tomätchen.
Wir laufen hier jetzt schon seit einer halben Ewigkeit ohne Unterbrechung durch den Wald. Ich kann nicht mehr und trotte Rumer ausgelaugt hinterher. Sie scheint es zu genießen, wie ich leide. Aber ich gebe nicht nach. Noch nicht. Wir müssen vorankommen.
Dieses elendige Schweigen liegt zwischen uns und ich komme mir blöd vor. Ich hasse es, wenn jemand sauer auf mich ist. Dabei habe ich bloß die Wahrheit gesagt. Diese Stille soll unterbrochen werden. Ich muss mit ihr über irgendetwas reden. Nur nicht von Navin und ihr, sonst habe ich nachher noch irgendwo in meinem Körper einen Pfeil stecken.
>>Weißt du noch..der Tag, an dem wir Willow zurückgelassen haben?<<, sage ich leise.
>>Wirklich? Du hattest alles mögliche zur Auswahl und dann fängst du mit diesem Thema an?!<<, erwidert Rumer. Doch ich lasse mich nicht davon abbringen mit ihr darüber zu reden. Ich habe in den vier Jahren seit der Flucht nicht ein einziges Mal über meinen Verlust gesprochen. Sie ist meine jüngere Schwester. Ich muss es verstehen. All das, was passiert ist.
>>Wir hatten doch alles so gut geplant. Es hätte doch gar nichts schief gehen dürfen, Rumer.<< Meine Stimme ist brüchig.
>>Es wäre ja auch alles gut gegangen. Es war schließlich mein Plan. Doch irgendein verschissener Dreckskerl hat uns verraten! Wir können nichts dafür, dass Willow es nicht geschafft hat.<<
>>Ich bin doch ihre große Schwester. Warum bin ich so verantwortungslos?! Ich hätte sie nicht da lassen sollen. Was ist, wenn sie tot ist, oder wenn sie mich nicht mehr erkennt. Ich bin an allem Schuld. Ich hätte..ich hätte einfach bei ihr bleiben sollen!<< In meinen Beinen lässt vor Erschöpfung und Verzweiflung der Halt nach, und ich kippe zur Seite. Ich starre für einen Moment ins Leere. Bilder von Willow ziehen in meinen Gedanken umher, und ich lächle leicht. Sie war so niedlich. Aus ihr hätte mal eine richtige Schönheit werden können.
>>Nicht dein Ernst, oder? Du kannst jetzt schon nicht mehr?<<, fragt Rumer und sieht mich an. Ich kann ihren Blick nicht deuten. Er ist eine Mischung aus Sich-lustig-machen und Mitleid.
Angestrengt stehe ich auf. Hat sie das gerade ehrlich gefragt? Ich schütte mir hier mein Herz aus, und sie tritt den ganzen Inhalt ohne eine Miene zu verziehen weg.
Wir gehen weiter. Es vergeht einige Zeit, bis Rumer mit entschlossener Stimme sagt: >>Wir werden sie finden!<<
>>Wen meinst du?<<, frage ich verwundert.
>>Na, Willow. Und Dereck und Keeden natürlich auch.<<
Ich bin ziemlich überrascht von dem ganzen Optimismus. Normalerweise bin ich diejenige, die alles besser sieht als Rumer. Ich muss lachen.
>>Warum lachst du? Ich meine das ernst.<<
>>Ich glaube dir ja auch. Aber hier irgendwo in der Gegend soll es Leuchthörnchen geben. Du weißt schon. Flughörnchen, die Nachts leuchten.<<, sage ich und pruste los.
>>Ja, aber diese kleinen Dinger sollte man nicht unterschätzen. Sie haben einen aus meinem Stamm. Oh Moment, aus meinem ehemaligen Stamm, fast getötet.<<, meint Rumer mit ernster Miene. Aber dann lacht sie mit mir. Man kann sich nicht vorstellen, dass so putzige Tierchen auch aggressiv sein können.
Die Sonne ist schon fast hinter den Bäumen verschwunden, und wir beschließen unser Lager auszubreiten. Ich packe das Zelt aus, doch Rumer stößt mich zur Seite. Sie meint ich wäre zu langsam für sowas. Bin ich zwar auch, aber das muss ja niemand wissen.
Ich kümmere mich um das Lagerfeuer. Es wird nur ein kleines, denn wir haben nicht vor, die ganze Nacht davor zu hocken. Rumer ist erstaunlich schnell fertig mit dem Aufbau, und wir verstauen unsere Taschen in dem Zelt. Ich gehe wieder raus und fange an, eines meiner Brötchen zu essen. Rumer holt zwei Äste und steckt sie neben das Feuer. Auf einen dritten Ast spießt sie einen Hasenschenkel und legt ihn auf die anderen beiden. Man muss sich zu helfen wissen, wenn man in der Natur zu Hause ist.
Ich bin früher fertig als Rumer und gehe als Erste in das Zelt, um mich von dem anstrengenden Tag zu erholen. Nach einigen Minuten höre ich, wie sie das Feuer löscht. Ihre Schritte nähern sich dem Zelt, und der Reißverschluss öffnet sich. Sie schlüpft rein und schließt ihn wieder.
Wir reden noch eine Zeit lang über die Jahre, in denen wir uns für verloren hielten und über den heutigen Tag.
Ich sehe eine Sternenschnuppe, oder zumindest ihre Umrisse. Dann noch eine und eine Dritte. Es sind so viele, dass ich nicht mehr daran glaube, dass es Sternenschuppen sind. Ich stupse Rumer an, und sie sieht mich ratlos an.
>>Ich sehe mal nach, was da draußen los ist. Und du bleibst wo du bist!<<, sagt Rumer und steht auf. Sie öffnet langsam den Verschluss der Zeltes und späht raus. Sie schnappt sich ihren Köcher und den Bogen und geht raus. Ich höre, wie ein Pfeil durch die Luft schnellt. Ich bin so neugierig, dass ich ebenfalls aufstehe und hinausschleiche.
Mit einem Mal springt mir etwas ans Bein und ein kaum erträglicher Schmerz lässt mich aufschreien. Ich sehe, wie kleine leuchtende Tierchen von Baum zu Baum springen.
>>Leuchthörnchen!<<, schreien Rumer und ich wie aus einem Mund.

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Rumer (7.)

