Donnerstag, 1. August 2013

Livvy (48.)

Ein Tropfen kalten Wassers fließt über seine Schläfen. Behutsam streiche ich ihn mit der Fingerspitze über die Wange, und der Tropfen muss sich mit dieser Blockade geschlagen geben.
Dereck hatte eine unruhige Nacht. Wie froh ich war, dass er immerhin zwei Stunden am Stück geschlafen hat. Meine Augen konnte ich währenddessen nicht zum schließen überreden. Sie haben ihn die ganze Nacht über betrachtet, wie einen wertvollen Schatz, den es zu beschützen gilt.
>>Dereck, trink das hier.<< Ich reiche ihm eine Schüssel mit in heißem Wasser aufgekochten Kräutern. >>Bitte. Tu's für mich, bitte!<<
Mühsam hebt er seinen Kopf. Er sieht erledigt aus. Seine sonst so fluffigen goldbraunen Haare liegen in Strähnen an seiner Stirn. Ich kann dem Drang nicht wiederstehen, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen. Unterhalb seiner graugrünen Augen zeichnen sich tiefe dunkle Ringe ab.
>>Es wird dir helfen.<< Stützend lege ich ihm meine Hand an seinen Hinterkopf und halte mit der Anderen die Schüssel mit dem heilenden Kräutertee.
Nach dem ersten Schluck verzieht er das Gesicht und der Tee fließt aus seinem Mund zurück. Verzweifelt und flehend sieht er mich an.
>>Ich weiß. Aber bitte trink den Tee. Denk an etwas anderes. Sobald du ihn getrunken hast, gebe ich dir ein Stück Brot.<< Oh Gott, ich klinge schon wie seine Mutter.
Ihn so voller Schmerzen und Verzweiflung zu sehen, lässt etwas in mir zerbrechen. Es ist schrecklich. Es ist so furchtbar grausam, einen Menschen, den man über alles liebt, für den man sein Leben geben würde, in dieser Situation vor sich liegen zu sehen. Auch wenn ich Heilerin bin, kann ich nichts in meiner Macht stehende tun, um ihm all seine Schmerzen zu nehmen.
Ich kann nur neben ihm sitzen und ihm bei seinem Kampf gegen das Gift in seinem Körper die Hand halten. Rumsitzen und Däumchen drehen. Warum bin ich es nicht gewesen, die angefallen wurde? Warum tut man mir das an? Warum, verdammt, kann man mich mit sowas nicht einfach verschonen? Ich habe schon genug durchgemacht. Dereck hat das nicht verdient.
Die Schüssel ist leer. Seine Augen geschlossen. Eine Träne fließt mir über die Wange. Die Welt außerhalb des Zeltes scheint meilenweit entfernt.
Ich lege mich neben ihn. Halte seine Hand und hoffe. Hoffe und bete für meine Liebe.
In Gedanken gehe ich jedes einzelne Kraut durch, das ich kenne. Suchend wandere ich in den hintersten Winkeln meines Gedächtnisses. Nichts, das ich nicht schon probiert habe.
Atemzüge verstreichen. Derecks Brust hebt und senkt sich gleichmäßig.
Draußen beginnen die Vögel zu zwitschern. Ich öffne meine müden Augen und sehe die ersten Sonnenstrahlen durch die Zeltwand dringen. Derecks gleichmäßiger Atem beruhigt mich, und es dauert nicht lange bis auch ich einschlafe.
Noch halb am träumen reibe ich mir meine Augen. Neben mir sind noch immer gleichmäßige Atemzüge zu hören. Es sind nur ein paar Stunden vergangen höchstens. Ich drehe mich auf den Rücken und strecke meine müden Knochen.
Da ich nicht mehr einschlafen kann, kümmere ich mich um Derecks Biss. Ich wechsle gerade seinen Verband, als lautes Geschrei die Stille durchbricht.

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