Sonntag, 27. April 2014

Rumer (51.)

Es sind jetzt zwei Wochen vergangen in denen Keeden kein einziges Wort mit mir gewechselt hat. Seit dem Streit. Alles was er mir entgegen bringt, wenn er mir denn überhaupt Beachtung schenkt, sind verächtliche Blicke und seine aufgebrachten Gefühle, die mich hin und wieder überschwemmen, wenn ich nicht aufpasse sie abzuschirmen.
Navin hingegen ist voll und ganz in seinem Element und geht mir auf die Nerven wo es nur geht. Obwohl ich ihn auf Abstand halten will und ihm die kalte Schulter zeige, läuft er meist in meiner Nähe, wenn wir mal wieder weiterziehen und redet auf mich ein und neckt mich, bis mir der Kragen platzt. Aber die kleinen Auseinandersetzungen mit Navin tun mir ganz gut. Sie lenken mich ein wenig von meinen ganzen Problemen ab.
>>Hey Ru.<< Ich öffne die Augen und sehe Liv an, die über mir steht und verhindert, dass die Sonne mir ins Gesicht scheint. Wir haben unser Lager an einem See aufgeschlagen und da wir vor dem Zeitplan liegen, da wir viel gewandert sind in den letzten Tagen, haben wir beschlossen für ein paar Tage hier zu bleiben. >>Dereck und Keeden wollen jagen gehen und ich wollte sie begleiten.<<, fährt Livvy fort, als ich mich aufsetze. >>Bleibst du hier oder möchtest du vielleicht lieber mitkommen?<< Ihr Blick wandert zu Navin und ich erkenne Sorge darin.
>>Nein, ich bleib hier.<<, sage ich gelassen und recke mich.
>>Bist du sicher?<<, fragt sie zweifelnd.
>>Ja klar. Sind ja nur ein paar Stunden.<<, antworte ich und schiele zu Navin rüber. >>Ich werde mich benehmen.<<
Zögerlich nickt sie schließlich. >>Okay. Ich glaub dir mal. Dann bis später.<<
>>Ja bis später.<<, meine ich und winke träge mit der Hand. >>Ach und Liv?<< Sie dreht sich noch einmal um und sieht mich fragend an. >>Richte Dereck bitte aus, dass ich Lust auf Kaninchen hätte.<<
>>Alles klar.<< Sie reckt bestätigend einen Daumen in die Höhe und geht dann zu Dereck, der sich gerade seinen Bogen umhängt. Sie küssen sich zur Begrüßung und ich schaue weg.
Schon als wir noch im Labor gelebt haben, war mir klar, dass die beiden irgendwann so enden würden. Sie haben sich immer auf so eine ganz besondere Art und Weise angeguckt. Es war mir früher schon unangenehm gewesen so viel Zuneigung zu sehen, weil ich die meiste Zeit meines Lebens so etwas nicht gekannt habe, aber ich habe es auch immer mit einer gewissen Ehrfurcht und Freude beobachtet, denn es war wie ein Versprechen: Egal wie schlimm es ist, das Schlechte kann das Gute niemals unterdrücken. Das ist in all den Jahren zu einer Art Mantra für mich geworden, dass mich dazu verleitet hat immer weiter zu kämpfen. Egal wie schlimm es ist.
Ich höre wütende Schritt und sehe Keeden am mir vorbeilaufen, seinen Bogen und Köchen umgehängt. Er starrt wütend in Navins Richtung. Dann fängt sein Blick meinen auf und ich sehe für einen Moment Sorge darin, bis er wieder undurchdringlich wird und sich abwendet. Ich spüre einen Stich in meiner Brust, wie immer, wenn Keeden mich so finster anstarrt. Trauer und Schmerz ergreifen von mir Besitz. Es sind meine eigenen. Ich sehe zu Boden.
Aus dem Augenwinkel nehme ich war, dass Keeden stehen bleibt und sich zu mir umdreht. Dann kommt er auf mich zu. Erschrocken starre ich ihn an und will etwas sagen, weiß allerdings nicht was. Als er bei mir ankommt, packt er mich an den Schultern, zieht mich auf die Beine und schließt mich in seine Arme.
Es ist das erste Mal seit Wochen, dass er mich berührt und nachdem ich den ersten Schock überwunden habe, überkommt mich eine ungeheure Erleichterung und ich erwidere die Umarmung.
>>Es tut mir so leid.<<, murmle ich in sein T-Shirt und atme seinen vertrauten Duft ein.
Keeden drückt mich stärker an sich. >>Ist schon okay.<<
Wir stehen eine Weile einfach so da und lassen unsere Gefühle ineinander fließen. Die Trauer, der Schmerz, die Schuldgefühle der letzten Zeit, aber auch die Freude und Erleichterung darüber, dass wir uns jetzt endlich wieder vertragen haben. Dann lösen wir uns schließlich voneinander.