Ich sehe Livvy nach, wie sie zwischen den Sträuchern verschwindet. Man erkennt an ihrem sicheren Gang, dass sie sich hier auskennt. Das ist ihre Welt. Aber sie muss sie verlassen. Jetzt, wo die Cazanara wissen, dass sie ein Angen ist, ist es hier nicht mehr sicher für sie. Und für mich auch nicht. Ich habe unseren Anführer attackiert. Darauf gibt es bei uns die Todesstrafe. Vielleicht klinge ich altmodisch, aber ich hänge an meinem Leben, so bescheiden es auch ist.
Seufzend lasse ich mich auf einen Baumstumpf sinken und zupfe an der Sehne meines Bogens. Das Geräusch, das dabei entsteht, beruhigt mich etwas. Kaum zu glauben, dass mich überhaupt irgendwas beruhigt. Immerhin habe ich gerade mein Zuhause verloren. Meinen Stamm. Jetzt jagen sie mich. Und ich befinde mich immer noch auf ihrem Territorium. Nicht gerade ideal.
Gedankenverloren schieße ich ein paar Pfeile auf die umherstehenden Bäume.
Bei Pfeil Nummer sechs sagt plötzlich jemand hinter mir: >>Was besseres hast du nicht zu tun?<<
Blitzschnell ziehe ich den nächsten Pfeil, lege ihn auf die Sehne und drehe mich mit gespanntem Bogen um.
>>Du willst schon wieder auf mich schießen? Ich bin echt enttäuscht, Rumer.<<, scherzt Navin und lacht. Aber ich lasse den Bogen nicht sinken. Ich ziele direkt auf sein Herz. Wird er mich erschießen, wenn ich ihm die Chance dazu gebe?
>>Was willst du hier?<<, frage ich.
Navin kommt ganz gelassen auf mich zu. Mein Pfeil bleibt weiter auf sein Herz gerichtet. Er kommt näher. Aber ich schieße nicht. Ich kann nicht.
>>Lass den Bogen sinken. Sonst verletzt du noch jemanden.<<, meint er mit einem abschätzigem Blick auf mich. Er weiß, dass ich nicht auf ihn schießen kann. Widerwillig lasse ich von meinem Ziel ab und hänge mir meinen Bogen wieder um. >>Braves Mädchen.<<, sagt Navin und grinst.
>>Was willst du hier?<<, frage ich erneut.
>>Meiner langjährigen Jagdpartnerin helfen, was sonst?<<, antwortet er und schmeißt mir meine Jagdtasche vor die Füße. Misstrauisch nehme ich sie an mich und schaue hinein. Da ist alles drin. Meine Kleidung, meine Wurfmesser und etwas Nahrung.
Verwundert sehe ich ihn wieder an. >>Wie hast du das alles aus dem Lager bekommen?<<
>>Alle sind weg, um dich zu suchen.<<, erwidert er leichthin, als würde ich nur Verstecken mit dem Stamm spielen und nicht um mein Leben kämpfen.
>>Danke.<< Meine Stimme versagt. Das hätte ich niemals erwartet. Er ist ein ganz schön großes Risiko eingegangen, um mir die Sachen zu bringen.
Wir schweigen eine Weile. Dann, nur um das Schweigen zu brechen, frage ich: >>Wie hast du mich überhaupt gefunden?<<
Er wirkt belustigt. >>Komm schon , Rumer. Ich weiß wie du denkst. Immerhin bin ich drei Jahre lang mit dir zusammen jagen gegangen. Da lernt man sich besser kennen, als durch reden.<< Navin hat recht. Auch wenn er ein Idiot ist, so sind wir doch ein eingespieltes Team. Er weiß, wie ich handle, denke, mich fortbewege. Und ich weiß es bei ihm. Natürlich war ihm klar, dass ich zum Bach gehen würde, damit Liv noch Proviant besorgen kann. Genauso wie ihm klar war, dass ich die Sachen, die er mir gebracht hat, dringend brauche, um in der Wildnis zu überleben, denn das werden Livvy und ich jetzt tun müssen. In der Wildnis leben. Vorausgesetzt wir schließen uns nicht einem anderen Stamm an, der weiter weg ist. Aber ich denke die Nachricht, dass Liv ein Angen ist wird sich schneller verbreiten, als wir ohne Pferde laufen können.
Navin mustert mich. >>Was ist?<<, frage ich und hebe eine Augenbraue.
>>Ich wusste schon immer, dass du etwas besonderes bist, aber das du ein Angen bist... Da wäre ich nie drauf gekommen. Aber deine Augen sind blau. Das sehe ich heute zum ersten Mal.<<
Erst will ich es abstreiten, aber was würde mir das schon bringen?
>>Tja, ich hab es eben gut versteckt.<<, antworte ich also wahrheitsgemäß.
>>Ja, allerdings. Du hast uns alle getäuscht.<< Navin kommt noch näher, was mir so unangenehm ist, dass ich aufspringe und einige Schritte zurück gehe, aber er ist nach nur zwei großen Schritten wieder bei mir. Ich will noch weiter zurückweichen, aber ich stoße mit dem Rücken an einen Baum. Als ich zu Seite weg will, stemmt er links und rechts von mir seine Arme gegen den Stamm, sodass ich eingekesselt bin.
>>Was soll das?<<, beschwere ich mich und versuche ihn weg zu schieben, aber er lässt sich nicht bewegen. Seine Augen bohren sich in meine.
>>Mach ich dich nervös?<<, fragt er amüsiert.
>>Ganz sicher nicht.<<, gebe ich trotzig zurück.
>>Nein? Gut, dann hast du sicher auch kein Problem damit, wenn ich mich verabschiede, oder?<<
Wieso sollte ich damit ein Problem haben?
>>Nein, verabschiede dich ruhig. Aber ich werde dich nicht umarmen!<<, meine ich und muss grinsen.
>>Keine Angst ich werde dich auch nicht umarmen.<<, meint er. Irgendwas an der Art, wie er es sagt, gefällt mir nicht. Und sein selbstgefälliger Blick schon gar nicht. Aber bevor ich irgendwas sagen kann, nimmt er mein Gesicht in seine Hände und... küsst mich. Ich erstarre. In meinem Kopf wechselt es von Chaos zu totaler Leere und wieder zu Chaos. Alles spielt verrückt. Ich will Navin wegstoßen, aber ich kann mich nicht bewegen.
Er hört auf mich zu küssen, tritt einen Schritt zurück und mustert mich neugierig, wartet auf eine Reaktion. Und die kommt. Ich hole aus und klatsche ihm eine.
>>Autsch.<<, sagt er scherzhaft und hält sich die Wange.
>>Du Idiot! Was sollte das?<<, frage ich und sehe ihn entgeistert an.
Er schmunzelt. >>Ich wollte mich nur verabschieden.<<
>>Aber warum so?<< Ich beiße mir von Innen auf die Wange, bis ich Blut schmecke.
>>Weil ich nicht weiß, ob ich je wieder die Chance bekommen werde dich zu küssen, wenn du erst einmal weg bist und da wollte ich meine vielleicht letzte Gelegenheit nutzen.<<, sagt er und grinst.
>>Selbst wenn wir uns wieder sehen sollten, wirst du nie wieder die Chance bekommen mich zu küssen! Wenn ich gewusst hätte, was du vor hast, hätte ich dich erschossen!<<, fauche ich ihn an.
Er lacht. Er steht einfach da und lacht.
>>Was ist so witzig?<<, frage ich gereizt.
>>Du!<<, meint er, immer noch lachend. >>Ich erzähl dir Dinge, die andere Mädchen mega romantisch finden würden und du willst mich nur wieder erschießen.<<
Oh ja! Und wie ich ihn erschießen will!
>>Du bist ganz rot Rumer.<<, meint er dann amüsiert. Ich sehe zu Boden.
>>Bin ich gar nicht.<<, widerspreche ich, obwohl er wahrscheinlich recht hat.
>>Und ob. Ich find's richtig süß, wenn du verlegen bist, weißt du das?<< Ich fühle mich hilflos. Schon wieder.
>>Ich. Bin. Nicht. Verlegen!<<, schreie ich ihn an.
>>Wie du meinst.<< Navin wuschelt mir durchs Haar. >>Bis dann.<<
Mit diesen Worten dreht er sich um und verschwindet in Richtung Cazanara Stamm. Und lässt mich alleine und aufgebracht zurück.
Ich hätte niemals gedacht, dass mein erster Kuss ein Abschiedskuss sein würde. Und dann auch noch mit Navin. Ich balle die Hände zu Fäusten. Er hat mich vollkommen durcheinander gebracht. Dieser Idiot!
Da höre ich plötzlich ein Kichern und schaue auf. Livvy steht zwischen zwei Bäumen und versucht krampfhaft nicht zu lachen. Sie hat es also gesehen. Na toll!
>>Sag nichts!<<, verbiete ich ihr und hebe drohend einen Finger.
>>Okay.<<, meint sie und fügt dann lachend hinzu: >>Aber du siehst aus wie eine Tomate.<<

