Mittwoch, 13. Februar 2013

Rumer (27.)

Alle schweigen und starren mich fassungslos an. Es ist als hätte ich gerufen: >>Hey Leute, lasst uns alle von einer Klippe Spingen, wie Lemminge!<<.
Nach ein paar Sekunden fangen einige an zu tuscheln und entsetzt die Köpfe zu schütteln, als sei ich vollkommen verrückt geworden. Sogar meine Freunde scheinen nicht zu wissen, was sie davon halten sollen. Nur Navin lehnt sich neugierig nach vorne, stützt die Ellenbogen auf den Knien ab und legt sein Kinn auf seine zusammengefalteten Hände. Die Frage ist nur, ob er es macht, weil es ihn echt interessiert, was ich zu sagen habe, oder ob er nur gespannt darauf wartet, dass sie mich fertig machen. Ich würde auf letzteres tippen.
>>Und wie stellst du dir das vor?<<, fragt einer der Ausgestoßenen. Ich kenne ihn. Er heißt Chazz und hat uns damals bei der Flucht geholfen.
>>Wir kämpfen.<<, sage ich ohne zu zögern.
Die Ausgestoßenen schnauben verächtlich. Einer ruft: >>Die Experimente haben dir wohl dein Gehirn vernebelt, was Blondi?<<
Wütend presse ich die Kiefer zusammen und versuche nicht auszurasten. So ruhig ich kann antworte ich: >>Nein, haben sie nicht! Ich sehe es nur als unsere menschliche Pflicht die Machenschaften der Wissenschaftler zu stoppen! Wir dürfen nicht zulassen, dass weiterhin unschuldige Kinder ihrer Kindheit beraubt werden, um die Versuchskaninchen für kranke Strahlungsversuche zu spielen!<<
>>Du bist doch nicht einmal mehr ein Mensch!<<, ruft jemand. Das ist wie ein Schlag in den Magen und ich zucke zusammen. Ich schließe kurz die Augen, um mich zu beruhigen, dann öffne ich sie wieder.
>>Hättest ihr nicht auch gewollt, dass uns jemand rettet? Das irgendjemand aufgestanden wäre und gesagt hätte, so kann es nicht weiter gehen? Denkt doch nur daran wie viel Schmerz es uns erspart hätte.<< Ich versuche das Zittern zu unterdrücken, dass mich jedes Mal überkommt, wenn ich zurück an das Labor denke, aber es gelingt mir nicht so richtig.
>>Uns hat aber niemand gerettet! Keiner hat etwas getan!<<, meint jemand. Zustimmendes Gemurmel geht durch die Reihen.
>>Das ist unsere Chance es zu machen! Unsere Chance besser zu sein, als die anderen! Unsere Chance, das Richtige zu tun!<<, sage ich lauter und lasse meinen Blick über die Gesichter der Menschen streifen. Sie werden nicht mitkommen, das wird mir klar. Das hier sind gebrochene Menschen. Genau wie ich. Aber im Gegensatz zu mir haben sie sich aufgegeben. Das könnte ich nicht. Wenn ich aufhören würde zu kämpfen, würde ich daran zu Grunde gehen. Das darf ich nicht zulassen! Aber allein kann ich nicht viel ausrichten.
>>Du bist doch verrückt! Warum sollten wir mit dir gemeinsame Sache machen? Du bist keine von uns!<< Das war zu viel für mich. Wut keimt in mir hoch und meine Muskeln spannen sich an.
>>Ihr habt doch nur Angst! Angst etwas zu tun! Angst euer Leben zu riskieren, um andere zu retten! Sie haben euch gebrochen! Und ihr habt es zugelassen! Ihr seid Feiglinge! Elende Feiglinge!<<, schreie ich. Plötzlich schlingen sich zwei starke Arme um mich und zerren mich weg vom Lagerfeuer. Ich schlage und trete um mich, versuche dem Griff zu entkommen, aber ich schaffe es nicht. Die anderen sehen mich an, als wäre ich verrückt. Selbst Livvy und Dereck. Meine Freunde. Und das trifft mich noch schlimmer, als alles andere. Jegliche Kraft weicht aus mir und ich lasse mich widerstandslos wegbringen.
Erst, als wir so weit weg sind, dass ich die Stimmen der Leute nicht mehr hören kann, lassen die Arme mich los und ich stolpere nach vorn. Leider habe ich meine Kraft noch nicht wieder erlangt, sodass meine Beine einknicken und ich falle. Doch bevor ich auf dem Boden aufprallen kann, greifen zwei Hände um meine Taille und ziehen mich an eine starke Brust. Jetzt stehe ich so nah an der Person hinter mir, dass ich ihren Herzschlag am Rücken spüre.
