Dienstag, 16. Juli 2013

Navin (46.)

Als ich wieder beim Lager ankomme, ist Rumer gerade dabei ein Zelt aufzubauen.
Ihre kleine braunhaarige Freundin ist bei dem Verletzten und murmelt leise vor sich hin. Wahrscheinlich steht sie unter Schock, denke ich und mustere sie genauer. Das Mädchen, Livvy, ist eindeutig keine Jägerin. Dafür allerdings eine sehr gute Heilerin. So wie es aussieht, kommt der Junge durch. Aber ich weiß ja, wie gut ihre Fähigkeiten sind.
Gedankenverloren sehe ich auf meine Hand, in deren Mitte eine kleine Narbe prangt und streiche vorsichtig mit den Fingerspitzen darüber. Vor meinem inneren Auge laufen wieder die Bilder von dem Tag ab, an dem Rumer mir einen Pfeil durch die Handfläche geschossen hat, weil ich ihre Freundin angreifen wollte. Wenn ich damals schon gewusst hätte, dass Rumer ein Angen ist und was sie für eine Hintergrundgeschichte hat... aber sie hat ja nie darüber gesprochen. Ich hätte ihr vielleicht helfen können.
Mein Blick schweift, wie automatisch, zu ihr. Sie kämpft gerade damit die Heringen im Boden zu befestigen und flucht vor sich hin. Ich gehe zu ihr rüber und knie mich neben sie. 
>>Lass mich das machen.<<, sage ich und nehme ihr die Heringe aus der Hand. Sie rückt ein Stück zur Seite und ich bemerke aus dem Augenwinkel, dass sie mich ansieht. Ich widerstehe dem Drang ihren Blick aufzufangen und mache mich daran die Heringe in den Boden zu drücken. Im Handumdrehen bin ich fertig.
>>Danke. Und es tut mir leid.<<, murmelt Ru und nun sehe ich doch zu ihr rüber. Ihre graublauen Augen sind mit Tränen gefüllt.
>>Schlechter Zeitpunkt um anzufangen zu heulen. Deine kleine Freundin muss sich um den Verletzten kümmern und Keeden ist noch irgendwo im Wald. Und du erwartest ja wohl nicht, dass ich dich tröste, oder?<<, sage ich härter als eigentlich gewollt und stehe auf.
>>Navin.<<, stammelt Ru, doch ich wende mich bereits ab und gehe.
Am Abend liege auf dem Rücken in meinem Zelt und starre an die Decke. Angestrengt versuche ich nicht über die Einteilung der anderen beiden Zelte nachzudenken. Livvy wird wahrscheinlich bei ihrem Freund im Zelt schlafen wollen, einerseits, weil sie ihn liebt und andererseits, weil sie von uns die einzige ist, die weiß, wie er behandelt werden muss. Das heißt Keeden und Rumer...
Und ich denke doch über die Zelteinteilung nach. So ein Mist! Wütend presse ich die Kiefer zusammen und stoße dann hörbar Luft aus. 
Warum macht mir das nur so viel aus? Ich hatte doch sonst nie ein Problem damit, wenn ein Mädchen mit dem ich mal was hatte, bei einem anderen Kerl geschlafen hat. Andererseits hatte ich für diese Mädchen auch nie irgendwelche Gefühle. Rumer war oder besser gesagt ist die einzige für die ich je so empfunden habe. Die anderen Mädchen waren eigentlich immer nur eine Ablenkung, weil ich mir nie vorstellen konnte, dass Ru meine Gefühle jemals erwidern würde. Sie hat mich schon immer für einen arroganten Kotzbrocken gehalten. Seit sie damals bei uns im Stamm angekommen ist. Für mich hingegen war sie das Schönste, was ich je gesehen habe. Dieses kleine zierliche, zwölfjährige Mädchen mit dem wirren blonden Haar und den großen Augen. Und als sie dann auch noch darauf bestanden hatte, jagen gehen zu dürfen, anstatt, wie die anderen Frauen, sammeln zu gehen, war es um mich geschehen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich Lisandro angebettelt habe, Rumer ausbilden zu dürfen. Dafür musste ich einen Monat lang nachts noch jagen gehen, um mehr Beute anzuschaffen, aber das war es mir wert. Und als ich unseren Stammesfüherer dann auch noch überreden konnte mich zu Rumers Jadgpartner zu machen...
Seufzend schiebe ich die Erinnerungen bei Seite und starre wieder wie gebannt an die Decke. Ich darf nicht daran denken. Das macht es nur schlimmer, sage ich mir immer wieder und presse die Lippen zusammen.
Plötzlich höre ich das leise Ratschen des Reißverschlusses und taste aus Reflex nach meinem Bogen, ehe ich die Gestallt erkenne, die in der Öffnung meines Zeltes auftaucht.
>>Rumer?<<, frage ich verwirrt und sehe sie ungläubig an. >>Was machst du denn hier?<<
Sie wirkt unsicher und knabbert an ihrer Unterlippe herum. >>Ich wollte eigentlich fragen, ob ich noch hier schlafen darf, aber ich kann auch gehen...<<
>>Hier schlafen?<<, unterbreche ich sie und bin nun noch verwirrter.
>>Ja.. Das war eine blöde Idee. Tut mir leid.<<, haspelt sie und will wieder gehen, doch ich halte sie am Handgelenk fest.
>>Nein. Ist schon okay.<<, sage ich sanft und werde weich. Ich habe Rumer noch nie so unsicher und... verletzlich erlebt, wie jetzt.
Zögerlich kommt sie ins Zelt und schließt den Reißverschluss wieder hinter sich. Dann sieht sie mich unsicher an, als wüsste sie nicht, was sie jetzt machen soll.