Dienstag, 11. Dezember 2012

Livvy (6.)

Stimmengewirr weckt mich. Ich brauche einen Moment bis ich mich an alles erinnere, was gestern passiert ist. Ich habe lange geschlafen, dennoch fühle ich mich erschöpft.
Das Gemurmel draußen vor der Tür stoppt. Plötzlich wird die Tür aufgerissen und ein Typ mit schwarzem Zopf zerrt mich aus der Hütte ins Freie. Er schleift mich hinter sich her und ich habe keine Möglichkeit mich zu befreien. Unsanft stößt er mich auf den Boden der Lichtung. Der gesamte Stamm steht um mich versammelt. Misstrauische und finstere Blicke liegen auf mir. Ich fühle mich erdrückt und ich bekomme Angst. Wo ist Rumer? Ich entdecke sie, wie sie hinter älteren Stammesmitgliedern besorgt zu mir schaut.
Na super. Ich will gar nicht wissen, was sie jetzt mit mir vor haben. Immer schön atmen. Ein und aus, ein und aus. Oh verdammt, wie kann sie nur einfach da stehen ohne mir hier zu helfen. Ich kann nicht kämpfen. Ich bin ihnen ausgeliefert.
Jetzt reiß dich mal zusammen! Ich habe schon viel durchgestanden. Vier Jahre habe ich meine Identität verschleiert und wurde weltklasse Heilerin. Also beweg jetzt deinen Arsch aus den Selbstzweifeln.
Nachdem ich meine Panik runtergewürgt habe, bin ich jetzt fast bereit für das, was mir bevor steht. Der Stammeshäuptling, der sich mir als Lisandro vorstellt, fragt mich, warum mein Stamm die Frechheit besitzt auf Cazanara-Boden zu jagen. Ich sehe zu Boden und antworte zögerlich: >>Ich weiß es nicht. Ich bin keine Jägerin. Ich war nur da, um mögliche Verletzte zu versorgen, denn ich bin eine Heilerin.<<
>>Sieh mich an, wenn du mit mir sprichst!<<, schreit er, packt meine Haare und zieht meinen Kopf nach hinten. Er starrt mich an und ein Raunen geht durch den versammelten Stamm. >>Ihre Augen. Seht doch nur!<<, schreit ein kleines Mädchen.
>>Sie ist eine von ihnen! Tötet sie!<<, ertönt es von einer anderen Seite.
Verdammt scheiße, wie konnte ich ihn nur ansehen! Hoffentlich komme ich hier irgendwie wieder raus. Lisandro spannt seinen Bogen, doch ein Pfeil, der seine Schulter trifft, lässt ihn stocken. Es war Rumer, die ihn abgeschossen hat und sie rennt auf mich zu und packt mich. Wir rennen zusammen durch die aufgeschreckte Horde des Cazanara Stammes.
Einige Pfeile verfehlen uns knapp. Ich bin Rumer eindeutig etwas schuldig, denn es ist schon das zweite Mal seit gestern, dass sie mich vor dem Tod bewahrt. Nach mir endlos erscheinender Zeit gelangen wir zu dem kleinen Bach, der die Stämme voneinander trennt. Dort bleiben wir stehen und verschnaufen. Rumer hat sich nach wenigen Sekunden schon wieder erholt, denn Jäger haben eine bessere Kondition. Ich keuche und ringe nach Luft. Ich bin es nicht gewohnt so schnell und lange zu rennen. Ich lege mich auf den Bauch und schließe kurz meine Augen, aber Rumer tritt mir auf den Po und ich drehe mich um.
>>Was machst du da? Zum Schlafen oder Meditieren haben wir jetzt keine Zeit Liv!<<, raunt sie mich an und ich stehe erschöpft wieder auf. Sie hat recht. Wir müssen damit rechnen, dass die anderen uns verfolgen. Jetzt da sie wissen, dass ich ein Angen bin, werde ich gejagt und Rumer, die mich verteidigt hat, anstatt mich zu töten, garantiert auch. So wird die Jägerin ganz plötzlich zum Gejagtem.
>>Ich gehe und hole mir eine größere Tasche. Dann kann ich uns auch gleich Nahrung mitbringen und alles zusammensuchen, was ich brauche um zu heilen.<<, sage ich zu Rumer.
>>Okey. Habt ihr zufällig auch Zelte oder sowas? Ich habe nämlich keine Lust Nachts auf dem Waldboden zu liegen.<<, erwidert Ru und ich erkenne ein kleines Lächeln um ihr Lippen.
>>Ja haben wir. Das bringe ich gleich mit. Dann gehe ich jetzt mal.<< Ich drehe mich um und gehe. Doch bevor ich zwischen den Bäumen verschwinde, drehe ich mich nochmal um und sage: >>Danke Ru. Für alles, was du je für mich getan hast. Und für alles, was noch kommen mag. Dankeschön.<<
Noch bevor sie antwortet, drehe ich mich um und laufe los.
Auf dem Weg zu meinem Zelt laufe ich an der kleinen Meditationsstelle vorbei und sehe, wie sich Allayah um die Kleinen kümmert. Sie sind ruhig. Trainiert und ausgelassen sitzen sie vor ihrer Stammesältesten und hören ihr zu, wie sie ihrer besänftigenden Stimme lauschen. Langsam staucheln sie in ihre innere Mitte.
Ich schmunzel. Kaum zu glauben, dass es schon vier Jahre her ist, seitdem ich hier aufgenommen wurde. Ich schleiche weiter, um niemanden aus der Trance zu erwecken.
Mein Zelt sieht noch genauso aus, wie ich es hinterlassen habe, als ich mich gestern um die Verletzten kümmern musste. Keinem scheint es aufgefallen zu sein, dass ich weg war.
Ich nehme meine größte Tasche, auf der ein Puma abgebildet ist. Ich weiß nicht, was das Symbol bedeutet, aber er stärkt mich irgendwie.
Ich gehe weiter zu dem Vorratsraum und stecke mir einiges ein. Es ist keiner da, der mich daran hindern könnte. Nebenan ist der Medizinraum. Ich bin in meinem Element. Ich kann alles behalten, was ich je gelesen habe. Es ist so eine Art fotographisches Gedächtnis. Schon praktisch für eine Heilerin wie mich.
Ich packe mir genug medizinisches Material für die verschiedensten Verletzungen ein und gehe zu Melvit, dem Sohn von Allayah. >>Hast du noch ein Zelt für mich?<<, frage ich ihn und er mustert mich kritisch.
>>Ich denke schon. Wofür brauchst du es denn?<< Fragend sieht er mich an. Hmm. Ich weiß, wie ich ihn Glauben machen kann.
>>Ich will ein paar Tage etwas außerhalb verbringen, um meinen Geist ungestört zur Ruhe zu bringen. Ich habe in letzter Zeit so oft Alpträume und das will ich jetzt nicht mehr.<<, antworte ich und muss mir ein Lachen verkneifen. Oh man. Ich glaube mir ja selber nicht, hoffentlich kauft er es mir ab.
>>Ist gut. Warte eben, ich hol´s dir.<<, entgegnet Melvit und geht in eine der Haupthütten unseres Stammes. Es dauert nicht lange, bis er mit einem 2-Mann Zelt wiederkommt. Ich bin überrascht, denn ich hatte schon Sorge, dass Rumer und ich uns in ein kleines Zeltchen quetschen müssen.
Ich nicke ihm dankend zu.
Als er geht, lege ich meine Tasche auf dem Boden und das Zelt daneben ab. Ich sehe nach, ob ich auch nichts vergessen habe. Es ist alles da soweit ich sehe. Also mache ich mich auf  den Weg zurück zu der Stelle, wo Rumer auf mich wartet.