Im ersten Moment, bin ich echt froh, dass ich aufgefangen wurde und nicht mit dem Gesicht im Dreck gelandet bin, aber schon im Nächsten wünsche ich mir nichts sehnlicher, als allein zu sein, denn Tränen steigen in meine Augen. Verdammt! Nicht jetzt!
Damit ich wenigstens weiß, wer mich gleich beim Heulen sieht(damit ich ihm aus dem Weg gehen kann, bis wir wieder weg sind), werfe ich einen Blick über die Schulter. Oh verdammt! Es ist (natürlich) Navin. Und ich heul, wie eine bekloppte. Besser kann es ja gar nicht kommen. Schnell sehe ich wieder weg.
Die Tränen laufen ungehindert meine Wangen runter und ich versuche sie wegzuwischen, aber es kommen immer und immer wieder Neue nach. So schnell, dass ich mit dem Wegwischen nicht hinterher komme, also lass ich es einfach sein. Bringt ja sowieso nichts! 
Am liebsten würde ich mich von Navin losmachen und weiter in den Wald rennen, aber ich weiß ganz genau, dass meine Beine mich nicht tragen würden. Und jetzt ist es ohnehin zu spät. Er hat schon gemerkt das ich weine. Wie peinlich!
Seine Arme schlingen sich wieder um mich und er zieht mich näher an sich heran. Da er wesentlich größer ist als ich legt er sein Kinn auf meinen Kopf. Zu meiner Verwunderung ist es tröstlich, dass er mich nicht auslacht, sondern nur...für mich da ist. Mal wieder. Ich drehe mich in seinen Armen herum und schmiege mein Gesicht an seine Brust, während er mir beruhigend übers Haar streicht und immer wieder >>Ist ja gut. Ich bin da.<<, murmelt.
Und so stehen wir da, bis die Tränen langsam verebben und ich aufhöre zu Schluchzen. Navin legt seine Hände auf meine Schultern und hält mich eine Armlänge von sich weg, so dass er mich mustern kann.
>>Geht's wieder?<<, fragt er und wischt mir die letzten Tränen weg. Ich nicke und weiche verlegen seinem Blick aus. Seit Jahren habe ich nicht mehr geweint. Jedenfalls nicht in Anwesenheit anderer. Jetzt komme mir verletzlich vor... hilflos. >>Hey, keine Sorge. Ich werde schon niemandem sagen, dass die starke, tapfere Rumer geweint hat.<<, sagt Navin nach einer Weile und lächelt. Aus irgendeinem Grund lächel ich zurück, dann holen mich die Ereignisse von vorhin wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.
>>Sie halten mich verrückt. Sie alle.<<, sage ich mürrisch und trete einen Stein weg, der in der Nacht verschwindet.
>>Jap, das tun sie.<<, stimmt Navin mir zu. Seine Augen verfolgen mich, wie ich auf und ab gehe.
>>Du bist nicht gerade gut im aufmuntern.<<, schnaube ich und binde mir meinen Pferdeschwanz neu, da sich die meisten Haare ohnehin gelöst haben und wirr abstehen.
>>Ich bin auch nicht hier, um dich aufzumuntern.<<, sagt er ernst und packt mich am Arm. >>Bleib stehen. Du machst mich ja ganz nervös.<< Also bleibe ich stehen.
>>Warum bist du  dann hier? Damit ich niemandem an die Kehle gehe?<<, frage ich und verschränke die Arme vor der Brust.
>>Nein. Na ja, das auch, aber hauptsächlich, weil ich es nicht ertragen konnte, wie alle dich fertig gemacht haben.<<, meint er und sieht kurz weg. Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Aber ich muss auch gar nichts sagen, denn Navin spricht weiter. >>Und weil ich finde, dass du recht hast.<<
Das lässt mich aufhorchen. >>Was?<<
>>Du hast recht. Wir müssen diese Bastarde aus diesem scheiß Labor aufhalten! Wenn ich daran denke was sie dir... was sie all diesen Menschen angetan haben und noch immer antun...<< Er lässt den Rest des Satzes bedrohlich in der Luft hängen.
Das gibt mir neue Kraft. Ein Verbündeter ist besser, als keiner. Und dazu noch jemand, der mit Waffen umgehen kann. Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. >>Und was soll das jetzt genau heißen?<<, frage ich ihn.
Navin grinst ebenfalls. >>Das ich mit dir in den Krieg ziehen werde!<<


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