Ich lächle ihn an und er erwidert mein Lächeln. >>Schön, dass du endlich wieder mit mir redest.<<
>>Du weißt doch, dass ich dir nie lange böse sein kann, Ru. Und mich von dir fern zu halten, hat sich mehr nach einer Strafe für mich angefühlt, als das es geholfen hat.<< Er mustert mich aus seinen graublauen Augen und schmunzelt. >>Lass uns später reden. Ich muss jetzt erstmal zur Jagd. Ich glaub Dereck rastet aus, wenn wir nicht endlich los gehen.<<, fügt er hinzu und deutet in die Richtung, wo Dereck und Liv stehen und uns ansehen. Livvy strahlt und zwinkert mir zu und Dereck verdreht gespielt genervt die Augen und ruft: >>Komm jetzt, Keeden! Beweg deinen Arsch hier rüber!<<
>>Jaja. Bin schon auf dem Weg.<<, antwortet Keeden und dann an mich gewandt. >>Also heute Abend?<<
>>Heute Abend.<<, stimme ich nickend zu.
Er grinst und geht dann zu Dereck und Livvy. Dereck schlägt ihm gegen den Hinterkopf, woraufhin Keeden ihn in den Schwitzkasten nimmt und die beiden rangelnd das Lager verlassen, Livvy im Schlepptau. Ich sehe ihnen nach und freue mich, dass jetzt wieder alles besser werden kann.
>>Ihr habt euch wieder vertragen?<<
Erschrocken fahre ich herum und starre gegen ein graues T-Shirt, dass sich über eine muskulöse Brust spannt. Mein Blick wandert hoch zu Navins Gesicht. Er hat fragend eine Augenbraue gehoben und mustert mich spöttisch. Seine dunkelblonden Haare sind noch nass vom baden.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. >>Sieht ganz so aus.<<
>>Freut mich für euch. Dann könnt ihr ja jetzt wieder alle einen auf große, glückliche Familie machen.<<, sagt er sarkastisch und sein Blick wird provokant.
>>Navin!<<, mahne ich ihn.
>>Was?<< Wut schwingt in seiner Stimme mit. Er ist aufgebracht. Ein unangenehmes Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Er bricht es als erster. >>Ich werde gehen.<<
Das lässt mich aufhorchen. >>Wie meinst du das?<<
>>Ich werde zurück zum Stamm gehen und gucken was ich bewirken kann, damit sie sich dieser ganzen Aktion anschließen. Nur mit den Außenseitern schaffen wir das nicht und bei denen ist auch noch fraglich wie viele kommen werden. Vielleicht schaff ich es ja auch noch ein paar andere Stämme zum Mitmachen zu bewegen. Dann hätten wir eine Chance.<< Seine Mimik ist kontrolliert, aber in seinen Augen sehe ich, dass es in ihm tobt.
Ich will irgendwas sagen, ihn zum Hierbleiben bewegen, doch ich weiß, dass er recht hat. >>Wann brichst du auf?<<
>>Jetzt gleich.<<
>>Okay.<< Mehr bekomme ich nicht heraus.
Er nickt und wendet sich ab. >>Ich geh dann mal meine Sachen zusammen packen.<<
>>Warte, ich helfe dir.<<, meine ich und gehe mit ihm. Gemeinsam bauen wir sein Zelt ab und packen es zusammen. Außerdem gebe ich ihm genug von unseren Vorräten, damit er für ein paar Tage über Runden kommt, damit er schnell zu den Stämmen gelangt und nicht so viel Zeit aufs Jagen verwenden muss.
Als alles gepackt ist, stehen wir uns wortlos gegenüber. Keiner weiß, was er sagen soll.
>>Na dann... auf Wiedersehen.<<, sage ich nach einer Weile. >>Ich hoffe du hast eine gute Reise und kommst heil beim Stamm an.<<
>>Danke.<<, erwidert er. Ich strecke ihm die Hand hin. >>Ach, Rumer. Das können wir besser.<<, sagt er, packt mein Handgelenk und zieht mich an sich. Ich sauge erschrocken Luft ein, ehe er seine Lippen auf meine presst. Erst versteift sich mein gesamter Körper, doch dann packe ich ihn am Kragen und ziehe ihn näher an mich heran, um seinen Kuss zu erwidern, doch viel zu früh löst er sich wieder von mir und sieht mich traurig grinsend an. >>Das musste noch einmal sein. Bis dann.<< Mit diesen Worten dreht er sich um, seine Tasche und seinen Bogen umgehängt und geht.
>>Pass auf dich auf.<<, flüster ich, als er schon längst im Wald verschwunden ist.

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