Montag, 10. Dezember 2012

Rumer (5.)

Mein Pfeil zischt durch die Luft und trifft das Reh ins Herz. Jetzt habe ich insgesamt zwei Hasen, vier Wildhühner und das Reh. Und es ist stockdunkel. Zeit zurück zu gehen. Mehr werde ich bei dieser Dunkelheit sowieso nicht finden. Also binde ich dem Reh einen Strick um und schleife es hinter mir her. Dadurch komm ich so langsam voran, dass ich erst gegen zwei Uhr morgens wieder beim Stamm bin. Ich bring meine Beute in die Vorratskammer, die immer von jemandem bewacht wird. Der Wachmann hilft mir die Sachen einzulagern.
Ich wünsche ihm eine gute Nacht und begebe mich zu meiner Hütte. Dort ziehe ich mir ein sauberes Shirt und eine neue Hose an, öffne und bürste mein langes, blondes Haar, das ich am Tag immer zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden habe und tausche meine Jagdstiefel, die aus Leder sind, gegen normale Schuhe. Als ich damit fertig bin, gehe ich wieder raus zu Elions alter Hütte. Sie haben das Schild mit seinem Namen abgenommen. Natürlich. Sobald es nicht mehr Livvys Gefängnis ist, wird dort jemand neues einziehen. Aber bis dahin bleibt die Hütte namenslos.
Da tritt jemand aus dem Schatten. Eine Frau. Sie soll aufpassen, dass Livvy nicht abhaut.
>>Was willst du hier?<<, fragt sie und gähnt. Anscheinend ist sie schon den ganzen Tag auf den Beinen.
>>Ich löse dich ab. Geh schlafen.<<, antworte ich und lächel ihr gutmütig zu.
Ihr Gesicht hellt sich auf. >>Danke, Rumer. Bis dann.<< Mit diesen Worten geht sie.
So. Jetzt kann ich endlich allein mit Livvy reden, ohne das wir Gefahr laufen belauscht zu werden. Ich öffne Tür und stolpere fast über... Navin? Was macht der den hier? Er liegt vor der Tür neben Livvy. Beide schlafen. Ich mustere Navins Gesicht. Er sieht so unglaublich jung aus, wenn er so friedlich ist. Manchmal vergesse ich, dass er erst achtzehn ist.
>>Was zur Hölle machst du hier, Idiot?<<, schreie ich und stoße ihn unsanft mit dem Fuß an.
>>Au.<<, schreit er und setzt sich auf. Irritiert sieht er sich um. >>Rumer? Was machst du hier?<<
>>Die eigentliche Frage ist, was machst DU hier?<<, zische ich und funkele ihn böse an. >>Hast du Livvy was getan?<< Navin sieht schockiert aus.
>>Nein. Er ist hier, weil er mich beschützen wollte.<<, wirft Livvy ein, die ebenfalls wach geworden ist.
>>Was?<< Verwundert sehe ich zwischen Liv und Navin hin und her.
>>Ja, richtig gehört. Ich weiß doch, wie die Männer hier drauf sind. Das wollte ich ihr ersparen.<<, sagt Navin und hält sich die Seite.
>>Na nu? Was ist mit deiner Hand?<<, will ich wissen. An der Hand, in die ich ihn geschossen habe, prangt ein sauberer, weißer Verband. Auch Navin scheint verwirrt.
>>Das war ich.<<, meldet sich Livvy wieder.
>>Ich sagte doch, dass ich das nicht will.<<, beschwert sich Navin und will den Verband abreißen.
>>Lass das.<<, sage ich und lege ihm eine Hand auf die Schulter. Er hält in der Bewegung inne und schaut mich an. >>Es wäre doch eine Verschwendung, das zu zerstören. Findest du nicht?<<
Verschwendung ist in unserer Lage etwas, was wir uns nicht leisten können. Navin nickt.
>>Rückt mal ein Stück zur Seite, damit ich auch rein kann.<<, weise ich die beiden an und schließe die Tür hinter mir.
Sie machen mir Platz, so dass ich mich auch setzen kann.
>>Also, was machst du hier?<<, fragt Navin erneut.
>>Ich pass auf, dass sie nicht abhaut.<<, meine ich leichthin. >>Und ich pass auf, dass niemand sie belästigt. Du kannst also gehen.<<
>>Und wenn ich nicht will?<< Er sieht mich herausfordernd an.
>>Zwing mich nicht dir auch noch in deine zweite Hand zu schießen!<<
>>Aber du hast deinen Bogen gar nicht hier. Du bist unbewaffnet. Und ich bin stärker als du. Ich könnte mit dir anstellen, was ich will. Jetzt bin ich im Vorteil.<< Er grinst amüsiert. Und ich werde wütend. Wütend, weil er recht hat. Auch wenn Livvy noch hier ist. Sie könnte ihn auch nicht aufhalten.
Ich weiß zwar, dass Navin mich nicht anfassen würde, aber zu wissen, dass er es könnte, gibt mir ein Gefühl von Hilflosigkeit und ich hasse es hilflos zu sein. Ich war lange genug hilflos! Bis ich zwölf war. Bis ich endlich raus aus diesem Labor gekommen bin. Damals habe ich mir geschworen nie wieder hilflos zu sein. Nie wieder!
>>Geh.<<, sage ich leise. >>Bitte.<< Meine Stimme zittert. Wie peinlich.
Navin lächelt. >>Okay. Ich gehe. Aber nur weil ich dir versprochen habe heute keine anzüglichen Bemerkungen zu machen. Sorry, ist mir gerade erst wieder eingefallen.<< Er steht auf. >>Schade eigentlich. Ich hätte gerne erfahren woher ihr euch kennt.<< Erschrocken sehe ich ihn an, woraufhin er nur noch mehr lächelt. >>Gute Nacht, Rumer.<< Und dann geht er raus, schließt die Tür hinter sich und lässt uns allein.
>>Du bist ja ganz rot.<<, bemerkt Livvy und unterdrückt ein Lachen.
>>Bin ich gar nicht.<<, fauche ich sie an.
>>Schon gut. Ich meinte ja nur.<<, sagt sie und hebt abwehrend die Hände.
Wir schweigen eine Weile. Keine von uns weiß, wie sie anfangen soll. Dann beginne ich.
>>So. Wir haben also all die Jahre nur ein paar hundert Meter von einander entfernt gewohnt und uns nie gesehen.<<
>>Sieht ganz so aus.<<, meint Liv und lächelt.
>>Hast du Willow gefunden?<< Deshalb haben wir uns damals getrennt. Sie wollte ihre kleine Schwester, die süße, liebe Willow aus dem Labor holen. Ich wollte Keeden und Dereck suchen. Aber eigentlich war das nur ein Vorwand. Ich wollte nicht zurück zum Labor. Es ging einfach nicht. Ich hatte zu viel Angst. Aber diese Angst hat mir in der Zeit danach Kraft gegeben. Hat mich stark gemacht.
Doch wir hätten uns nicht trennen sollen. Es hätte sonstwas passieren können. Liv war meine Familie. Ich hatte niemanden außer ihr, nachdem Keeden und Dereck weg waren. Zwar hab ich versucht sie zu vergessen, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen, aber ich bin froh, dass ich sie wieder gefunden hab.
Livvys Lächeln verschwindet und sie senkt den Kopf. >>Nein. Sie ist bei den Ausgestoßenen.<<
Oh nein. Dann hat sie nicht mehr viel Zeit zu leben. Liv schluchzt. Ich krieche zu ihr und nehme sie in den Arm.
>>Hey, nicht weinen.<<, flüstere ich und streiche ihr über den Kopf. >>Wir werden sie schon finden.<<
Livvy sieht mich ungläubig an. >>Wir?<<
Ich nicke zögerlich. >>Ja. Ich helfe dir.<<
Sie beginnt zu strahlen und schlingt die Arme um mich. >>Dankeschön. Ich danke dir, Rumer.<<
>>Ist doch selbstverständlich.<<
Nach einer Weile fragt sie: >>Was ist mit Dereck und Keeden?<< Meine Kehle schnürt sich zu.
>>Ich hab sie nicht gefunden. Ich bin ein halbes Jahr lang durch die Gegend gestreift. Entweder sind sie weiter weg gegangen oder...<< Ich muss es nicht aussprechen. Liv weiß, was das oder ist. Der Tod.
>>Ich lass dich mal besser schlafen. Die Leute werden Fragen stellen, wenn ich noch hier drin bin, wenn es hell wird. Schlaf schön. Und keine Angst, ich bin gleich vor der Tür.<<, meine ich und stehe auf.
>>Bis dann.<<, meint Liv und gähnt herzhaft. Ich gehe raus und schließe die Tür. Dann setze ich mich direkt davor auf den Boden. Ich lehne meinen Kopf an und versuche nicht einzuschlafen, aber ich tue es trotzdem.