>>Wieso bist du nicht bei Keeden?<<, frage ich schließlich in die Stille hinein, denn das ist die Frage, die mich am meisten beschäftigt. Vielleicht will er sie ja nicht bei sich haben.
>>Weil ich hier bei dir sein möchte.<<, antwortet sie nach einer kurzen Pause und ihre Augen funkeln, als sie mich ansieht.
In mir breitet sich eine wohlige Wärme aus und jegliche Wut, die ich auf sie hatte, löst sich in Luft aus.
>>Komm her.<<, flüstere ich und ziehe sie in meine Arme. Rumer schmiegt sich an mich und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Ich atme ihren Duft ein und schließe dann die Augen. Mein Körper ist nun völlig entspannt und ich merke, wie der Schlaf dabei ist mich langsam in seine Tiefen zu ziehen.
>>Navin?<<, fragt Ru nach einer Weile flüsternd, als ich schon fast eingeschlafen bin.
>>Ja?<< Ich gähne und reibe mir die Augen.
>>Ich weiß jetzt die Antwort auf deine Frage.<< Ihre Hand zupft unsicher an meinem T-Shirt rum und ich spüre, wie sie tief einatmet. 
>>Welche Frage?<<, frage ich verschlafen und versuche die Augen zu öffnen, um sie anzusehen.
Ihr Atem zittert ein wenig. >>Auf deine Frage, ob ich für dich auch Rücksicht genommen hätte, wenn ich mich in Keeden verliebt hätte.<<
>>Und?<<
>>Ja, hätte ich.<<, meint sie entschlossen und ihre Stimme klingt wieder so fest, wie ich Rumer kenne.
>>Schön zu wissen.<<, murmele ich und küsse sie auf den Scheitel.
>>Aber... eines wäre anders gewesen bei Keeden...<<, fügt sie zögerlich hinzu und als sie nicht weiter spricht, sehe ich sie an. Ihr Blick begegnet meinem und mein Herzschlag beschleunigt sich unwillkürlich. >>Bei Keeden...<<, fährt sie fort. >>Hätte ich das mit dem Rücksicht nehmen länger durchgehalten.<< Und mit diesen Worten rutscht sie ein Stück näher zu mir heran und drückt ihre Lippen auf meine.
Einen Augenblick bin ich vollkommen überrumpelt, doch dann schlinge ich meine Arme um ihre Taille und ziehe sie noch näher an mich heran. Sie stöhnt leise auf und umfasst mit ihren Händen mein Gesicht. Dann wechselt der Kuss von vorsichtig und sanft zu drängend und leidenschaftlich. Meine Hände wandern zum Saum ihres Oberteils und ich zerre daran. 
Ru's Lippen lösen sich von meinen. Sie setzt sich auf und sieht mich atemlos an.
Ich bin zu weit gegangen. >>Tut mir... leid.<<, keuche ich ebenso außer Atem wie sie und sehe sie entschuldigend an. Einen Augenblick erwidert sie meinen Blick nachdenklich, dann breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus und sie zieht sich ihr Top über den Kopf und schleudert es beiseite. Darunter trägt sie nur einen schwarzen BH. Erstaunt weiten sich meine Augen. 
>>Rumer...<<, flüstere ich atemlos und setze mich ebenfalls hin. >>Du musst das nicht tun.<<
>>Ich weiß.<<, antwortet sie lächelnd, schwingt ein Bein über meine und setzt sich dann auf meine Oberschenkel. Ihr Gesicht ist ganz nahm an meinem und ich halte den Atem an. >>Aber ich will das.<<
Einen Moment mustere ich sie eingehend. Lasse meinen Blick über ihr Gesicht gleiten. Ihre wundervollen Augen, die geröteten Wangen, ihre Lippen. Ihr Haar, dass ihr Gesicht, wie ein Vorhang aus flüssigem Gold umgibt. Und dann gleitet mein Blick tiefer und ich nehme jeden Zentimeter ihres Körpers in mir auf, bis mein Blick schließlich wieder bei ihren Augen endet. 
>>Bist du dir sicher?<<, frage ich unsicher und bemerke, dass meine Stimme bebt.
>>Ja.<<, antwortet sie und legt ihre Arme um meinen Hals. Einen Augenblick sehen wir uns noch in die Augen, bevor ich mich vorbeuge und sie küsse. Erst zögerlich, damit sie es sich noch anders überlegen kann, doch dann zieht sie mich näher an sich und meine Selbstbeherrschung löst sich in Rauch auf. Ich grabe mein Hände in ihre Haare und küsse sie jetzt intensiver. Ihre Hände wandern an meinen Seiten herunter und dann zieht sie mir mein T-Shirt über den Kopf und wirft es, wie vorhin ihr Oberteil, beiseite. Unsere Lippen finden sich wieder und ich lehne mich langsam nach hinten, bis ich wieder auf dem Boden liege, Rumer über mir. Dann rolle ich mich herum, bis ich über ihr bin und löse mich kurz von ihren Lippen, um ihren Anblick in mir aufzunehmen. Ihre Wangen glühen und ein aufgeregtes Funkeln ist in ihren Augen zu erkennen. Sanft streiche ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und flüstere: >>Ich liebe dich, Rumer.<<
>>Ich dich auch.<<, antwortet sie an meinen Lippen und zieht mich wieder zu sich.
Ich kann ihren rasenden Herzschlag an meiner Brust spüren und stelle fest, dass ihres genauso heftig schlägt, wie meins. Und dann ist da nur noch sie. Ihr Herzschlag. Ihre Lippen, auf meinen. Ihre weiche, warme Haut unter meinen rauen Händen. Ihr Geruch, der mich umgibt.
Und ihre Stimme, die meinen Namen flüstert, als wir schließlich miteinander schlafen.

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