Sonntag, 17. Februar 2013

Livvy (28.)

Stille. Rumers Worte hallen in meinem Kopf wieder und wieder. Ich sehe ihr nach, wie sie von Navin vom Feuer weggeschleift wird. Die schlimmen Erfahrungen, die wir alle durchmachen mussten, haben jeden auf eigene Weise gezeichnet. Rumer hat sich eine Mauer gebaut. Ihre Gefühle und Gedanken eingesperrt, für niemanden erreichbar. Doch gerade begann ihre Mauer zu bröckeln und Licht viel auf das Dunkle, das Vergangene.
Ich bin froh, dass Navin bei ihr ist, denn in den letzten vier Jahren war er an ihrer Seite. Dafür bin ich ihm von Herzen dankbar.
Dennoch mache ich mir Sorgen um sie. Ihr Lächeln hat mich immer aufgeheitert. Doch jetzt wird mir bewusst, dass es nur ein Schutzwall war. Sie wollte die Gefühle vor niemandem zeigen, da sie denkt, dass sie niemand versteht.
>>Alle in Ordnung?<< Derecks besorgte Stimme holt mich zurück in die Realität. Ich schaue ihn kurz an und nicke. Dann schweift mein Blick über die Ausgestoßenen und bleibt bei Willow hängen. Sie starrt mit zornigem Funkeln in dem Augen in die Richtung, in der Navin mit Rumer ins Dunkle getaucht sind. Ihre Hände hat sie zu Fäusten geballt. So wie sie da steht, könnte auch Rauch aus ihren Ohren steigen.
>>Willow? Was ist los?<<, frage ich und schmunzel. Ihre Miene hellt sich schlagartig auf und ein stralendes Lächeln macht sich in ihrem Gesicht breit.
>>Wieso, was sollte denn los sein?<<, kontert sie strahlend und mit einer honigkuchenpferdigen Stimme und setzt sich neben mir auf den Platz, wo Rumer noch vor einigen Augenblicken gesessen hatte. Mir konnte sie noch nie etwas vormachen. Meine kleine eifersüchtige Schwester.
Dereck legt seinen Arm um meine Schulter. Erst jetzt fällt mir auf, wie kalt mir ist. Er ist schön warm und ich rücke näher an ihn heran. Es ist noch etwas gewöhnungsbedürftig, denn das was zwischen uns ist, habe ich noch nie vorher gespürt. Liebe.
Von so vielen Gefühlen, die am heutigen Tag auf mich eingeprasselt sind, schwirrt mir der Kopf.
>>Was hat die denn für Probleme<<, lacht einer der Kerle.
>>Anscheinend haben Angens geistige Probleme. Habt ihr gesehen, wie sie abgedreht ist? So eine gute Show gabs hier schon lange nicht mehr.<< Jetzt fallen die anderen in das Gelächter mit ein. Wow. So denken sie jetzt also von uns. Geistig Gestörte. Rumer scheint mir doch nicht so tough zu sein, wie sie es immer tut. Ich kann sie jetzt nicht alleine lassen. Ich will sie in den Arm nehmen, sie im Ruhigen wissen.
Also löse ich mich aus Derecks Umarmung und springe auf. Ich kann mir dieses Geläster sowieso nicht mehr länger anhören. Wut steigt in mir hoch und ich beginne in die Richtung zu rennen, wo ich Rumer vermute. Doch jemand schnappt sich meinen Arm und hält mich fest. Es ist Dereck. Er zieht mich in seine Arme und ich merke, wie ich anfange zu hyperventilieren.
>>Hey, ganz ruhig. Atme tief ein und wieder aus. Das hilft.<< Dereck streichelt mir über den Rücken und spricht mir immer wieder aufmunternd und ruhig zu.
>>Ich muss sie suchen. Sie kann doch jetzt nicht alleine sein. Sie braucht jetzt jemanden, der für die da ist.<< Ich will mich schon wieder losmachen, doch Dereck hält mich auf.
>>Livvy, sie hat jemanden. Navin ist bei ihr und kümmert sich um sie, okay? Mach dir keine Sorgen, meine Kleine.<< Er hat recht. Ich sollte mich nicht mehr so sehr aufregen und anfangen mich zu entspannen. Eine Weile stehen wir noch eng umklammert in der Dunkelheit.
>>Du solltest dich jetzt langsam mal hinlegen. Heute ist ziemlich viel passiert, nicht das du nachher noch einen Nervenzusammenbruch bekommst.<< Liebevoll sieht Dereck mir in die Augen.
Es hat keinen Sinn zu protestieren. Mein Kopf wäre heute sowieso zu nichts mehr in der Lage. Und Rumer hat Navin, ihren Jagdpartner und, meiner Meinung nach, besten Freund.
Ich greife nach Derecks Hand, die meine behutsam umschließt. Vor meinem Zelt bleiben wir stehen.
>>Gute Nacht. Und danke für den Tag heute.<<, flüstert Dereck mir zu. Meine Wangen glühen, als sein heißer Atem meinen Hals streift.
>>Nacht.<< Zu mehr Worten komme ich gar nicht, da Dereck seine Lippen auf meine legt. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist, als unsere Lippen sich voneinander lösen. Aber mir erscheint es so, als wenn die Zeit viel zu schnell gelaufen ist.
Er lächelt mir noch einmal zu und dreht sich dann um. Er geht in Richtung des Feuers und setzt sich neben Keeden auf einen umgekippten Baumstamm.
Mit noch immer feuerroten Wangen und einem breiten Grinsen im Gesicht öffne ich das Zelt und lege mich in meinen Schlafsack. Der Stoff ist kühl und ich bekomme eine Gänsehaut. Die Stille und die Dunkelheit veranlassen meinen Kopf dazu, Gedanken und Erinnerungen wieder und wieder vor meinem inneren Auge abzuspielen. Vergangenes aus einer Zeit, die mich wie ein Schatten verfolgt. Als sich der Reißverschluss des Zeltes öffnet zucke ich zusammen. Ich habe noch nicht mir Rumer gerechnet. Aber die Person, die sich jetzt gerade neben mich legt ist nicht Ru.
>>Ich konnte dich hier nicht einfach alleine liegen lassen.<< Mein Herz beginnt zu Rasen und ich kuschle mich an seine warme Brust.
>>Du bist ja eiskalt. Lass mich mal mit in deinen Schlafsack, dann wird der schneller warm.<<, flüstert er. Kurz darauf liegen Dereck und ich eng aneinander geschmiegt in meinem Schlafsack. Jetzt wo er da ist, ist es so, als würden alle meine Sorgen sich in Lust auflösen.
Eine Weile genieße ich noch seine Nähe. Doch die Müdigkeit macht sich über uns breit und wir schlafen ein.

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