Sonntag, 9. Dezember 2012

Livvy (4.)

Ich bin umgeben von einer Horde Jäger. Ihre Blicke liegen auf mir, denn ich bin ihr Feind. Mich wundert es, dass bis jetzt nur einer von ihnen versucht hat mich zu töten.
Blondie, der wie ich mitgehört habe Navin heißt, hat seine Wunde mit einem Stück Stoff von der Hose des Toten verbunden. Ich hätte sie mir gerne angesehen, denn ich könnte sie versorgen. Bei den Kandaru wurde ich eine ausgebildete Heilerin.
Zwei Kerle kommen auf mich zu und stoßen mich vorwärts in Richtung einer Hütte. Sie reden über mich und beschweren sich, warum ich noch nicht tot sei. Wäre Rumer nicht gewesen, wäre ich das jetzt auch.
Vor der Hütte nimmt einer der Kerle ein Schild mit dem Namen Elion von der Wand neben dem Eingang. Ich denke, dies war die Hütte des Toten und ist nun mein "Gefängnis".
Ich bekomme einen Tritt in den Rücken und lande unsanft in dem Raum, der wohl nur als Schlafplatz genutzt wurde, denn hier passt nicht mehr als ein Bett und ein kleiner Tisch rein, der jetzt hinausgetragen wird. Nichtmal einen Tisch gönnt man mir. Der Raum ist nun leergeräumt und ein letztes Mal werfen mir die zwei Typen finstere Blicke zu.
Da sitze ich nun, nur mit meiner Tasche und den Kleidern die ich trage, in einer kleinen Hütte eines benachbarten Stammes fest. Ohne Essen und ohne Wasser. Ich hoffe Rumer bleibt nicht zu lange auf der Jagd, denn ich weiß nicht, was man mit mir macht, wenn ich schlafe. Und ich bin zu erschöpft, als das ich die ganze Nacht wach bleiben könnte.
Es nähern sich Schritte. Ich krieche nach hinten, bis ich die Wand erreiche. Ein leichter Schwall von Panik schleicht in mir hoch. Die Tür wird knarrend geöffnet und Navin tritt ein. Er mustert mich, wie ich so vor ihm sitze, denn es sind nur wenige Schritte vom Eingang bis zu mir. Sein Schatten kommt auf mich zu und bleibt direkt vor mir stehen. Mehr kann ich nicht erkennen, denn es gibt hier kein Licht. Er hält etwas in seinen Händen.
Ein Streichholz flammt auf und Navin zündet damit eine Laterne an, die er neben mir auf dem Boden abgestellt hat. Eine Schüssel mit Wasser stellt er ebenfalls dort hin. Blondie wirkt sympatisch und irgendwie gar nicht so bedrohlich, wie heute Nachmittag am Bach.
Ich frage mich, was er von mir will, doch ich komme nicht mehr dazu ihn zu fragen, denn er kommt mir zuvor.
>>Woher kennt ihr euch?<<, fragt er. Ich bin verunsichert.
>>Wen meinst du?<<, gebe ich verwundert zurück.
>>Na du und Rumer. Woher kennt ihr euch? Wenn sie dich nicht kennen würde, dann hätte sie dich ohne zu zögern umgebracht. Also?<< Ich schlucke. Was soll ich ihm erzählen. Das ich ein Angen bin und ich Rumer daher kenne? Nein. Das Risiko gehe ich nicht ein. Sie würden Rumer jagen. Und ich wäre sofort tot.
>>Ich kenne sie von Früher. Wir waren mal befreundet, aber unsere Wege haben sich getrennt.<<, sage ich.
>>Aha. Gut, du willst es mir also nicht sagen. Ich bekomme es sowieso noch raus.<<, antwortet er und lächelt mir zu. Ich lächle zögerlich zurück. Er setzt sich auch auf den Boden und stöhnt leise auf. Er hat sich auf seiner verwundeten Hand abgestützt. Schmerz durchzuckt sein Gesicht.
>>Soll ich mir deine Hand mal ansehen? Ich bin ausgebildete Heilerin.<<, frage ich und sehe ihn bemitleidenswert an. Er wirkt skeptisch, doch er ist zu eitel um sich verarzten zu lassen. Er schüttelt den Kopf und legt sich auf den Rücken.
>>Du kannst schlafen. Ich bleibe hier, denn ich will keinen Stress mit Rumer, wenn die andern dir in der Nacht was antun.<<, gähnt Navin und dreht sich auf die Seite.
Nach einiger Zeit höre ich ihn leise scharchen. Ich muss schmunzeln, denn er hört sich an wie ein junges Schweinchen. Leise setzte ich mich auf und öffne meine Tasche und hole ein paar Blätter Kandarukraut heraus. Nach diesem Kraut wurde mein Stamm benannt, denn es kann je nach Anwendung viele heilende Wirkungen vollbringen.
Ich betupfe die großen Blätter mit etwas Wasser aus der Schüssel und setzte mich vorsichtig neben Navin. Ich kann nur hoffen, dass er schläft wie ein Stein, denn ich will kein Ärger mit ihm. Der Stofffetzen ist nur notdürftig über der Wunde zusammengebunden und es bereitet mir wenig Schwierigkeiten den Knoten zu öffnen.
Wundwasser und Eiter sind um das Einschussloch verschmiert. Ich tupfe es mit einem kleinen Stück sauberen Stoff, von dem ich immer genug in meiner Tasche habe, behutsam ab und nehme die beiden feuchten Blätter in meine Hände. Ich lege sie auf beide Seiten seiner Hand und binde den letzten Verband den ich vorrätig habe darum. Es wird die Nacht über halten und wenn er es Morgen früh nicht sofort abreißt, noch bis mittags.
Nachdem ich alles verstaut habe, lege ich mich wieder hin. Meine Augen fallen mir schon von alleine zu und es dauert nicht lange, bis ich eingeschalfen bin.

