Sonntag, 16. Juni 2013

Navin (42.)

Rumer ist ganz blass und sieht gequält aus. Ich helfe ihr auf und will sie stützen, doch sie stößt mich weg.
>>Nein. Fass mich nicht an. Bitte.<<, sagt sie und sieht mich mit ihren großen graublauen Augen traurig an.
>>Was ist los? Habe ich was falsch gemacht?<<, frage ich und versuche nicht verzweifelt zu klingen, obwohl ich es bin. So lange habe ich schon darauf gewartet mit Rumer zusammen sein zu können. Sie berühren zu können. Sie zu küssen. Und jetzt, wo ich dachte, ich hätte es geschafft, wo sie gesagt hat, dass sie mich auch liebt, stößt sie mich weg. Und mir stellt sich jetzt die Frage, wieso.
>>Nein! Es ist nicht deine Schuld. Es ist wegen Keeden.<<, sagt sie und weicht meinem Blick aus. 
Ich spüre, wie sich Wut in mir breit macht und mein Unterkiefer sich anspannt. >>Wegen diesem Idioten? Was ist mit ihm? Liebst du ihn? Seit ihr zusammen?<< Ich weiß, dass es unfair ist, sie anzuschreien, aber wenn ich nicht schreie und wütend bin, bin ich verletzt und dann bin ich noch unausstehlicher.
>>Nein. So ist es nicht.<<, beteuert sie und sieht mich verzweifelt an, aber ich bleibe hart.
>>Ach ja? Und wie ist es dann? Hat er dich abgewiesen und du suchst jetzt bei mir Trost?<< Ich spucke die Worte förmlich aus und muss mich zusammenreißen um nicht irgendwo gegen zuschlagen.
Jetzt wirkt sie gekränkt. >>Wie kannst du sowas auch nur denken? Ich liebe dich, Navin! Das ist mein voller Ernst!<<
Sie hat es schon wieder gesagt. Und diese drei kleinen Wort aus ihrem Mund wirken wie Medizin für meinen Zorn. Ich entspanne mich und nehme sie in den Arm, doch sie blockt wieder ab.
>>Nein. Das geht nicht. Nicht jetzt.<<
>>Wieso nicht?<<, frage ich verwirrt und sehe sie an.
>>Weil er in der Nähe ist. Ich kann es spüren. Und er ist sauer, weil ich dich liebe.<<
Ich verstehe nur Bahnhof. Aber der letzte Teil gefällt mir. >>Das musst du mir, denke ich, etwas genauer erklären.<<
>>Damals in dem Labor haben Keeden und ich irgendwann festgestellt, dass wir spüren können, was der andere fühlt. Das geht aber nur, wenn wir nahe beieinander sind. Als ich beim Stamm war, ist diese Verbindung abgerissen, aber jetzt ist sie wieder da. Und als ich dir gerade gesagt habe, dass ich dich liebe, da habe ich es auch gefühlt. Und Keeden auch, denn seine Wut hat mich förmlich überrollt. Das heißt, dass sie ganz in der Nähe sind.<<, erklärt sie und ich versuche zu begreifen, was das bedeutet.
>>Das heißt, ich darf dich nicht mehr berühren?<<, frage ich ernüchtert.
Sie schüttelt traurig den Kopf. >>Wenn du mich berührst, oder küsst, explodieren meine Gefühle förmlich in mir. Und das verletzt Keeden. Und wenn er meinetwegen verletzt ist... das ertrage ich nicht. Er hat so viel für mich getan und ich...<<
>>Du fühlst dich schuldig.<<, stelle ich fest. Sie nickt. >>Du fühlst dich schuldig, weil du die Gefühle, die er für dich hat, nicht erwiderst.<< Wieder ein Nicken. >>Und darum denkst du, dass du auch nicht glücklich sein darfst.<<
>>Ich kann nicht auf Kosten eines Menschen glücklich sein, der mir am Herzen liegt!<<, faucht sie. Sie wird jetzt wütend, weil sie vor mir nicht schwach aussehen will.
>>Und wenn es andersrum wäre? Wenn du dich in ihn verliebt hättest und nicht in mich? Hättest du dann für mich auch Rücksicht genommen? Oder tust du es nur, weil du seinen Schmerz spüren kannst und dich das fertig macht?<< Ich sehe in ihre Augen. Und sie sieht erschrocken zurück. Mit dieser Frage hat sie nicht gerechnet. Wahrscheinlich hat sie selbst nicht einmal darüber nachgedacht.
Sie öffnet den Mund, um etwas zu sagen, schließt ihn jedoch dann wieder. Das ist mir Antwort genug.
>>Ich verstehe.<<, sage ich und drehe mich um, damit sie nicht sieht, wie sehr mich das verletzt.
>>Navin...<<, sagt sie, doch ich lass sie nicht weiter reden.
>>Lass gut sein, Rumer. Such deine Freunde.<< Ich schnappe mir meinen Bogen und meinen Köcher. >>Ich gehe jagen.<<
Bevor sie etwas erwidern kann, bin ich auch schon im Wald verschwunden.
Wütend und verletzt stapfe ich durchs Dickicht und bin dabei so laut, dass ich alle Beutetiere im Umkreis garantiert verschrecke, doch das ist mir egal. Alles ist mir egal.
Bis ein ohrenbetäubender Schrei ertönt und mich zurück in die Wirklichkeit reißt.

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