Samstag, 6. Juli 2013

Livvy (44.)

Er sackt neben mir zu Boden. Blut fließt aus der Wunde. Ich schreie.
Wie gelähmt sitze ich zusammengekauert auf dem Waldboden. Der Schock des Angriffes sitzt mir tief in den Knochen. Er liegt da, krümmt sich vor Schmerz und ich kann mich nicht bewegen.
Ich könnte ihm helfen. Ich könnte..
Ein lauter Knall lässt mich aus der Starre aufschrecken. Ich blicke auf. Rauch steigt nicht weit von Navin entfernt auf, und breitet sich aus. Woher kommt der Rauch?
Bevor ich fragen kann, kommt Navin mir zuvor.
>>Woher hast du die Rauchbombe?<<, fragt er, während er einer Kängururatte zwischen den Augen einen Pfeil platziert.
>>Die hat Chazz mit glücklicherweise gegeben.<<, antwortet ihm Keeden.
Überall fliegen Pfeile durch die Gegend, jedoch scheint die Rauchbombe die Kängururatten zu vertreiben. Immer weniger Pfeile rauschen über mir umher und ich sehe die kleinen Mutanten ins Dickicht flüchten.
Mein Blick heftet sich wieder auf Derecks Gesicht. Er ist ganz bleich geworden. >>Dereck?<<, flüstere ich heiser. >>Dereck, hörst du mich?<< Seine Lider sind geschlossen und er reagiert nicht. Hektisch fühle ich an seiner Hauptschlagader nach seinem Puls. Er ist da. Jedoch sehr schwach. >>Ich brauche meinen Medizinbeutel!<<, rufe ich verzweifelt und sehe mich hilfesuchend um. Sofort eilt Rumer an meine Seite und reicht mir meinen Beutel. Ich bin so froh sie lebend zu sehen, aber im Moment kann ich mich nur auf Dereck und seine Verletzung konzentrieren. Ich öffne den Beutel und hole ein kleines Fläschchen mit Wasser hervor und lasse die Flüssigkeit über die Wunde in seinem Bein laufen. Immer noch keine Reaktion. Schnell zupfe ich ein paar Blätter Kandaru-Kraut aus meinem Beutel, wobei ein paar andere meiner Kräuter herausfallen, aber das ist mir egal. Jetzt zählt nur Dereck. Ein einengender Druck legt sich auf meine Brust und ich bekomme kaum noch Luft, als ich die Blätter auf die Wunder presse. Dann hole ich noch schnell zwei Blätter Ohmnu-Kraut hervor und lege sie Dereck in den Mund.
>>Was ist das?<<, fragt Ru und tauscht die Blätter auf der Beinwunde aus, die schon jetzt vom Blut und Wundwasser getränkt sind.
>>Ohmnu-Kraut. Es wirkt Schmerz- und Fieberlindernd und bekämpft das Gift, dass sein Gehirn angreift.<<, erkläre ich und sehe, wie Rumer blass wird. Sie hat Angst ihn zu verlieren. Genau wie ich.
>>Kannst du seine Wunde ausspülen und dann die Salbe aus dem gelben Gefäß auftragen?<<, frage ich. während ich mich daran mache eine Kräutermischung zu erstellen, die gezielt das Gift in seinem Körper neutralisieren wird. Rumer wirkt zuerst etwas zögerlich, doch dann nimmt sie entschlossen einen Stofffetzen aus ihrer Tasche und tränkt ihn mit Wasser. Dann fängt sie behutsam an Derecks Bein zu reinigen, wobei ihre Hand zittert. Sie ist eindeutig keine Heilerin. Ich habe in meiner Ausbildung schon ganz früh gelernt in solchen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Man darf sich von seiner Gefühlslage nicht kontrollieren lassen. Nicht einmal wenn... man den Verwundeten liebt.
Als ich die Mischung fertig habe, nehme eine der wenigen Spritzen aus meinem Beutel und ziehe den Saft, den ich aus den Blättern gepresst habe damit auf. Dann setze ich sie oberhalb der Beinwunde an und spritze sie ihm in eine Vene.
Und dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen, dass es noch nicht zu spät war. Rumer hat die Wunde gesäubert und sie Salbe aufgetragen, so wie ich es ihr gesagt habe. Dann legt sie noch auf meine Anweisung hin eine Schicht Kandaru-Kraut oben drauf und verbindet das Ganze.
Und dann sieht sie mich an und in ihrem Gesicht spiegelt sich die selbe Angst, die auch ich spüre und eine unausgesprochene Frage zeichnet sich in ihren Augen ab: Wird er überleben?
Kraftlos zucke ich mit den Schultern. Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand. Jetzt liegt es an ihm.
Ich betrachte sein Gesicht. Das Gesicht des Jungen, den ich liebe. Er wirkt so zerbrechlich und schwach, dass ich bei seinem Anblick unwillkürlich an meine kleine Schwester Willow denken muss. Ich bin froh, dass ich sie nicht mitgenommen habe und sie bei Chazz und den anderen in Sicherheit ist. Wenigstens eine Person, die ich liebe, um die ich mir keine Sorgen machen muss.
Plötzlich keucht Dereck und öffnet schwach die Augen. Ich beuge mich über ihn und sehe ihn an. >>Dereck?<<, frage ich mit piepsiger Stimme.
>>Liv?<<, krächzt er heiser. >>Was ist passiert?<<
>>Du wurdest von einer Kängururatte gebissen. Aber du wirst es überleben.<<, erwidere ich mit Tränen in den Augen und streiche ihm liebevoll die schweißnassen Haare aus der Stirn.
>>Cool.<<, flüstert er und seine Augen fallen ihm wieder zu.
>>Was ist mit ihm? Stirbt er jetzt?<<, fragt Rumer geschockt und beugt sich ebenfalls vor.
>>Nein.<<, beruhige ich sie. >>Er ist aufgewacht, dass heißt er hat die Medizin angenommen. Jetzt braucht er nur sehr viel Ruhe um zu heilen.<<
Wir seufzen genau gleichzeitig erleichtert auf und sehen uns dann an.
>>Ich bin froh, dass du wieder da bist, Ru.<<, sage ich und lächel schwach.
>>Ich bin auch froh.<<, erwidert sie und steht dann auf. >>Ich schlag mal ein Zelt auf, damit wir Dereck dort rein legen können.<< Dann dreht sie sich um und bleibt verwundert stehen. >>Wo sind Navin und Keeden?<<
Jetzt sehe auch ich mich um und stelle fest, dass weit und breit nichts von ihnen zu sehen ist. >>Komisch. Eben waren sie doch noch da.<<
>>Wahrscheinlich suchen sie nur die Umgebung ab, ob diese Biester auch wirklich alle weg sind.<<, meint Ru dann und macht sich daran ein Zelt aufzubauen.
Währenddessen wende ich mich wieder Dereck zu und streiche ihm sacht übers Gesicht. >>Du wirst leben.<<, flüstere ich und muss lächeln. >>Gott sei Dank.<<

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