Samstag, 8. Dezember 2012

Rumer (3.)

Ich kann mich vor lachen kaum noch auf den Beinen halten. Mit ihrem >>Ich kann deine Wunde versorgen.<< hat Livvy Navins Stolz den Rest gegeben. Wenn seine Hand nicht verletzt wäre, würde er sie wahrscheinlich erschießen.
Natürlich hat sie es nur gut gemeint, aber wir vom Cazanara Stamm sind unheimlich eitel, darum habe ich mich ihnen auch angeschlossen. Wenn wir verletzt werden, lassen wir uns nicht verarzten. Wir stehen die Schmerzen durch. Okay, andererseits liegt das auch daran, dass wir mehr Jäger, als Heiler ausbilden. Beim den Kandaru ist es anders herum. Aber ihre Unwissenheit ist buchstäblich zum schießen.
Navin wendet sich wieder mir zu. >>Wieso hast du überhaupt auf mich geschossen? Sie ist der Feind!<<, meint er und deutet auf Livvy.
Jetzt brauche ich ganz schnell eine gute Ausrede. Ich könnte ihm erzählen, dass ich Livvy von früher kenne, aber ich vermeide es von meiner Vergangenheit zu reden. Wenn nämlich jemand raus bekommen würde, dass ich ein Angen bin, bin ich so gut wie tot, denn Angens werden von den Menschen abgewiesen, als unnatürlich eingestuft und gejagt.
Ich habe Glück. Das Blau in meinen Augen erkennt man nur, wenn man ganz genau hinsieht und ich lasse niemanden nahe genug an mich ran und wenn doch vermeide ich Blickkontakt. Bis jetzt hat das immer geklappt. Die Menschen, die außerhalb der Nevuloge wohnen, sind viel zu sehr mit dem Überleben beschäftigt. Auch wenn die Stämme einigermaßen weit von den radioaktiven Strahlungs-Zonen entfernt sind, kommt es doch oft genug vor, dass sich eine Gruppe von mutierten Tieren in diese Gegend verirrt.
>>Wir nehmen sie gefangen. Dann haben wir ein Druckmittel gegen den Kandaru Stamm. Wir können es uns nicht leisten noch mehr Leute zu verlieren.<<, sage ich schließlich und werfe Livvy einen kurzen Blick zu. Sie starrt mich mit vor Schreck geweiteten Augen an.
Navin wirkt erst skeptisch, aber dann nickt er. >>Okay, ich nehme sie mit.<<
>>Nein!<<, rufe ich und stelle mich ihm in den Weg. >>Ich nehme sie. Du musst Elion tragen.<<
>>Oh. Bist du zu schwach dafür?<<, neckt er mich.
>>Halt die Fresse du Idiot!<<, schimpfe ich und schubse ihn. Er lacht.
>>Schon gut. Nimmt du das Mädchen.<< Daraufhin dreht er sich um und geht zurück zu der Stelle, wo Elion gestorben ist.
Ich hänge mir meinen Bogen um und stecke den Pfeil zurück in den Köcher. Dann wende ich mich Livvy zu. >>Mitkommen! Und versuch nicht abzuhauen!<< Ich rede extra laut, falls Navin mich hört.
Livvy sieht mich ängstlich an. >>Ru...<<
>>Shht!<<, unterbreche ich sie. >>Niemand darf wissen, dass wir uns kennen, Liv. Das ist sicherer.<<
Sie sieht erleichtert aus und nickt. Dachte sie etwa ich wäre echt gegen sie?
Ich packe sie am Ellenbogen und führe sie hinter Navin her. Er hat sich den Leichnam von unserem Späher über die Schulter geworfen und ist bereit zum Aufbruch.
>>Können wir?<<, will er wissen.
>>Wenn du Lahmarsch dich endlich mal bewegen würdest, gerne.<<, schieße ich zurück.
Navin schüttelt nur den Kopf und geht vor, Richtung Cazanara Stamm. Da Livvy es anscheinend nicht gewohnt ist, sich in so dichtem Dickicht zu bewegen, sind wir noch langsamer als eben auf dem Hinweg. Wir kommen erst wieder im Lager an, als es schon dunkel wird.
>>Navin!<<, ruft Farina, Navins kleine Schwester und kommt auf uns zu gestürmt. Als Navin Elions Leiche zu Boden fallen lässt, bleibt sie stehen und schreit. Alle Stammesmitglieder, die anwesend sind, versammeln sich augenblicklich um den Toten.
>>Wie ist das passiert?<<, fragt Lisandro, unser Anführer und kniet sich hin.
>>Ein Überfall. Die Kandaru dieses Mal.<<, erklärt Navin und nimmt Farina auf den Arm, die jetzt weint.
>>Kandaru!<< Lisandro spuckt das Wort aus, als wäre es eine Beleidigung. Und um ganz ehrlich zu sein, empfinde ich gerade genau so. Elion hat niemandem etwas getan. Er war ja nicht mal bewaffnet!
>>Wir haben eine von ihnen gefangen genommen. Als Druckmittel.<<, verkündet Navin und deutet auf Livvy. Oh scheiße!
Lisandro steht auf und kommt auf uns zu. Ich sehe aus Respekt zu Boden. >>Als Druckmittel? Wir sollten sie töten.<<
Ich will schon widersprechen, aber Navin kommt mir zuvor: >>Wir haben schon drei von ihnen getötet. Wenn wir sie gefangen halten, haben wir mehr davon.<<
Unser Anführer denkt eine Weile nach. Dann nickt er und ruft zwei Männer zu sich. >>Bringt sie in Elions Hütte und passt auf, dass sie dort bleibt.<<, befiehlt er ihnen.
>>Sei stark.<<, flüstere ich Livvy ins Ohr, bevor die Männer sie packen und wegbringen.
>>Wie viel Beute habt ihr?<<, fragt Lisandro dann an Navin und mich gerichtet.
>>Wir sind nicht zum Jagen gekommen.<<, sage ich. >>Der Angriff kam zu früh und wir sind nur langsam voran gekommen.<<
>>Dann geht ihr jetzt noch einmal los.<<, bestimmt er und geht.
Navin setzt Farina wieder ab und küsst sie auf den Scheitel. >>Bis später, Kleine.<<
>>Bis nachher.<<, seufzt sie und geht zurück in ihre Hütte. Die Eltern von den beiden sind tot. Ihre Mutter ist bei Farinas Geburt gestorben und ihr Vater wurde von einem feindlichen Stamm ermordet.
Und da Navin immer jagen muss, hat er kaum Zeit für Farina. Irgendwie tut sie mir leid.
>>Kommst du?<<, fragt Navin und reißt mich aus meinen Gedanken.
>>Weißt du was? Bleib du ruhig hier bei Farina. Ich gehe allein. Bei Nacht traut sich eh kein Feind auf unser Territorium.<<, biete ich an.
Er sieht verwundert aus. Ich war noch nie wirklich nett zu ihm. Aber ich tue das ja auch für Farina.
>>Bist du sicher?<< Ich weiß, dass er nur aus Höflichkeit fragt. Er will gerne bei ihr bleiben, dass sehe ich in seinen Augen.
>>Ja. Kein Problem. Aber dafür darfst du morgen keine anzüglichen Bemerkungen machen. Deal?<<, frage ich und strecke ihm meine Hand hin. Er schlägt ein.
>>Deal!<<
Und damit gehe ich allein zurück in den Wald. Aber ich nehme mir vor mit Livvy zu reden, sobald ich wieder zurück bin.

