Mittwoch, 20. Februar 2013

Rumer (29.)

Als Navin und ich aus dem Wald zurück kommen, ist Ruhe eingekehrt und die meisten haben sich schlafen gelegt. Nur wenige sind noch vereinzelt draußen und beäugen uns misstrauisch, aber das ist mir egal. Die können mich alle mal. Feiglinge!
Die Ereignisse des Tages haben echt an meinen Kraftreserven gezerrt und ich bin so müde, dass ich wahrscheinlich jeden Moment in ein Koma falle. Also wende ich mich an Navin, gähne einmal herzhaft und sage dann: >>Gute Nacht. Ich geh schlafen.<< Er erwidert erst nichts, also füge ich in der Zeit des Schweigens noch hinzu: >>Danke, dass du zu mir hältst. Wie immer.<<
Jetzt grinst er und umarmt mich. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich realisiert habe, dass Navin definitiv zu meinen Freunden gehört, oder ob es eine Nebenwirkung des Gefühlsausbruchs von vorhin ist, aber ich umarme ihn auch.
Dann beugt er sich etwas runter und flüstert mir ins Ohr: >>Ich finde dafür könntest du ruhig mal netter zu mir sein.<<
Darauf weiß ich nichts zu antworten, also löse ich mich einfach aus der Umarmung und sehe verlegen zu Boden, peinliches Schweigen zwischen uns.
Bis Navin irgendwann sagt: >>Ich hab den Tag heute mit dir sehr genossen und freue mich schon auf den Gefallen, den du mir noch schuldest.<< Daraufhin schlage ich ihm gegen die Schulter und er geht lachend weg.
Na toll! Immer wenn's gerade mal gut zwischen uns läuft und ich ihm keine rein schlagen will, muss er wieder so einen blöden Spruch bringen! Dieser Idiot! Aber ob ich will oder nicht (und ich will) er ist jetzt mein Verbündeter. Mein Einziger.
Seufzend schlendere ich zu dem Zelt von Livvy und mir. Ich hoffe sie schläft schon, denn ich hab wirklich keine Lust auf ein Gespräch. Egal zu welchem Thema.
So leise wie möglich öffne ich den Reißverschluss. Und stelle fest, dass es ungewöhnlich eng in unserem Zelt ist. Was wiederum daran liegt, dass Dereck mit in Livs Schlagsack pennt. Wow! Die beiden gehen es ganz schön schnell an. Heute Mittag haben sie sich zum ersten Mal geküsst (jedenfalls glaube ich, dass es das erste mal war, denn wenn es nicht so wäre, hätte Livvy mir das wahrscheinlich erzählt) und jetzt schlafen sie schon zusammen in einem Schlafsack. Sieh mal einer an.
Da ich das junge Glück der beiden nicht stören will (und weil es mir hier definitiv zu eng ist) schließe ich den Reißverschluss wieder und gehe unsicher ein paar Schritte weg. Alles was mein Kopf gerade zu Stande bringt, ist sich zu fragen: Wo soll ich jetzt schlafen? 
Der erste Gedanke, der mir kommt, ist zu Keeden zu gehen und bei ihm zu schlafen, aber etwas lässt mich zögern. Durch unsere spezielle Verbindung weiß ich, was er für mich empfindet. Und ich weiß auch, dass ich nicht das selbe für ihn empfinde. Und er weiß das auch. Außerdem ist mir klar, dass er Navin verabscheut und ziemlich eifersüchtig auf ihn ist, obwohl es dazu keinen Grund gibt.
Ich will Keeden nicht verletzen und zu diesem Zeitpunkt würde vieles die Hoffnung in ihm wecken, dass ich vielleicht doch mehr für ihn empfinden könnte, aber sowas kann ich zur Zeit echt nicht gebrauchen. Und er auch nicht. Ich bin sowieso die am wenigsten geeignete Person auf dieser Welt, in die man sich verlieben sollte, denn ich bin ein Wrack. Ein Totalschaden. Nicht mehr zu retten. Aber Keeden wird immer versuchen mich zu retten. Er wird mich nicht aufgeben und das würde uns beide zerstören.
Etwas schockiert vom Tiefgang meiner Gedanken schlage ich also eine andere Richtung ein. Zurück zum Lagerfeuer, wo noch die paar Leute sind.
>>Entschuldigung. Kann mir von euch jemand sagen, wo Navin schläft?<<, frage ich in die Runde und verschränke die Arme vor der Brust. Einige Mädchen schauen mich böse an und tun dann so, als wäre ich gar nicht hier. Auch die anderen scheinen mir nicht antworten zu wollen. Doch dann löst sich jemand aus einer Gruppe und kommt auf mich zu. Chazz.