Freitag, 7. Dezember 2012

Livvy (2.)

Während vor meinen Augen eine Pfeilspitze darauf wartet mich durchlöchern zu dürfen, achte ich nur auf das Mädchen, das auf mich zielt.
Ich kenne sie. Es ist Rumer. Besser gesagt ich kannte sie mal sehr gut, denn wir waren unzertrennlich. Wir kannten uns seit wir denken können, denn wir waren an dem gleichen Ort gefangen. Es war ein Genlabor am Rande eines Nevulogs. Dort wurden Kinder hingebracht, die niemand vermissen würde. So wie Rumer, die von einem Waisenhaus "abgekauft" wurde. Meinen Eltern wurde vorgegaukelt ich sei verstorben, aber ich wurde verschleppt.
Die Leute in den gelben Schutzanzügen haben an uns untersucht, wie sich Strahlung auf die menschlichen Gene auswirkt. Mit unserer Hilfe wollten sie ein Mittel erstellen, das den Menschen ein Leben außerhalb der Nevuloge ermöglichen sollte, ohne an der Strahlung zu sterben.
Das letzte Mal, das ich Rumer gesehen habe, war als ich zurückkehren wollte, um meine Schwester zu befreien.
Sie ist losgezogen, um zwei unserer Freunde, Keeden und Dereck, zu suchen. Wir wurden von ihnen getrennt, als wir mit 12 aus dem Labor geflüchtet sind. Das war vor vier Jahren.
Tja..und jetzt sehen wir uns zum ersten Mal seit so langer Zeit wieder und sie will mich erschießen. Ich habe mir dieses Wiedersehen irgendwie immer schöner und nicht ganz so bedrohlich vorgestellt.
Aber unser Leben war ja noch nie "normal".
Ich dachte immer, wenn wir uns wiedersehen, hätte ich Willow schon längst gerettet. Doch als ich zurückkam, war sie nicht mehr da. Sie ist jetzt eine der Ausgestoßenen, Kinder bei denen die Versuche schief gingen. Ihre Lebenserwartung wurde auf höchstens 20 Jahre geschätzt. Willow war damals 7 Jahre alt, das bedeutet ich habe mit Glück noch 9 Jahre mit meiner Schwester, falls ich sie jemals wiederfinde. Niemand weiß, wo die Ausgestoßenen hingebracht werden.
Rumer und mich hat es besser getroffen, wenn man es denn so nennen kann. Unsere Gene wurden durch die Strahlung so verändert, dass wir, sobald wir ausgewachsen sind, langsamer altern. Das heißt, wir werden hier länger festsitzen, als uns lieb ist. Wegen diesem Defekt nennen sie uns Angens( Anti-Gen). Die einzigen, die mit uns alt werden könnten, wären Keeden und Dereck, vorausgesetzt sie leben noch, denn Angens besitzen etwas Unverkennbares: Unsere Augen sind mit Farbe durchzogen und nicht so wie üblich staubgrau.
An uns vieren wurden die ersten Fortschritte festgestellt und die älteren Kinder meinten, dass die Wissenschaftler mit diesen Versuchen keinen Erfolg haben dürfen, also haben sie uns bei der Flucht geholfen. Wäre Willow nicht zurückgeblieben, wären wir Fünf jetzt alle noch zusammen und in Sicherheit.
Aber das sind wir nicht. Ich für meinen Teil stehe gerade meinem Tod gegenüber. Meine ehemalige beste Freundin hält mir doch tatsächlich Pfeil und Bogen vor die Nase. Aber sie lässt ihr Geschoss sinken. Hätte mich auch gewundert, wenn sie mich nicht erkannt hätte. Jedenfalls hoffe ich, dass sie mich erkannt hat.
Plötzlich kommt ein blonder Typ durchs Dickicht gestürmt. Er schreit sauer: >>Rumer! Wo bleibst du. Soll ich hier alles alleine wegschleppen? Ach du scheiße..Was machst du da?!<< Und dann zielt auch schon der zweite Pfeil heute auf mein Gesicht. Doch Rumer reagiert schneller als er und im nächsten Augenblick steckt einer ihrer Pfeile in seiner Hand.
Während er sichtlich entsetzt seine Wunde anstarrt, kann Rumer nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken. Sein Blick wandert von mir zu ihr. >>Warum immer ich?<<, schreit er.
>>Sorry...<<, entschuldigt sich Rumer halb lachend.
>>Das ist schon das zweite Mal diesen Monat. Hey, hör auf zu lachen!<<, schmollt Blondie und zieht den Pfeil aus seiner Hand. Rumer schlingt ihre Arme um ihrem Bauch und ringt nach Luft vor lauter lachen.
>>Ich kann deine Wunde versorgen..<<, sage ich kleinlaut, woraufhin er mir einen finsteren Blick zuwirft.

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Rumer (1.)

Wir sind auf dem Weg zu unserem üblichen Jagdplatz. Elion, unser Späher, Navin, mein zwangsmäßiger Jagdpartner und ich. Geschickt schlängeln wir uns durchs dichte Unterholz. Jeder andere wäre mindestens schon sechsmal gestolpert, aber wir nicht, denn wir kennen uns aus. Es gibt keinen Zentimeter im Territorium des Cazanara Stamms der uns unbekannt ist. Und das ist auch gut so, denn sonst wäre es viel mühseliger Beute zu erwischen. Aber normalerweise kommen Navin und ich immer mit vollen Jagdbeuteln zurück. Und wir würden noch mehr schaffen, wenn wir nicht hinter Elion herschleichen müssten. Der ist ungefähr so langsam wie eine trächtige Kängururatte, was auch einer der Gründe ist, weshalb er nicht zum Jäger ausgebildet wird. Elion ist entbehrlich.
Navin und ich nicht. In letzter Zeit ist es nämlich immer öfter vorgekommen, dass Mitglieder aus anderen Stämmen auf unserem Gebiet gejagt haben und dabei haben sie drei unserer besten Jäger getötet. Noch mehr Verluste können wir uns nicht leisten, denn immerhin haben wir vierundzwanzig Mäuler zu stopfen.
Plötzlich bleibt Elion stehen. >>Warte mal.<<, sagt er und lauscht.
>>Was ist denn jetzt schon wieder?<<, frage ich genervt.
>>Ich glaube ich habe was gehört!<<, meint er und sieht mich an. Das ist jetzt schon das vierte mal innerhalb der letzten zehn Minuten! Seufzend deute ich ihm zu gehen, um zu gucken was los ist.
Kaum ist er weg schnurrt Navin mir ins Ohr: >>Hey Rumer, wie wär's wenn wir rummachen, bis er wieder kommt? Dann wäre es nicht so langweilig.<<
>>Wie wäre es, wenn ich dir gleich bei der Jagd einen Pfeil in den Arsch jage?<<, schlage ich vor und funkel ihn böse an. Sofort weicht er zurück, denn er weiß, dass ich es tun würde. Ich hab ihm schon mal in die Schulter geschossen, weil er mich zuvor bedrängt hat, aber der Kerl gibt einfach nicht auf. Idiot! Bevor wir uns weiter streiten können, ertönt ein lauter Schrei. Die Stimme ist unverkennbar: Elion! Sofort schnappe ich mir meinen Bogen und lege einen Pfeil auf die Sehne. Dann renne ich in die Richtung in die Elion verschwunden ist. Nach nicht einmal zwanzig Metern bleibe ich stehen. Ein Stück weiter vor mir liegt ein lebloser Körper. Elion ist tot. In seinem Kopf steckt ein Pfeil. Schon der dritte Späher diese Woche. Wir sollten mehr an der Ausbildung feilen.
Dann nehme ich eine Bewegung wahr und erkennen einen Mann. Er ist aus dem Stamm der Kandaru, dass erkennt man an den Zeichen in seinem Gesicht. Ich habe mich schon oft gefragt, wieso sie sowas tun. Vielleicht um besser auszusehen? Oder einfach, weil sie beschränkt sind. Ich ziele mit dem Pfeil auf ihn, aber ich lasse nicht los. Die Kandaru sind der friedlichste Stamm den ich kenne. Die töten nicht ohne Grund. Und ich will wissen, was der Grund ist. Aber da taucht Navin auch schon auf, entdeckt den Kandaru und jagt ihm einen Pfeil ins Herz. Na toll, den kann ich jetzt wohl nicht mehr fragen. Schnell sehe ich mich um.
Da sind noch zwei andere. Und die scheinen nicht mehr auf ein klärendes Gespräch aus zu sein. Obwohl wir jetzt rein theoretisch quitt wären. Sie haben einen von uns getötet und wir einen von ihnen. Aber ihr Mann war ein Jäger. Er war mehr wert als Elion. Auch Navin weiß das und will auf den Nächsten schießen, aber der andere hat ihn ins Visier genommen. Bevor dieser jedoch schießen kann steckt einer meiner Pfeile in seinem Kopf. Navin erledigt den Letzen. Wir suchen noch eine Weile die Gegend ab und erst als wir sicher sind, dass kein Feind mehr hier ist, gehen wir zu Elions Leiche.
>>Wir müssen ihn zurück ins Dorf bringen, um ihn zu begraben.<<, sage ich und sehe teilnahmslos auf das Gesicht des toten Spähers. Navin nickt nur. Elions Tod scheint ihm die Sprache verschlagen zu haben. Kein Wunder, die beiden waren gute Freunde. Aus dem Grund habe ich auch keine Freunde im Stamm. Das Risiko sie zu verlieren, ist zu groß.
Da höre ich plötzlich ein Rascheln. Blitzschnell lege ich einen neuen Pfeil auf und ziele in die Richtung. Zwischen den Sträuchern entdecke ich ein Mädchen mit rotbraunem Haar. Ob sie auch eine Jägerin der Kandaru ist? Doch gerade als ich auf sie schießen will, dreht sie sich um und rennt weg. Ich laufe hinterher.
>>Stehen bleiben oder ich schieße!<<, rufe ich und ziele auf ihren Hinterkopf. Sie bleibt wie angewurzelt stehen. >>Hände hoch!<< Vorsichtig hebt sie ihre Hände über den Kopf, aber es sieht nicht danach aus, als würde sie irgendwelche Waffen bei sich tragen. Na ja, sicher ist sicher. >>Und jetzt umdrehen!<<, befehle ich. Ganz langsam dreht sie sich um.
Etwas an ihr ist merkwürdig. Es dauert eine Weile, bis ich darauf komme: Ihre Augen! Sie sind nicht grau, wie bei allen anderen Menschen, sondern ihre sind mit grün durchzogen. Dann durchzuckt mich die nächste Erkenntnis: Ich kenne dieses Mädchen!

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Angens

Wir schreiben das Jahr 2173. Große Teile der Welt sind durch Atomkriege unbewohnbar gemacht und die Menschen sind dazu gezwungen in sogenannten Nevulogen zu wohnen, Städte, die durch strahlungsundurchlässige Kraftfelder geschützt sind. Aber nicht alles ist so perfekt wie es scheint, denn es gibt Dinge, die den normalen Bewohnern verborgen bleiben. Die Angens sind nur eines davon.