>>Hey Ru. Wir hatten noch gar keine Gelegenheit uns zu begrüßen, also Hallo!<<, sagt er und umarmt mich.
>>Hey.<<, murmele ich in seine Schulter. Chazz ist wie ein großer Bruder für mich. Zugegeben, einer den ich seit Jahren nicht gesehen hab, aber trotzdem Familie. Er war einer von denen, die uns damals bei der Flucht geholfen haben, wofür ich ihm ewig dankbar bin. Und bin ich echt froh ihn wieder zu sehen. Auch wenn ich weiß, dass er wohl bald sterben wird, denn Ausgestoßene werden höchstens zwanzig und er war damals schon vierzehn.
>>Also, erzähl mal, was willst du bei dem blonden Kerl? Er hat dir jawohl nicht auch noch den Kopf verdreht, wie bei den ganzen anderen Mädchen hier, oder?<<, fragt Chazz dann und legt mir einen Arm um die Schulter.
>>Himmel! Nein!<<, sage ich sofort und muss dann darüber lachen, dass immer alle auf die Idee kommen, dass Navin und ich was miteinander haben könnten.
>>Das ist wirklich sehr beruhigend. Komm mit. Ich bring dich hin.<<, meint er dann und zeigt mir den Weg.
Navins Zelt ist ziemlich weit abseits von den anderen. Chazz zeigt es mir und geht dann zurück zu den anderen ans Feuer. Die letzten Meter gehe ich also allein. Und so muss ich auch ganz alleine feststellen,  dass Willow vor Navins Zelt steht. Sie wirkt unschlüssig.
>>Hey Willow.<<, grüße ich sie. Sie sieht mich und funkelt mich dann finster an.
>>Was willst du denn hier?<<, zischt sie und weicht einen Schritt zurück.
>>Ich bin auch froh dich zu sehen.<<, murmele ich und verdrehe die Augen.
Da steckt Navin seinen Kopf aus dem Zelt und sieht uns. >>Aha. Wusste ich doch, dass ich Stimmen gehört habe. Was wollt ihr hier?<<
>>Ich... ähm... also.... ähm...<<, stottert Willow, kommt aber nicht zum Punkt. Mahn! Ich bin müde!
>>Ich wollte fragen, ob ich eventuell mit bei dir im Zelt pennen kann. Meins ist... blockiert.<<, sage ich und versuche Willow Mörderblick zu ignorieren.
Navin fängt an zu grinsen. >>Klar doch. Ich dachte schon du fragst nie.<<
>>Spar dir deine dummen Kommentare!<<, erwidere ich und will Willow noch etwas sagen, aber sie dreht dich um und stiert davon. Na toll! Sie hasst mich.
>>Komm jetzt. Ich will schlafen.<<, meint Navin dann und winkt mich ins Zelt. Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich tue, aber ich schlüpfe zu ihm hinein. Dann fällt mir der Fehler an meinem Plan auf. Ich hab meinen Schlafsack vergessen!
>>Ich hol eben meinen Schlafsack. Bin gleich wieder da!<<, meine ich und will wieder gehen, aber Navin packt mich am Handgelenk und hält mich somit auf.
>>Brauchst du nicht. Du kannst mit unter meiner Wolldecke schlafen. Ich mach auch keine anzüglichen Bemerkungen. Versprochen.<< Als ich nichts erwidere fügt er noch hinzu: >>Komm schon, Rumer. Du hast doch nicht etwa Angst, oder?<< Er weiß genau, dass mich das provoziert! Er weiß genau, dass ich ihm das Gegenteil beweisen will! Und das schlimmste ist, dass es funktioniert!
Ich streife meine Schuhe ab und lege mich neben ihm unter die Decke. Allerdings rücke ich so weit von ihm weg, wie es mir das Zelt erlaubt. Leider habe ich da meine Rechnung, ohne Navin gemacht, denn der schlingt seine Arme um meine Taille und zieht mich an sich. Ich spüre seinen Atem in meinem Nacken und ein Kribbeln jagt meine Wirbelsäule runter.
>>Es ist trotz der Decke manchmal etwas kalt. Körperwärme ist da die beste Lösung.<<, flüstert Navin  und küsst meinen Nacken.
Eigentlich müsste ich wegrücken. Eigentlich müsste ich ihm dafür eine rein schlagen, oder ihm eine Beleidigung an den Kopf werfen. Aber das tue ich nicht. Ich liege einfach da, in seinen Armen und lausche seinem Atem, bis ich einschlafe. Und fühle mich zum ersten mal seit langem... geborgen.

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